Aktuelle Stunde

Meinungen zur Zukunfts­fähigkeit des Renten­systems gehen auseinander

Bereits ein Jahr früher als geplant wird die Rentenanpassung Ost/West erfolgen – zum Juli 2023. Dies nahmen die Ampelfraktionen zum Anlass für eine Aktuelle Stunde am Mittwoch, 21. Juni 2023, im Parlament. Einigkeit herrschte zwischen den Fraktionen darüber, dass diese Angleichung längst überfällig war. Bei der Frage, wie das Rentensystem zukunftsfähig werden soll, gingen die Meinungen wiederum weit auseinander.

Staatssekretärin: Rentenangleichung ein Jahr früher

Die Parlamentarische Staatssekretärin Kerstin Griese (SPD) begann die Aktuelle Stunde mit gleich zwei „guten und wichtigen Nachrichten“: So steige die Rente zum Juli 2023 nicht nur deutlich an, sondern mit diesem Anstieg werde auch die Rentenangleichung Ost/West ein Jahr früher als geplant erreicht. Dass die Rentenanpassung derzeit hinter der Inflation zurückbleibe, sei „nur eine Momentaufnahme“, sagte Griese. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass das Prinzip, dass die Renten den Löhnen folgen, ein zuverlässiges sei. 

Griese nutzte einen Großteil ihre Redezeit, um die bereits verabschiedeten und geplanten Maßnahmen der Bundesregierung im Bereich der Rentenpolitik vorzustellen. So solle im Zuge eines zweiten Rentenpakets ein „Generationenkapital“ aufgebaut werden, um die Beitragsentwicklung zu stabilisieren. Griese betonte, dass hierfür eine Stiftung gegründet werde, um „keine Risiken des Kapitalmarkts in die Rentenversicherung“ zu holen.     

Union: Hohe Beschäftigungsquote ist Voraussetzung

Max Straubinger (CDU/CSU) wies darauf hin, dass der Grundstein für die Angleichung von Ost und West bereits 2017 mit dem Gesetz zur Rentenüberleitung gelegt worden sei. Die wirtschaftliche Entwicklung der fünf neuen Bundesländer mache ihn stolz, sagte Straubinger. 

Ein wirtschaftlicher Aufholungsprozess funktioniere allerdings nur, wenn auf dem Arbeitsmarkt eine hohe Beschäftigungsquote herrsche. Dass Deutschland derzeit ein Minuswachstum von 0,4 Prozent prognostiziert werde, sei daher mit Blick auf den Beschäftigungsstand und die Rentenpolitik bedenklich, sagte Straubinger.

Grüne: Umlageverfahren hat sich bewährt 

Skeptisch zeigte Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) sich gegenüber der Idee des Generationenkapitals. Schließlich sei das bestehende Umlageverfahren „für ein so großes Risikokollektiv, wie es die Deutsche Rentenversicherung darstelle, ein absolut überlegenes.“ In einer „extremen Umbruchphase“, wie die neuen Bundesländer sie 1990 erlebt hätten, habe sich das Umlagesystem bewährt, argumentierte Kurth.

Er zeigte sich erfreut, dass seine eigene Prognose aus dem Jahr 2017 nicht eingetroffen sei. Damals habe er davor gewarnt, dass die rentenpolitischen Maßnahmen zu einem Beitragsanstieg führen könnten. 

AfD: Systematische Benachteiligung der Rentner

Ulrike Schielke-Ziesing (AfD) äußerte ihre Zweifel, ob es für die Tatsache, dass erst ab Juli 2023 „die Deutsche Einheit Ost und West auch rententechnisch vollzogen“ sei, eine Aktuelle Stunde gebraucht hätte.

Rentner würden in Deutschland eine „systematische und strukturelle Benachteiligung“ erfahren, mahnte sie. Schließlich würde zunächst die Inflation steigen, dann mit einiger Verzögerung die Einkommen und nach einer Zeit die Renten. Die höheren Preise würden Rentner allerdings direkt spüren. Auch ein Rentenniveau von 48 Prozent sei „ruinös niedrig“.

FDP: Generationenkapital als zweites Standbein 

Um das Rentensystem zukunftsfähig zu machen, muss laut Anja Schulz (FDP) das Generationenkapital als zweites Standbein her. Es bringe nichts, den Bürgern etwas vorzumachen und von der „unantastbaren Leistungsfähigkeit eines Systems“ zu sprechen, „das sich schon heute nicht mehr trägt“, sagte Schulz.

Die gesetzliche Rente solle zwar als „solider Grundstock“ bestehen bleiben, doch müsste die Politik offen für Innovationen sein. Besser als das Generationenkapital sei für Schulz eine „richtige Aktienrente nach schwedischem Vorbild“, ergänzte Schulz. 

Linke: Löhne im Osten immer noch viel zu niedrig 

Der Linken-Abgeordnete Matthias W. Birkwald mahnte, dass die Rentenangleichung nicht für diejenigen gelte, die neu in Rente gehen würden. Bei denen sei das Rentenniveau immer noch deutlich niedriger als im Westen Deutschlands, weil die Löhne im Osten unter denen im Westen liegen. Birkwald forderte daher, die sogenannte Umrechnung der Ostlöhne bei der Rentenberechnung noch bis 2030 fortzuführen, um eine „gleiche Rente für gleiche Lebensleistung“ zu garantieren.

Zusätzlich sagte auch Birkwald, dass ein Rentenniveau von rund 48 Prozent kein Grund zum Feiern sei. Die Durchschnittsrente liege aktuell bei 1152 Euro: „Das sichert den Lebensstandard nicht“ warnte er.

SPD: Ungleichbehandlung besteht strukturell weiter

Die SPD-Abgeordnete Rasha Nasr wies darauf hin, dass die Ungleichbehandlung zwischen Ost und West strukturell weiterbestehe: „Die Unterschiede zwischen Ost und West verschwinden nicht mit der letzten Generation, die die DDR noch miterlebt hat.“ Die nachkommende Generation müsse ihre Eltern, die aufgrund der geringeren Löhne in der DDR von Altersarmut bedroht seien, versorgen und würde auch weniger vererbt bekommen als Menschen im Westen. Wer diese Ungerechtigkeiten nicht beheben wolle, „setzt den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufs Spiel“, sagte Nasr. 

Um gegen dieses strukturelle Problem vorzugehen, forderte Nasr „gleiche Löhne für gleiche Arbeit“ mit einer hohen Tarifbindung in Ost und West, sowie gleiche Teilhabe in allen Bereichen. (des/21.06.2023)

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