Gesundheit

Umweltbelastungen als globales Risiko für die Gesundheit

Die gestiegene Zahl an Hitzetagen im Jahr, die Höhe der Temperaturen, die Luftverschmutzung durch Emissionen aus Industrie, Landwirtschaft, Energieerzeugung oder Verkehr, vor allem durch kleinste Partikel: Diese Umweltbelastungen stellen ein hohes Risiko für die menschliche Gesundheit dar und neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation verlangen ein ambitioniertes Handeln von Regierung und Gesetzgeber, mahnten die Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung des Unterausschusses Globale Gesundheit zu den Themen „Luftverschmutzung und Hitze als globale Gesundheitsgefahr“ am Montag, 19. Juni 2023, an.

Richtwerte der WHO

12.000 Liter Luft atmen wir jeden Tag ein und wir wollen uns darauf verlassen können, dass diese Luft rein ist, sagte Prof. Dr. med. Babette Simon von der Universität Paris. Allerdings entspreche an den meisten Orten der Welt die Luftqualität nicht den aktuellen von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Richtwerten. „Luftverschmutzung ist weltweit ein bedeutendes Gesundheitsrisiko“, sagte Simon, „und eine der häufigsten vorzeitigen Todesursachen“. So würden pro Jahr sieben Millionen Menschen aufgrund verunreinigter Luft ihr Leben lassen. 

Die meisten Schadstoffe kämen aus vom Menschen verursachten Quellen: von der Industrie, den Haushalten, der Landwirtschaft, der Energieerzeugung oder dem Verkehrssektor. Besonders Feinstaub stelle ein Risiko für die Gesundheit dar. Je kleiner die Partikel, desto tiefer könnten diese in die Lunge, ja bis ins Blut und damit bis über in den Körper vordringen und dort toxisch oder entzündlich wirken, erläuterte Simon. Die Luftverschmutzung erhöhe das Risiko für eine Vielzahl von Erkrankungen, allen voran Herz-Kreislauf- und Atemwegs-Erkrankungen, Lungenkrebs, aber auch Demenz und Parkinson. Weltweit 250 000 Lungenkrebsfälle gingen auf das Konto der Luftverschmutzung.

Besonders vulnerablen Gruppen

Zu den besonders vulnerablen Gruppen gehörten Schwangere, das ungeborene Leben sowie Kleinkinder, auf deren Organe, die sich noch in der Entwicklung befänden, die Schadstoffe überproportional wirkten. Die gemessenen Auswirkungen und die Zahl der Erkrankten und Todesfälle seien auch in Deutschland immer noch hoch , obwohl sich hierzulande die Luftqualität in den letzten Jahrzehnten verbessert habe. Die aktuell gültigen Grenzwerte seien allerdings vor 20 Jahren festgelegt worden und entsprächen nicht mehr dem heutigen wissenschaftlichen Stand. Daher habe die WHO neue Empfehlungen herausgegeben.

Der Gesetzgeber sei nun gefordert, entsprechend neue rechtsverbindliche Werte festzulegen. In Kürze werde im Europäischen Parlament über die neuen Grenzwerte für die EU abgestimmt. Was dort festgelegt werde, sei von erheblicher Relevanz für den Gesundheitsschutz. Momentan enthalte der Gesetzentwurf der EU-Kommission noch doppelt so hohe Richtwerte wie von der WHO vorgeschlagen. „Es wäre sehr wünschenswert, wenn man ambitionierter wäre“, sagte die Wissenschaftlerin. Aufgrund der nachgewiesenen Gesundheitsgefährdung sollten die Grenzwerte weiter gesenkt werden.

Außerdem sollten zukünftig sämtliche Luftschadstoffe gemessen werden, von den ultrafeinen Partikeln über Stickstoff bis zu den Ozonwerten. Das Netz an Messstationen müsse ausgebaut werden und alle Regionen erfassen. Zum Bevölkerungsschutz sollte es zudem wie bereits in Frankreich eine Warn-App geben und das Thema Luftqualität müsse viel stärker Eingang in die Stadtplanung finden.

Luftverschmutzung auf Platz acht der Risikofaktoren

Drei Millionen Partikel atmen wir mit jedem Atemzug ein, gab Prof. Dr. med. Barbara Hoffmann von der Universität Duisburg-Essen zu bedenken. Je nach Größe drängen sie bis in die unteren Lungenbläschen und ins Blut vor, lösten dort Entzündungen aus und fänden Zugang zu allen Organen des Körpers. Die Wissenschaftlerin ergänzte, dass man neben den genannten physischen Erkrankungen auch eine Zunahme neurodegenerativer und psychischer Erkrankungen feststelle. Die Luftverschmutzung stehe in Europa auf Platz acht der Risikofaktoren für genannte Krankheiten. Das individuelle Leid sei beträchtlich. Hinzu kämen hohe Kosten im Gesundheitswesen sowie der wirtschaftliche Schaden, der durch verlorene Arbeitszeit entstehe.

Die gemessenen Werte lägen zwar in Deutschland unterhalb der in der EU zulässigen Werte, aber oberhalb der neuen von der WHO empfohlenen Werte. Die Auswirkungen der Luftverschmutzung auf die Menschliche Gesundheit seien nach aktuellem Erkenntnisstand weitaus höher als früher angenommen. Es seien schwerwiegende ursächliche Effekte der Feinstaubkonzentration auf die Gesundheit nachgewiesen, bis hin zu einem erhöhten Sterberisiko. Der Schutz der vulnerablen Gruppen sei im Gesetzentwurf der EU noch nicht optimal geregelt. Dabei habe die EU-Kommission erkannt: höhere Schadstoffkonzentrationen erhöhten die Krankheitslast und die Kosten für das Gesundheitssystem und die Volkswirtschaft insgesamt. Der Nutzen ambitionierter Luftreinhaltung sei dagegen um ein vielfaches höher.

