1. Untersuchungsausschuss

Zeuge: Charterflüge für Ortskräfte wären zu teuer geworden

Eine Militärmaschine hebt im August 2021 vom internationalen Flughafen in Kabul ab.

Der Ausschuss befasst sich mit dem Afghanistan-Abzug der Bundeswehr. (picture alliance/EPA-EFE | Stringer)

Der 1. Untersuchungsausschuss (Afghanistan) hat in seiner ersten Sitzung nach der parlamentarischen Sommerpause am Donnerstag, 21. September 2023, zunächst einen Referenten im Referat Afghanistan und Pakistan im Auswärtigen Amt (AA) befragt. Der Oberstleutnant a.D. war vor und während des Untersuchungszeitraums als militärpolitischer Berater beim AA tätig. Er bezeichnete seine Rolle auch als „Verbindungsoffizier“ zwischen dem AA und dem Bundesministerium für Verteidigung (BMVg).

Schließung des Generalkonsulats in Masar-e Scharif

Die Abgeordneten interessierten sich vor allem für die Schließung des Generalkonsulats in Masar-e Scharif und den Umgang mit den afghanischen Ortskräften. Ein Thema war die Diskussion um Charterflüge für die Ortskräfte, außerdem wollten die Abgeordneten wissen, ob der Zeuge Vorschläge für eine bessere Bearbeitung der Anträge von Ortskräften gemacht habe.

Er erklärte, es sei jedem klar gewesen, dass das Generalkonsulat in Masar-e Scharif parallel zum Abzug der Bundeswehr irgendwann geschlossen werden müsse. Das habe er auch frühzeitig in einer Ministerialvorlage zur Sprache gebracht und dabei auch auf die Ortskräfte hingewiesen. Die Vorlage habe man damals aber nicht weiterverfolgt. Ein Jahr später sei seine zweite Vorlage vom damaligen Außenminister Heiko Maas (SPD) gebilligt worden. Darin habe er die Situation der Ortskräfte nicht mehr erwähnt, denn zu diesem Zeitpunkt seien schon alle anderen Stellen in dieser Frage „sensibilisiert“ gewesen.

Er habe gleich nach dem Abschluss des Doha-Abkommens zwischen den USA und den Taliban im Februar 2020, in dem der Abzug westlicher Streitkräfte aus Afghanistan vereinbart wurde, vorgeschlagen, für die Ortskräfte „großzügige Übergangsregelungen“ zu finden. Dabei habe er vor allem an finanzielle Abfindungen gedacht, da die lokalen Mitarbeiter nach dem Abzug auch wirtschaftliche Schwierigkeiten haben würden. „Vielleicht aber auch um zu verhindern, dass sie einen Antrag auf Aufnahme stellen“, fügte der Zeuge hinzu. Er habe mit ungefähr 1.900 Anträgen gerechnet.

Zeuge: Ortskräfte hatten bereits ein Visum

Aus seiner Sicht hätte eine Massenflucht verhindert werden sollen. Daher hätten sie keine „offensichtlichen Bilder“ senden wollen. „Wir haben die Ausreise der Ortskräfte aber nicht verhindert“, sagte der Oberstleutnant a.D.. Er habe Vorschläge gemacht, um die Bearbeitung der Anträge zu verbessern, sagte er weiter aus, und habe angeregt, das Personal in der deutschen Botschaft in Teheran aufzustocken, da die Botschaften in Islamabad und Neu-Delhi überfordert gewesen seien. Gleichzeitig habe er sich gegen Charterflüge für die Bundeswehr-Ortskräfte ausgesprochen. Erstens wären solche Flüge für die Bundesregierung und die Steuerzahler zu teuer geworden, zweitens habe es zum damaligen Zeitpunkt noch Linienflüge nach Masar-e Scharif gegeben. Viele Ortskräfte hätten damals bereits ein Visum für Deutschland gehabt, aber die Gelegenheit nicht genutzt, einen Linienflug zu nehmen. „Im Juli 2021 gab es noch Linienflüge“, unterstrich der Zeuge und fragte: „Warum sollte ich mir etwas anderes überlegen?“ 

Er habe die Sachlage mit Argumenten ergänzt. Das sei seine Aufgabe gewesen. Die Entscheidungsträger müssten schließlich alle Argumente kennen, um ihre Entscheidungen der Öffentlichkeit zu vermitteln.

