Parlament

Heidi Reichinnek: Rechte von Kindern und Frauen stärken

Heidi Reichinnek mit einem Laptop vor der Glaskuppel des Deutschen Bundestages.

Heidi Reichinnek (Die Linke) war viele Jahre in verschiedenen Bereichen der Jugendhilfe tätig. (DBT/photothek/Xander Heinl)

Heidi Reichinnek ist seit September 2021 Bundestagsabgeordnete der Fraktion Die Linke und im September 2023 ist Halbzeit im Parlament. Die Abgeordnete, die sich besonders für die Rechte von Kindern und Frauen stark macht, hält die Strukturen des Parlaments nach zwei Jahren noch immer für etwas bürokratisch und verkopft. Aber sie hat das Gefühl, schon viel von dem angestoßen zu haben, was sie sich für die Legislaturperiode bis 2025 vorgenommen hat: „Als kleinste Oppositionsfraktion haben wir es mit weniger Ressourcen als die anderen Fraktionen in kurzer Zeit geschafft, wichtige Themen zu setzen. Unsere schriftlichen Anfragen und unsere Anträge bekamen große Presseaufmerksamkeit für Themen, die mir und der Fraktion wichtig sind wie beispielsweise der drohende Kita-Kollaps oder die Situation in den Kinderkliniken.“

Kindergrundsicherung und das Kitaqualitätsgesetz

Herzensangelegenheiten waren und sind für die Abgeordnete die Kindergrundsicherung und das Kitaqualitätsgesetz. Die bisherigen Pläne der Regierung zur Kindergrundsicherung überzeugen sie jedoch nicht: „Die Kindergrundsicherung ist zwar meine Herzenssache, aber offensichtlich nicht die der Regierung. 2025 sollen lediglich Kindergeld und Kinderzuschlag sowie die Mittel für Bildung und Teilhabe zusammengezogen werden. Das ist kein Erfolg. Das ist nichts anderes als eine Verwaltungsreform, die ein nettes Label bekommt“, betont Heidi Reichinnek.

Sie hatte dafür gekämpft, dass sich die Kindergrundsicherung am Existenzminimum von Kindern und Jugendlichen orientiert, aber das wird nicht umgesetzt. Und obwohl es im Koalitionsvertrag so festgeschrieben sei, würde sich das SPD-geführte Arbeits- und Sozialministerium keinen Millimeter bewegen. Vom Finanzminister sei nur zu hören, dass alle Ministerien sparen müssten, auch das Familienministerium. „Bei den bisherigen Plänen zur Kindergrundsicherung sehe ich nichts Grünes und nichts Sozialdemokratisches. Insofern war es offensichtlich ein großer Fehler, das Finanzministerium an die FDP zu geben. Denn entgegen jeder volkswirtschaftlichen Logik wird an allen Ecken und Enden gekürzt, außer beim Verteidigungsministerium. Das darf mehr Geld ausgeben“, so Reichinnek.

Es fehlen 14.000 Plätze in Frauenhäusern

Als frauenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion setzt sich die Abgeordnete dafür ein, dass Gewalt gegen Frauen endlich eine höhere Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft bekommt. Für Heidi Reichinnek hat die Verbesserung der Situation von Frauen höchste Priorität. Sie sagt: „Erst kürzlich wurde bekannt, dass es 2022 wieder mehr Fälle häuslicher Gewalt gab und dass die Opferzahl um 9,3 Prozent auf 180.000 Opfer gestiegen ist.“

Um das Problem zu lösen, seien dringend mehr Beratungsstellen und mehr Frauenhausplätze nötig. Es fehlen aber 14.000 Plätze und es gibt zu wenig bezahlbaren Wohnraum für Frauen. „Außerdem muss die Arbeit mit Jungen und Männern stärker in den Fokus rücken, sonst wird sich die Situation nicht ändern. Der Familienausschuss, in dem ich Mitglied bin, muss das Thema immer wieder auf die Tagesordnung setzen“, fügt sie an.

Asylverfahren an den EU-Außengrenzen

Bereits vor ihrer Wahl zur Bundestagabgeordneten habe sie sich für die Verbesserung der Situation von Flüchtlingen in Deutschland und Europa eingesetzt. Nach der Entscheidung für ein einheitliches Asylverfahren an den EU-Außengrenzen vom 9. Juni 2023, das für eine verlässliche Steuerung und Ordnung der Migration sorgen soll, war der Schock in der Fraktion und bei Heidi Reichinnek groß. Lager an den Außengrenzen, in denen auch Familien mit Kindern unter haftähnlichen Umständen untergebracht werden – das ist für sie mit der Menschenwürde nicht vereinbar und nicht weniger als ein Skandal. Die kleinste Oppositionspartei stellte sofort einen Antrag gegen diese massiven Asylrechtsverschärfungen und verlangte eine namentliche Abstimmung im Plenum.