Die Sachverständige empfahl die Absenkung der Grenzwerte in der neuen EU-Luftqualitätsrichtlinie auf die von der WHO empfohlenen Werte und, auch die Ozonbelastung als verbindlichen Grenzwert hineinzunehmen. Bei der Ursachenbekämpfung müsse man „an alle verursachenden Sektoren ran“. Aber dadurch erziele man zahlreiche „Co-Benefits“, da sich viele Maßnahmen beispielsweise mit dem Klimaschutz oder der Pandemiebekämpfung überlappten.

Überarbeitung der EU-Luftqualitätsrichtlinie

Obwohl wir nicht alle gleich belastet und betroffen sind: die Luftverschmutzung stelle eine globale Herausforderung dar wie der Klimawandel und gehe jeden von uns etwas an, sagte Dr. Dorota Jarosińska von der WHO. Die Zahlen der vielen Erkrankten und Todesfälle erinnerten uns daran, dass noch viel zu tun bleibe und vermehrte Anstrengungen nötig seien. Die Lösung des Problems liege meist außerhalb des Gesundheitssektors. Aber dort müsse eben jeweils das Gesundheitsargument berücksichtigt werden.

Es bestehe Handlungsbedarf in den unterschiedlichsten Bereichen, auf unterschiedlichsten Ebenen. Die Richtwerte der WHO seien in einem aufwändigen und langen Prozess entwickelt worden und stellten ein verlässliches Instrument, das die Länder bei ihrem Kampf für eine bessere Gesundheit ihrer Bevölkerungen unterstützen solle. Entsprechend solle die EU-Luftqualitätsrichtlinie überarbeitet werden.

Auswirkungen von Hitze auf die Gesundheit

Um die Auswirkungen von Hitze auf die menschliche Gesundheit ging es im zweiten Teil der öffentlichen Expertenanhörung. Als Folge des Klimawandels seien davon laut WHO immer Menschen betroffen, sagte Dr. Hedi Katre Kriit vom Umeå University Institute of Global Health (HIGH) and Interdisciplinary Center for Scientific Computing (IWR) der Universität Heidelberg. Ab einer bestimmten Temperatur steige die Zahl hitzebedingter Krankheiten und Todesfälle. Die Zahl der Hitzetage nehme seit Jahren zu. Aktuelle epidemiologische Studien zeigten, wie sich die Situation in den letzten zehn Jahren verändert habe. So sei die hitzebezogene Mortalität überall angestiegen. Betroffen seien vor allem Ältere und chronisch Kranke. Dabei habe die Hitze unterschiedliche Auswirkungen auf die Gesundheit. Hinzu komme, dass Hitzewellen zu Ertragsminderungen in der Landwirtschaft führten und so weltweit die Ernährungssicherheit gefährdeten.

Die Politik müsse daran arbeiten, die Gefahren zu reduzieren und beispielsweise Möglichkeiten schaffen, dass sich Menschen nicht der Hitze aussetzen müssen. Dazu gehöre auch die Bürgerinnen und Bürger zu informieren und deren Verhalten bei Hitze zu trainieren. „Die Menschen müssen resilienter werden.“ Nicht vergessen solle der Norden die Länder des globalen Südens. Diese seien auf größere Hitze nicht gut vorbereitet, die Problemlast sei dort größer.

Entwicklung eines nationalen Hitzeschutzplans

Dr. med. Susanne Johna, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, erinnerte daran, dass sowohl die Zahl der Hitzetage, aber auch der sogenannten tropischen Nächte in Deutschland zunehme. Das betreffe vor allem die Städte, wo die Temperaturen leicht über denen auf dem Land lägen. Die Politik müsse angesichts dieser Entwicklung einen nationalen Hitzeschutzplan sowie regionale Hitzeschutzpläne ausarbeiten. Es gehe darum, Kühlräume auszuweisen, Warnungen des Deutschen Wetterdienstes zu verfeinern.

Neben den unmittelbaren körperlichen Auswirkungen sehe man zahlreiche indirekte Auswirkungen der Hitze. Menschen nähmen zu wenig Flüssigkeit zu sich. Insbesondere Ältere hätten nicht immer die nötige Menge an Mineralwasser bei sich. Ihrem Körper fehlten dann die nötigen Salze. Die Folge seien Unkonzentriertheit oder gar Verwirrtheit. Häufig stürzen diese Menschen dann und zögen sich Brüche zu. Die Hitze führe zudem nachweislich zu höherer Aggressivität und einer höheren Aufnahmequote in die Psychiatrie.

Bei neuen Vorgaben und Plänen sei wichtig, den einzelnen Maßnahme klare Zuständigkeiten zuzuordnen: Wer führt es durch? Für die Bevölkerung brauche es eine Aufklärungskampagne: Wieviel muss ich trinken, wie kleide ich mich richtig, wie informiere ich mich, wo kann ich hingehen? Der Kampf gegen den Klimawandel bringe uns auch im Bereich der Gesundheit weiter. (ll/20.06.2023)

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