Regierungserklärung

Fraktionen streiten nach Kanzler-Rede über die Schuldenbremse

Der Bundestag hat sich am Dienstag, 28. November 2023, im Rahmen einer Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Folgen des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zum Nachtragshaushalt 2021 befasst. Die Karlsruher Richterinnen und Richter hatten am 15. November den Nachtragsetat für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Das Gericht hatte entschieden, dass das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 mit der Schuldenregel des Grundgesetzes (Artikel 109 Absatz 3) sowie mit den Artikeln 110 Absatz 2 und 115 Absatz 2 des Grundgesetzes unvereinbar und damit nichtig ist (Aktenzeichen: 2 BvF 1 / 22). 

Im Nachgang der Entscheidung hatten die Koalitionsfraktionen die abschließende Beratung des Haushaltsentwurfes für 2024 verschoben, um die Auswirkungen des Richterspruchs auf die Etatplanung zu prüfen. Am Montag beschloss die Bundesregierung zudem einen Entwurf für einen Nachtragshaushalt für das laufende Jahr. Damit will die Bundesregierung insbesondere die Finanzierung der Gas- und Strompreisbremse aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds sowie die Wiederaufbauhilfe für die Betroffenen der Flutkatastrophe von 2021 in Reaktion auf das Urteil rechtlich absichern. Dazu ist eine Ausnahme von der Schuldenregel des Grundgesetzes erforderlich, für die die Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP einen Antrag vorgelegt haben. Antrag und Gesetzentwurf sollen am Freitag, 1. Dezember, erstmals beraten werden.

Kanzler: Es geht für uns alle um viel

In seiner Regierungserklärung verteidigte Bundeskanzler Scholz die Entscheidung seiner Regierung für den Nachtragshaushalt 2021. Rechtliche Fragen seien damals noch nicht abschließend geklärt gewesen, man habe eine Einschätzung vorgenommen, die nun verworfen worden sei. „Das Bundesverfassungsgericht hat damit Klarheit geschaffen und das Gericht hat das letzte Wort“, sagte der Kanzler. Scholz führte aus, dass das Urteil eine „neue Realität“ schaffe, und zwar für die Bundesregierung, aber auch für alle Regierungen in den Ländern. Mit Blick auf den vorgeschlagenen Nachtragshaushalt führte Scholz an, warum aus Sicht der Bundesregierung eine Ausnahme von der Schuldenbremse wieder nötig sei. 

Mit Blick auf den Haushalt 2024 sagte Scholz, man arbeite „intensiv“ daran, die Beschlüsse für den Etat „so schnell wie möglich zu treffen“. Durch die Verschiebung des Beschlusses gebe es die Zeit, „vorhandene Spielräume auszuloten, Schwerpunkt zu setzen und natürlich auch Ausgaben zu beschränken“, sagte Scholz. Der Bundeskanzler macht deutlich, dass weder bei der Unterstützung der Ukraine, der „Bewältigung der Energiekrise“ noch bei der „Modernisierung des Landes“ nachgelassen werde dürfe. „Es geht für uns alle um viel, es geht um sichere Arbeitsplätze, um eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, es geht um ein gutes Leben für die kommenden Generationen und geht um unsere Fähigkeit, auch kommende Krisen zu bewältigen“, sagte Scholz.

CDU/CSU gegen eine Lockerung der Schuldenbremse 

Für die Unions-Fraktion griff der Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz (CDU/CSU) die Bundesregierung scharf an. Der Kanzler sei für sein Amt nicht geeignet, die Schuhe, „in denen Sie als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland stehen, sind ihnen mindestens zwei Schuhnummern zu groß“. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sei in der Sache richtig, komme zum richtigen Zeitpunkt und sei vor allem notwendig gewesen, sagte Merz. Die Ampel habe den Versuch unternommen, „die Verschuldungsgrenze des Grundgesetzes in einer nicht gekannten, geradezu dreisten Art und Weise zu umgehen“, so Merz. Der Christdemokrat wies den Vorwurf zurück, die Union, die gegen den Nachtragshaushalt geklagt hatte, habe nach dem Urteil triumphiert. „Uns ist die Tragweite dieser Entscheidung sehr wohl bewusst.“

Merz stellte sich gegen eine Lockerung der Schuldenregel im Grundgesetz. Die Ampel solle gar nicht erst versuchen, einen Keil in die Union zu treiben. „Die Entscheidungen werden hier im Bundestag getroffen und nicht im Rathaus in Berlin“, sagte Merz offenbar mit Verweis auf Äußerungen des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Kai Wegner (CDU), der eine Modifizierung der Schuldenbremse ins Gespräch gebracht hatte. Merz hob zudem hervor, dass Deutschland auch in der Euro-Währungsgemeinschaft eine Vorbildrolle innehabe. „Wenn in Deutschland die Dämme brechen, werden sie auch in allen Ländern der Währungsunion nicht halten.“ 

Grüne für eine Modifizierung der Schuldenregel

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gab die Co-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge (Bündnis 90/Die Grünen) zu, dass die Ampel-Koalition die rechtliche Dimension des Nachtragshaushaltes 2021 „falsch eingeschätzt“ habe. „Das bedauern wir, das räumen wir jetzt auf“, sagte Dröge. Sie hob zudem die Notwendigkeit staatlicher Investitionen hervor. Dröge verwies unter anderem auf 738 Milliarden US-Dollar, die in den USA in Klimaschutztechnologien und Co. investiert würden. Wer nicht bereit sei, in „relevanter Größenordnung einzusteigen“, der werde im Wettbewerb „gnadenlos verlieren“, warnte Dröge. 

