1. Untersuchungsausschuss

Afghanistan-Einsatz verdeutlicht strukturelle Probleme der Ministerien

In zwei Panels haben am Dienstag, 14. November 2023, Abgeordnete und Experten über die bisherigen Erkenntnisse des 1. Untersuchungsausschusses Afghanistan diskutiert. In seiner Eröffnungsrede erinnerte der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses Ralf Stegner (SPD) daran, dass die Untersuchung vom Bundestag beauftragt wurde und betonte: „Wir sind uns bewusst, wie wichtig diese Aufgabe ist.“ Der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan untersucht die Ereignisse und Entwicklungen in Afghanistan zwischen der Unterzeichnung des Doha-Abkommens im Februar 2020, mit dem die USA und die radikalislamischen Taliban den Abzug ausländischer Truppen vereinbarten, und der chaotischen Evakuierung am Kabuler Flughafen im August 2021.

Erstes Panel: Vorläufige Erkenntnisse

Im ersten Panel stellten die Obfrauen und -männer der Fraktionen die ersten Erkenntnisse vor, die sie durch die Sichtung von hunderttausenden gedruckten Dokumenten, Mitteilungen in Benachrichtigungsdiensten und der Befragung von Zeugen gewonnen haben. Sara Nanni (Bündnis 90/Grüne) sagte, die größte Überraschung für sie sei „die gute Zusammenarbeit der demokratischen Fraktionen“, obwohl diese unterschiedliche Schwerpunkte hätten. Eine Beobachtung, die andere Panel-Teilnehmer teilten.

Thomas Röwekamp (CDU/CSU) und Jörg Nürnberger (SPD) hoben hervor, dass es darum gehe herauszufinden, welche Fehleinschätzungen es gegeben habe und welche falschen politischen Entscheidungen getroffen wurden, um am Ende gemeinsam festzustellen, wie die gleichen Fehler zukünftig vermieden werden können. Stefan Keuter (AfD) kritisierte hingegen die Trennung des Untersuchungsausschusses von der Enquete-Kommission, deren Aufgabe es ist, Lehren aus dem gesamten deutschen Engagement in Afghanistan für die Zukunft zu ziehen.

„In Sachen Ortskräfte ist alles schiefgelaufen“

Zu den wichtigsten Erkenntnissen des Ausschusses gehören strukturelle Probleme in den Ministerien. Ann-Veruschka Jurisch (FDP) fragte, ob in Deutschland „Frühwarnsysteme“ für solche Einsätze existieren. Das Ressortsystem habe verhindert, „gemeinsame Lagebilder zu erstellen und gemeinsam zu handeln“, und es habe keine Runde gegeben, die diese Lage auflöste.

Auch Sara Nanni stellte fest, dass die Ministerien bis kurz vor Ende die Lage unterschätzt hätten und forderte, dass die Ministerien mit dem schlimmsten anzunehmenden Fall arbeiten müssten. Vor allem über den Umgang mit Ortskräften hätten die Ministerien unterschiedliche Positionen vertreten; man habe sich erst im August 2021 einigen können. „In Sachen Ortskräfte ist alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte“, sagte sie.

Differenzen zwischen den Fraktionen 

An dieser Stelle traten auch parteipolitische Differenzen auf. Während der SPD-Abgeordnete Jörg Nürnberger der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel von der CDU und dem Bundeskanzleramt Passivität vorwarf, erinnerte Röwekamp von der CDU/CSU-Fraktion das Publikum daran, das Merkel sich für die Erweiterung des Berechtigtenkreises des Ortskräfteverfahrens und für Charterflüge eingesetzt hat. Er kritisierte stattdessen das damals SPD-geführte Auswärtige Amt. 

Als der AfD-Abgeordnete Keuter mit einem Hinweis auf die Aussage eines Mitarbeiters der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sagte, eine Gefahr für Leib und Leben der Ortskräfte habe es nicht gegeben, reagierte die Abgeordnete der Fraktion Die Linke Clara Bünger. Laut Bundesregierung und Meinung der Experten liege eine Gefährdung der Ortskräfte sehr wohl vor, sagte sie und forderte, dass der Untersuchungsauftrag frei von populistischen Gedanken geführt werde. Sie fügte hinzu, dass auch über das „Nicht-Einbeziehen der afghanischen Bevölkerung in die Entscheidungen“ diskutiert werden müsse. „Der Ausschuss kann die Dinge nicht zurückdrehen“, sagte sie, „aber wir können herausfinden, was die deutsche Verantwortung war.“ Am Ende betonte Röwekamp, dass der Ausschuss kein Urteil sprechen wird. Er fügte hinzu: „Im Rückblick sieht man die Fehler. Aber wir reden hier über relativ komplexe Entscheidungsprozesse.“ Alle Abgeordneten rechneten mit Blick auf die zu erwartenden Auftritte der damaligen politischen Verantwortlichen mit einer politischen Debatte.

Zweites Panel: Kontrolle der Auslandseinsätze

Im zweiten Panel diskutierten Carlo Masala, Mitglied der Enquete-Kommission, von der Bundeswehr Universität, der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes André Wüstner sowie die Völkerrechtsexperten Christian Marxsen von der Humboldt Universität und Carolyn Moser von dem Max-Planck-Institut darüber, wie die Auslandseinsätze zukünftig besser kontrolliert werden können.

Marxsen schlug vor, vor einer Entsendung der Bundeswehr neben dem Bundestag auch das Bundesverfassungsgericht zu fragen. Eine Idee, die Masala und Moser kritisch sahen. Während Masala eine Einschränkung der Handlungsfähigkeit des Bundestages befürchtet, findet Moser, dass das Bundesverfassungsgericht dadurch zu einem politischen Akteur werden würde. Andrè Wüstner wies am Ende der Veranstaltung auf einen weiteren Fehler hin. Anknüpfend an die Erfahrungen der Bundespolizei, sagte er, müsse man näher an das Gastland herantreten und fragen, was sie denn haben wollen. (crs/15.11.2023)

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