„Wir wollten nach der Entscheidung und dem Aufschrei vieler Nichtregierungsorganisationen zeigen, wer sich wie entscheidet. Auch an diesem Punkt war ich sehr froh, dass wir als Linke noch im Bundestag sitzen, denn sonst hätte es gar keine parlamentarische Resonanz gegeben“, sagt Heidi Reichinnek und fügt an: „Wir können als Opposition bei diesem Thema zeigen, dass wir auch mit 4,9 Prozent eine wichtige Rolle spielen und durch unsere Anträge Alternativen aufzeigen.“ Dass das EU-Parlament das Asylverfahren an den EU-Außengrenzen noch stoppen wird, daran glaubt Reichinnek nicht. Sie bleibt trotzdem kämpferisch und sagt: „Nur, weil die Vereinbarung verabschiedet ist, heißt es nicht, dass man nicht noch was ändern kann. Wir brauchen eine starke Zivilgesellschaft, denn Politik braucht Druck und den werden wir aufrechterhalten.“

Keine Mehrheit für Waffenlieferungen an die Ukraine

18 Monte dauert der völkerrechtswidrige Krieg in der Ukraine nun schon, aber Heidi Reichinnek lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine, ebenso wie ihre Fraktion, kategorisch ab. Anfang Juni änderte sich die Position des Fraktionsvorsitzenden Dr. Dietmar Bartsch. Er und sein Fraktionskollege Dr. Gregor Gysi halten die Lieferung von Luftabwehrraketen für die Ukraine nun für denkbar.

Heidi Reichinnek hält die Diskussion zwar für sinnvoll, sagt aber: „Im Programm der Partei steht, keine Waffenlieferungen. Wenn das geändert werden soll, braucht es einen Parteitagsbeschluss. Entsprechende Anträge können auf dem Parteitag im November gestellt werden. Wir werden sehen, was die Parteimitglieder dort entscheiden.“

Wahlrechtsreform ist undemokratisch

Die Wahlrechtsreform, die am 17. März 2023 von der Ampel-Regierung beschlossen wurde, sieht nur noch 630 Abgeordnete im Deutschen Bundestag vor. Der Wegfall der Grundmandatsklausel träfe besonders Die Linke hart, wenn sie zur Bundestagswahl 2025 die Fünf-Prozent-Hürde nicht schaffen würde. Heidi Reichinnek hält die Reform für hochproblematisch. Ihre Partei wird dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. „Das Problem, dass nicht mehr alle Direktwahlkreise vertreten sein können und dass Direktkandidaten oder Kandidatinnen, die gewählt werden, trotzdem nicht in den Bundestag einziehen, ist undemokratisch. Wir müssen uns auch fragen, welche gleichstellungspolitische Folgen es geben wird“, sagt Reichinnek.

Im Plenum ist die Abgeordnete schon fast ein Profi, denn sie trat in den vergangenen zwei Jahren schon mehr als 30 Mal als Rednerpult. Beim ersten Mal hatte sie noch Lampenfieber, inzwischen ist sie entspannter. Sie sagt: „Von der rechten Seite kommen zwar immer wieder Zwischenrufe, wenn ich ans Pult gehe, und ich wurde schon mehrfach beleidigt, aber ich sage mir: Solange das von rechts kommt, ist es mir egal. Ich habe von diesen Menschen keine hohe Meinung, deswegen können sie mich nicht beleidigen.“

Kontakte im Wahlkreis und über Social Media

Die zweite Halbzeit der Legislaturperiode will Heidi Reichinnek weiterhin dafür nutzen, um in ihrem Wahlkreis Osnabrück, in Niedersachsen und ganz Deutschland mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Regemäßig lädt sie zu einem Frühstück in ihr Wahlkreisbüro ein, um dort von den Problemen der Menschen zu erfahren. „Viele Kontakte laufen aber über die sozialen Medien. So komme ich vor allem mit jungen Menschen ins Gespräch, die mir zum Beispiel vom Erstarken der Rechten berichten und wissen möchten, wie sie damit umgehen sollen. Andere haben Angst vor Übergriffen auf queere Menschen und natürlich spielt auch das Thema Inflation eine Rolle“, sagt die Abgeordnete.

Heidi Reichinnek wird sich in den nächsten zwei Jahren weiter um das Thema Kindergrundsicherung kümmern und will helfen, den drohenden Kitakollaps zu verhindern. „Ein Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz besteht im August 2023 schon zehn Jahre, aber Anspruch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Aktuell fehlen in Deutschland 380.000 Kitaplätze und das muss sich im Sinne der Kinder und Familien sowie Fachkräfte, die vernünftig arbeiten wollen, unbedingt ändern“, so die Abgeordnete abschließend. (bsl/07.08.2023)

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