1. Untersuchungsausschuss

Zeugen: Parlament wurde vollständig unterrichtet

US-Soldaten schützen den Hamid Karzai International Airport (HKIA) am 17. August 2021.

US-Soldaten schützen den Hamid Karzai International Airport (HKIA) am 17. August 2021. (picture alliance / Newscom | SrA Taylor Crul)

In der 52. Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses (Afghanistan) haben die Abgeordneten einen Referatsleiter im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) befragt, der für die Vorbereitung der wöchentlichen militärischen Lageberichte über die Auslandseinsätze der Bundeswehr und Entwicklungen im Einsatzgebiet, den sogenannten Unterrichtungen des Parlamentes (UdP), zuständig ist. Er erklärte den Abgeordneten am Donnerstag, 19. Oktober 2023, seine Aufgabe bestehe hauptsächlich darin, die von den Fachreferaten und dem Auswärtigen Amt zugelieferten Berichte zu koordinieren. Ziel sei es, das Parlament regelmäßig zu informieren, damit die Abgeordneten sich ein eigenes Bild von der Lage machen könnten.

Zeuge: Informationen wurden nicht zurückgehalten

Gefragt nach einer internen E-Mail, in der dazu geraten wird, den Bundestag nur in „homöopatischen Dosen zu unterrichten“, gestand der Marineoffizier, dies sei eine sehr unglückliche Formulierung gewesen. Er habe jedoch stets „mit bestem Wissen und Gewissen“ berichtet und keine Informationen, die in seinem Besitz gewesen seien, zurückgehalten. Die UdPs seien nach Billigung des Generalinspekteurs der Bundeswehr dem Parlament zur Verfügung gestellt worden.

Der Zeuge unterstrich, dass als geheim eingestufte Informationen nur dem Verteidigungsausschuss weitergegeben werden durften und daher nicht in den UdPs erwähnt werden konnten. Im Ausschuss habe der vortragende Staatssekretär immer das Recht zu entscheiden, was er letztendlich vortragen werde. Zu keinem Zeitpunkt sei er dazu aufgefordert worden, aus politischen Gründen irgendwelche Informationen zurückzuhalten.

Dem Zeuge zufolge habe man es im Bundesverteidigungsministerium auch nach dem Doha-Abkommen zwischen den USA und den Taliban über einen Truppenabzug für möglich gehalten, dass die afghanischen Streitkräfte sich über einen längeren Zeitraum halten könnten. In den Diskussionen sei man sich aber auch einig gewesen, dass die Taliban die Mittel hätten, langfristig das Land zu kontrollieren, wenn die afghanische Regierung nicht mehr unterstützt werde. 

Zeugin: Verhältnis zu den USA war schwierig

Eine weitere Zeugin ist im Untersuchungszeitraum als Sicherheitsbeauftragte des Auswärtigen Amtes (AA) verantwortlich für die Beziehungen zu den Nato-Partnern, vor allem den USA, gewesen. Sie bezeichnete sich außerdem als das „Gesicht des AA im Verteidigungsausschusses“, weil sie dort regelmäßig Rede und Antwort stand.

Das Verhältnis zu den USA zum Zeitpunkt des Doha-Abkommens sei unter dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump schwierig gewesen, erinnerte sie sich. Man sei „immer wieder mit destruktiven Entscheidungen konfrontiert“ worden. Deutschland habe jahrelang versucht, mit den Taliban zu verhandeln, sei damit aber gescheitert, weil diese sich Verhandlungsfortschritten stets entzogen hätten. Insofern habe Deutschland nie infrage gestellt, dass es einen Rückzug der Truppen geben würde. Das Ziel aber sei gewesen, den Einsatz verantwortlich zu beenden. „Der Abzug, den wir uns vorgestellt haben, wäre verschränkt gewesen mit einem politischen Prozess, der das Problem beseitigt hätte“, sagte die Diplomatin.

Stattdessen habe das Doha-Abkommen festgelegt, dass der Abzug innerhalb von 14 Monaten stattfinden würde. Während der Verhandlungen hätten deutsche Diplomaten stets im engen Kontakt mit ihren US-Kollegen gestanden, berichtete die Zeugin. Der Grundansatz sei gewesen, ein Abzug der Truppen in Aussicht zu stellen. Was die deutsche Seite aber nicht gewusst hätte, sei die Tatsache gewesen, „dass dieser Abzug nicht mit dem politischen Prozess verbunden war“. 