Sie sprach sich zudem dafür aus, über eine Modifizierung der Schuldenregel nachzudenken – und verwies in diesem Zusammenhang auf ähnliche Äußerungen von Ministerpräsidenten der Union. Die Schuldenbremse führe nicht dazu, dass man weniger Schulden mache, sondern dazu, dass man Schulden „in der sinnlosesten aller Formen“ mache, etwa durch kaputte Infrastruktur, die dann spätere Generationen bezahlen müssten, so die Grünen-Abgeordnete.

AfD fordert Neuwahlen

Für die AfD-Fraktion attackierte die Co-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel (AfD) die Bundesregierung scharf und forderte Neuwahlen. „Keine zwei Jahre Ampel und Deutschland steckt in der Dauerkrise und steht am Rand der Zahlungsunfähigkeit“, so Weidel. Die Bürger hätten von Scholz keine Regierungs-, sondern eine Rücktrittserklärung erwartet. Die Koalition regiere „gegen die Vernunft, gegen die Wirklichkeit, gegen den Willen und das Wohl der Bürger – und sie regiert gegen die Verfassung“, sagte die AfD-Abgeordnete. 

Die Krise sei längst eine „umfassende, manifeste Vertrauenskrise geworden“. Die Politik der Regierung „delegitimiert die demokratischen Institutionen in den Augen der redlichen Bürger“. In Richtung Scholz forderte Weidel: „Eröffnen Sie den Weg für Neuwahlen und erlösen Sie dieses Land von der Ampelregierung.“

FDP: Verfassungsgericht hat Schuldenbremse gestärkt

Für die FDP-Fraktion betonte der Fraktionsvorsitzende Christian Dürr (FDP), dass das Bundesverfassungsgericht mit dem Urteil Klarheit über die Ausnahmen von der Schuldenbremse geschaffen habe und „im Kern die Schuldenbremse“ gestärkt habe. Davon sei nicht nur die Praxis dieser Regierung betroffen, sondern eine Praxis auf Bundes- und Landesebene betroffen, die von allen politischen Akteuren verantwortete worden sei. 

Bezüglich des Nachtragshaushaltes für 2023 betonte Dürr, dass der Bund keine zusätzlichen Schulden mache, tatsächlich werde die Nettokreditaufnahme um 40 Prozent sinken. Dürr hob die Notwendigkeit von Zukunftsinvestitionen hervor, aber auch von Impulsen für private Investitionen. In diesem Zusammenhang warf er der Union vor, dass vom Bundestag bereits beschlossene Wachstumschancengesetz aus „taktischen Gründen“ im Bundesrat zu blockieren. 

Linke: Schuldenbremse ist eine Investitionsbremse

Für die Fraktion Die Linke erklärte der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch, er habe „mehr Demut“ von der Koalition erwartet. Das Urteil habe zu einer „veritablen Regierungskrise“ geführt und die Regierung „völlig unvorbereitet“ getroffen. „Die Notlage in diesem Land heißt Ampel, und dagegen helfen nicht einmal Kredite“, frotzelte Bartsch. 

Der Linken-Abgeordnete kritisierte das Festhalten an der Schuldenbremse. Diese sei eine „Investitionsbremse“ und ein „Anschlag auf die Zukunft“. Er sprach sich dafür aus, Vermögende stärker zu belasten und Prioritäten im Haushalt, etwa die Unterstützung der Ukraine und die Steigerung im Verteidigungsetat, zu überdenken.

SPD fordert Ausnahme von der Schuldenbremse

Für die SPD-Fraktion übte der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich (SPD) Kritik an der Schuldenregel im Grundgesetz. Eine „wahllos gegriffene politische Größe“ dürfe nicht als „Monstranz“ vor sich hergeführt werden, wenn es um die Zukunft des Landes gehe. Es brauche „grundsätzliche Korrekturen“ an deren Gestaltung, so Mützenich. Mit Blick auf die Folgen des Urteils warnte Mützenich davor, andere zum Sündenbock zu machen. Er erwähnte dabei den von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) jüngst in den Ruhestand versetzten Haushalts-Staatssekretär Werner Gatzer. 

Zudem äußerte Mützenich Kritik am Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtes – unmittelbar vor der Bereinigungssitzung zum Haushalt 2024 – sowie teilweise am Inhalt der Entscheidung. Mit Blick auf den Haushalt 2024 warb Mützenich dafür, erneut eine Ausnahme von der Schuldenbremse zu erwirken. „Wenn die Zeiten keine normale Zeiten sind, dann kann es auch keinen normalen Haushalt geben“, so der Sozialdemokrat. Grundsätzlich führte Mützenich an, dass hinter einem Haushalt auch immer politische Antworten stünden: „Wir entscheiden über die Bollwerke einer lebensfähigen sozialen Demokratie.“ 

Den Abgeordneten lagen zu der Regierungserklärung Entschließungsanträge der AfD-Fraktion (20/9489) und der Fraktion Die Linke (20/9490) vor, die jeweils mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen zurückgewiesen wurden. Die AfD forderte darin unter anderem, unverzüglich eine generelle Haushaltssperre zu verfügen für sämtliche Ausgaben, für die es keine Rechtsverpflichtung gibt. Die Linksfraktion forderte unter anderem, ein Zukunftsprogramm aufzulegen. (scr/28.11.2023)

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