Parlament

Frank Schwabe fordert die Stärkung des Europarats

Frank Schwabe hält eine Rede während einer Sitzung des Bundestages im Reichstagsgebäude.

Frank Schwabe (SPD), Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates (© picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres)

„Der Europarat ist der Ort der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie.“ Nach der Konferenz der Staats- und Regierungschefs zur Neuausrichtung der Organisation müsse es „zunächst darum gehen, das, was wir haben, zu stärken“, sagt Frank Schwabe (SPD), Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates. „Das ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Und das ist die konsequente Umsetzung seiner Urteile.“ Im Interview spricht Schwabe über Mitglieder, die sich den Urteilen des Gerichtshofs und den rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien der Organisation entziehen, über die Erfassung und Aufklärung der russischen Kriegsverbrechen und Kriegsschäden sowie über die Notwendigkeit, zu den Menschen in Ländern, die dem Europarat nicht angehören, eine Brücke zu bauen. Das Interview im Wortlaut:

Herr Schwabe, nach dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Mai in Reykjavik: Auf was für ein Echo sind die dortigen Beschlüsse zur neuen strategischen Ausrichtung des Europarates bei den Parlamentariern gestoßen? Haben die Staats- und Regierungschefs die Empfehlungen der Parlamentarier berücksichtigt?

Die Beschlüsse von Reykjavik sind auf weitgehende Unterstützung gestoßen. Eine Bewertung, ob der Gipfel letztlich erfolgreich gewesen ist, kann aber erst in einigen Jahren vorgenommen werden, wenn es um die konkrete Umsetzung der Gipfelergebnisse geht. Die meisten Ergebnisse, die der Gipfel gebracht hat, sind von der Parlamentarischen Versammlung angestoßen worden. Die Regierungen haben nicht alles aufgegriffen, aber die zentralen Beschlüsse decken sich mit den Positionen der Parlamentarischen Versammlung.

Was sind für Sie die wichtigsten neuen Prioritäten? Und was für neue Aufgaben kommen auf den Europarat und die Versammlung zu?

Zunächst muss es darum gehen, das, was wir haben, zu stärken. Das ist der Europäische Gerichtshof für Menschenechte. Und das ist die konsequente Umsetzung seiner Urteile. Der Europarat hat keine andere Chance, als auf die konsequente Umsetzung der Urteile zu drängen. Und auch Konsequenzen zu ziehen, wenn Mitgliedstaaten sich dem nachhaltig verweigern. Außerdem ist die Lage in der Ukraine für den Europarat von hoher Bedeutung. Dazu gehört auch die Schaffung eines Registers mit dem sich die Kriegsschäden erfassen lassen. Darüber hinaus haben wir neue Themenfelder erschlossen, von Fragen des Umweltschutzes bis zur Künstlichen Intelligenz.

In der Sitzungswoche der Versammlung Ende Juni gab es eine Debatte um den kommenden Haushalt der Versammlung für die Finanzierungsperiode 2024 bis 2027. Wie kann die PV und auch der Europarat insgesamt finanziell angemessen ausgestattet werden, wo doch Russland als Mitglied und Beitragszahler nicht mehr dabei ist und gleichzeitig neue Aufgaben auf den Europarat zukommen?

Die Kosten des Europarates sind im Verhältnis zu seiner Wirksamkeit überaus überschaubar. Dennoch braucht es eine ausreichende Finanzierung, insbesondere auch der Aufgaben und Prioritäten, die auf dem Gipfel in Reykjavik beschlossen wurden. Deutschland geht seit Jahren mit gutem Beispiel voran. Andere Länder müssen jetzt auch einen leicht erhöhten Beitrag leisten, damit wir unseren Aufgaben gerecht werden können. Wir reden dabei über wenige Millionen Euro. Aber die Beitrage müssen jetzt erhöht werden.

Herr Schwabe, Sie haben im Frühjahr die Wahlbeobachtungsmission in der Türkei geleitet und nun einen Bericht vorgelegt. Zu was für einem Fazit kommen Sie darin?