Überprüfung des Doha-Abkommens

Nach dem Abkommen habe das AA zunächst versucht, Zeit zu gewinnen und Automatismen zu verhindern, weil deutlich gewesen sei, dass Trump bereits im Vorfeld die Entscheidung zum Abzug getroffen habe. Nach der Abwahl Trumps, sei man jedoch „gehandicapt“ gewesen, weil die neue Administration in der Übergangsphase mit ausländischen Vertretern nicht gesprochen habe. Andererseits habe die Zeit gedrängt, weil der Rückzugstermin sich näherte.

Alle deutschen Vertreter, von der damaligen Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel bis hin zu den Ministern und Sicherheitsberatern, hätten das Thema immer auf die Tagesordnung gesetzt. Daraufhin habe die USA das Abkommen einer Überprüfung unterzogen. „Sie haben es sich nicht leicht gemacht“ sagte die Zeugin. Am Ende habe sich der neue Präsident Joe Biden jedoch trotz allem für einen zeitbasierten Ansatz entschieden. Ab diesem Zeitpunkt sei es dem AA nur noch darum gegangen, dem Bündnis keine Schäden zuzufügen.

Sie habe sich immer bemüht dem Verteidigungsausschuss des Bundestages sachlich über die Entwicklungen zu berichten und habe stets den Eindruck gehabt, die Abgeordneten fühlten sich ausreichend informiert. Die Zeugin berichtete, dass sie dem Ausschuss mehrmals eine Unterrichtung durch den Sonderbeauftragten der Bundesregierung, Markus Potzel, angeboten habe. Der Ausschuss sei jedoch nicht darauf eingegangen. Außerdem seien immer wieder die Obleute der Fraktionen unterrichtet worden.

Högl: Die Soldaten hätten einen klaren Auftrag gebraucht

Die zweite Zeugin des Abends, die Wehrbeauftragte des Bundestages Dr. Eva Högl, bestätigte aus der Perspektive der Abgeordneten die Aussagen der Zeugen aus den Reihen der Bundesregierung. Sie habe sich stets gut informiert gefühlt, unterstrich sie. Sie räumte aber ein, dass sie sich schließlich auf die Informationen des Verteidigungsministeriums verlassen musste. „Vielleicht wurde über die Lage der afghanischen Streitkräfte nicht genug berichtet“ sagte sie, „aber das wissen wir erst jetzt.“ Sie könne dafür niemandem Vorwürfe machen, betonte die Wehrbeauftragte und frühere SPD-Abgeordnete.

Högl betonte, dass die Bundesregierung den Abgeordneten alle Informationen, einschließlich militärische Informationen, „ehrlich und vollständig“ liefern müsse. Die Abgeordneten würden selbst entscheiden, was sie mit diesen Informationen machen. Die Wehrbeauftragte berichtete dem Untersuchungsausschuss außerdem von ihren Begegnungen mit den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die am Evakuierungseinsatz am Kabuler Flughafen beteiligt waren. Demnach seien sie überfordert gewesen, weil sie vor Ort entscheiden mussten „wer mitkommt und wer nicht.“ Sie hätten einen klaren Auftrag gebraucht, stellte Högl fest.

Untersuchungsauftrag

Der vom Deutschen Bundestag am 8. Juli 2022 eingesetzte Ausschuss befasst sich mit den Geschehnissen im Zusammenhang mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und der Evakuierung des deutschen Personals, der Ortskräfte und anderer betroffener Personen. Betrachtet wird der Zeitraum vom 29. Februar 2020 – dem Abschluss des sogenannten Doha-Abkommens zwischen der US-Regierung unter Ex-Präsident Donald Trump und Vertretern der Taliban – bis zum Ende des Mandats zur militärischen Evakuierung aus Afghanistan am 30. September 2021.

Der Ausschuss hat den Auftrag, sich ein Gesamtbild zu den Erkenntnissen, dem Entscheidungsverhalten und dem Handeln der Bundesregierung einschließlich involvierter Bundesbehörden und Nachrichtendienste zu verschaffen, inklusive des Zusammenwirkens zwischen deutschen und ausländischen Akteuren. Ebenfalls aufgeklärt werden soll, inwiefern die Bundesregierung auf die Umsetzung des Doha-Abkommens und die Gestaltung des Truppenabzugs durch die USA Einfluss genommen hat. Anhand der Untersuchungsergebnisse soll der zwölfköpfige Ausschuss zudem in seinen Schlussfolgerungen empfehlen, welche Konsequenzen aus seinen gewonnenen Erkenntnissen zu ergreifen sind. (crs/20.10.2023)

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