Viele Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ressorts 

Am Abend befragten die Abgeordneten erneut zwei Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes (AA) zur Evakuierung der afghanischen Ortskräfte, die nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban chaotisch verlaufen war. Ein Referatsleiter, der für das Visaverfahren des AA zuständig ist, gab Auskunft über die Anstrengungen seines Referats, die Evakuierung der Ortskräfte aus Afghanistan frühzeitig zu beschleunigen. Schnell nach der Unterzeichnung des Doha-Abkommens zwischen den USA und den Taliban, das den Rückzug westlicher Truppen aus Afghanistan regelte, hätten sie gemerkt, dass schon eine leichte Erhöhung bei den Aufnahmeanträgen, große Schwierigkeiten verursacht hätte.

Sie hätten daher verschiedene Optionen mit anderen Ministerien diskutiert, sich jedoch lange nicht durchsetzen können. Dabei wies der Zeuge Aussagen früherer Zeugen vom Bundesinnenministerium (BMI), es habe keinen Einfluss auf die Prozesse gehabt, zurück: „Um den Prozess zu beschleunigen, mussten wir andere Wege nehmen als die klassische Ortskräfteverfahren (OKV). Wir haben mehrmals Visa-on-Arrival vorgeschlagen. Das BMI hat abgelehnt. Sie konnten immer Einfluss nehmen.“ Auch eine Kooperation mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) bei der Antragsannahme habe das BMI anfangs abgelehnt.

Doch auch im eigenen Haus hätten unterschiedliche Meinungen existiert, berichtete er. Das bestätigte auch die stellvertretende Referatsleiterin des Länderreferats Afghanistan und Pakistan im AA. Ziel sei es gewesen, den innerafghanischen Friedensgesprächen zum Erfolg zu verhelfen, sagte sie. Es sei um ziviles Engagement gegangen. Durch die Annahme, dass die Partner vor Ort bleiben und das Land weiter unterstützen würden, hätten die afghanische Bevölkerung und die Regierung eine Grundsicherung gegenüber negativen Entwicklungen gehabt. Öffentlichkeitswirksame Maßnahmen wie Charterflüge für Ortskräfte hätten diese Bemühungen untergraben, urteilte die Diplomatin.

Untersuchungsauftrag

Der vom Deutschen Bundestag am 8. Juli 2022 eingesetzte Ausschuss befasst sich mit den Geschehnissen im Zusammenhang mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und der Evakuierung des deutschen Personals, der Ortskräfte und anderer betroffener Personen. Betrachtet wird der Zeitraum vom 29. Februar 2020 – dem Abschluss des sogenannten Doha-Abkommens zwischen der US-Regierung unter Ex-Präsident Donald Trump und Vertretern der Taliban – bis zum Ende des Mandats zur militärischen Evakuierung aus Afghanistan am 30. September 2021.

Der Ausschuss hat den Auftrag, sich ein Gesamtbild zu den Erkenntnissen, dem Entscheidungsverhalten und dem Handeln der Bundesregierung einschließlich involvierter Bundesbehörden und Nachrichtendienste zu verschaffen, inklusive des Zusammenwirkens zwischen deutschen und ausländischen Akteuren. Ebenfalls aufgeklärt werden soll, inwiefern die Bundesregierung auf die Umsetzung des Doha-Abkommens und die Gestaltung des Truppenabzugs durch die USA Einfluss genommen hat. Anhand der Untersuchungsergebnisse soll der zwölfköpfige Ausschuss zudem in seinen Schlussfolgerungen empfehlen, welche Konsequenzen aus seinen gewonnenen Erkenntnissen zu ergreifen sind. (crs/26.09.2023)

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