Das Fazit ist eindeutig. Am Wahltag gab es das Ergebnis, was die Menschen haben wollten: Es war ein knapper Sieg für die Partei des amtierenden Präsidenten Erdogan. Gleichzeitig müssen wir aber feststellen, dass die Türkei die Bedingungen für demokratische Wahlen, wie wir sie uns als Europarat vorstellen, nicht erfüllt. Wir sehen in der Türkei eine dramatische Einschränkung der Medienfreiheit, dutzende politische Gefangene und ein Klima der Selbstzensur der Medien, gepaart mit einer massiven Bevorteilung der Regierung in den staatlichen Medien. Das haben wir entsprechend kritisiert.

Thema der zurückliegenden Sitzungswoche war auch Russlands Angriffskrieg und die Lage in der Ukraine. Wie bewerten Sie die Situation heute und was für Möglichkeiten haben der Europarat und die Parlamentarier, um die Verbrechen aufzuklären?

Der Europarat selbst wird die Verbrechen nicht aufklären. Aber er tut zwei wichtige Dinge. Zum einen stellt er Mittel und Kompetenz zur Verfügung, um beispielsweise im Bereich der Forensik Verbrechen zu dokumentieren. Zum andern sind wir die erste Organisation gewesen, die sehr klar auf die Einrichtung eines internationalen Sondertribunals zur Ahndung der Verbrechen gedrängt hat.

Die deutsche Seite hatte für die Sitzungswoche in Straßburg ein bewegendes Konzert des belarussischen Volny Chors organisiert. Wie sollte der Europarat mit Belarus, dessen Regierung mit dem Kreml kooperiert und das gleichzeitig eine lebendige Opposition hat, umgehen?

Das Konzert war sehr bewegend. Und es hat deutlich gemacht, dass der Europarat seine Verbindung zur belarussischen Opposition stärken will und gerade auch verstärkt hat. Die Opposition wird in den nächsten Wochen Räumlichkeiten auf der Etage der Parlamentarischen Versammlung beziehen. Das ist mehr als nur Symbolik. Der Europarat ist der Ort der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie. Auch wenn nicht alle Regierungen ihre Länder in den Europarat führen können, weil sie dessen Werten fundamental entgegenstehen, fühlen sich uns auch in diesen Ländern viele Menschen mit uns verbunden. Wir bauen jetzt die Brücke zu diesen Menschen.

Die Versammlung möchte auch antidemokratische Tendenzen in Mitgliedstaaten stärker in den Blick nehmen. Im Oktober möchte die PV eine Wahlbeobachtungsmission nach Polen entsenden. Was passiert gerade in Polen?

Wir haben große Sorge, dass die polnische Regierung im Vorfeld der Wahlen die Möglichkeiten für einen demokratischen Wettbewerb bei diesen Wahlen einschränkt. Das betrifft eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Einschränkung der Justiz, die wir schon in den letzten Jahren kritisiert haben. Aktuell diskutieren wir die sogenannte „Lex Tusk“, ein Gesetzgebungsvorhaben, das mögliche Kooperationen mit Russland in den vergangenen Jahren sanktionieren soll. Es sieht danach aus, dass damit missliebige politische Mitbewerber ausgeschlossen werden sollen.

Mit Großbritannien versucht sich gerade ein weiterer Mitgliedstaat einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu entziehen. Was können die willigen Mitglieder dieser Praxis entgegensetzen?

Für Großbritannien gilt das, was für alle anderen Länder auch gilt: Die Europäische Menschenrechtskonvention gilt. Die Urteile des Gerichtshofs müssen umgesetzt werden. Wenn das nicht geschieht, wird eine rote Linie überschritten und Großbritannien muss mit denselben Maßnahmen rechnen, die wir auch gegenüber anderen Mitgliedstaaten wir zum Beispiel gegenüber der Türkei anwenden. Die britische „illegal migration bill“ ist mit der EMRK nicht zu vereinbaren. Und die Regierung in London muss dafür sorgen, dass sich das Land recht schnell wieder in Einklang mit der Menschenrechtskonvention bewegt.

Im November plant die deutsche Delegation wieder eine Jugendkonferenz im Deutschen Bundestag auszurichten. Worum wird es dort gehen? Wer sind die Teilnehmer?

Wir haben uns vorgenommen, eine regelmäßige Berliner Konferenz zu veranstalten, in der wir mit der jungen Generation über die Zukunft des Europarates und seiner Werte diskutieren. In diesem Jahr erwarten wir hochrangige Gäste wie den Präsidenten der PV. Die Idee ist, dieses Format dauerhaft zu etablieren.

(ll/11.07.2023)

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