Vor 70 Jahren: Deutscher Bundestag führt Zwischenfrage ein
Vor 70 Jahren, am 10. Dezember 1953, hat der Deutsche Bundestag die Zwischenfrage eingeführt. Recht unspektakulär und beinahe beiläufig wurde das neue Instrument der parlamentarischen Debatte dadurch eingeführt, dass der Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Hermann Ehlers (1904-1954), auf eine technische Neuerung im Plenarsaal hinwies und dazu erklärte: „Sie sehen, dass rechts, in der Mitte und links einige Mikrofone angebracht worden sind.“
Diese 15 neuen Saalmikrofone sollten in erster Linie für Zusatzfragen in der Fragestunde dienen. Ehlers führte dazu jedoch aus: „Wir haben vor, künftig die Fragen der Fragestunde von diesen Mikrofonen aus stellen zu lassen und die Mikrofone auch dazu zu benutzen, eventuelle Zwischenfragen, Einwürfe und so weiter während der Debatte machen zu lassen, um eine gewisse Auflockerung der Debatte zu erzielen.“
Zwischenfrage statt Zwischenruf
Während der Debatte hatten die Mitglieder des Bundestages nun die Möglichkeit Zwischenfragen an den Redner zu stellen, vorausgesetzt der Bundestagspräsident erteilte dem Fragenden das Wort. Deshalb machte der Bundestagspräsident „die Herren Abgeordneten, die sich in unmittelbarer Nähe der Mikrofone befinden“, auch gleich darauf aufmerksam, dass „diese Mikrofone nur dann funktionieren, wenn ich einen Hebel, den ich vor mir habe, umlege.“
Wer also von diesen Mikrofonen Gebrauch machen wollte, sollte sich nach den Anweisungen des Präsidenten „durch Erheben von den Plätzen, Herantreten an die Mikrofone und durch ein Handzeichen bemerkbar“ machen. „Ich werde darauf die Mikrofone einschalten und Gelegenheit geben, durch ihre Benutzung die Zwischenfragen zu stellen. Es hat also keinen Zweck, bei nicht eingeschaltetem Mikrofon dieses Mikrofon etwa zur Verstärkung von Zwischenrufen zu benutzen.“
„Herr Präsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage?“
Allerdings dauerte es noch etwas bis zur ersten Zwischenfrage. Am 5. Februar 1954 schließlich trat der FDP-Abgeordnete Dr. Max Becker (1888-1960) zur allerersten Zwischenfrage an eines der Saalmikrofone: „Herr Präsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage an den Herrn Redner?“
Gemeint war damit der Abgeordnete Alois Niederalt (1911-2004, CDU/CSU), der gerade zur ersten Beratung eines Gesetzentwurfs über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1954 sprach, als ihn Vizepräsident Dr. Carlo Schmid (1896-1979, SPD), mit den Worten: „Herr Abgeordneter, bitte pausieren Sie für eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Becker“, unterbrach.
Nach kritischen Äußerungen Niederalts zur Rede des FDP-Abgeordneten Dr. Thomas Dehler (1897-1967) in der Haushaltsdebatte vom Vortag, wollte Becker von ihm wissen: „Herr Kollege, Sie sprachen davon, dass der Herr Kollege Dehler bei seiner Haushaltsrede von der üblichen Art, den Haushalt zu behandeln, abgewichen sei und Dinge aus dem allgemeinen Gebiet der Politik behandelt habe. Darf ich Sie fragen, ob Ihnen die Gebräuche des früheren Deutschen Reichstags sowohl aus der Kaiserzeit wie aus der Weimarer Republik bekannt sind, wo gerade die Etatdebatte dazu diente, alle diese Dinge zusammen mit der Gesamtpolitik des Deutschen Reiches zu erörtern?“
Weiterentwicklung der Zwischenfrage
Knapp ein Jahr später, am 26. Januar 1955, wurde die „Handhabung der Zwischenfragen in den Plenarsitzungen“ nach einer Vereinbarung im Ältestenrat als Anlage 5 in die Geschäftsordnung des Bundestages aufgenommen. Nutzten die Abgeordneten die Zwischenfrage anfangs noch eher zögerlich, so machten sie in den folgenden Jahren immer häufiger von ihr Gebrauch. Wurden 1954, im ersten Jahr der Zwischenfrage, gerade einmal 55 Zwischenfragen gestellt, waren es 20 Jahre später bereits 196.
Damit die Gefragten nicht mehr fürchten mussten ihre Redezeit für die Beantwortung von Zwischenfragen aufzuwenden, wurde 1985 eingeführt, dass Zwischenfragen nicht mehr in die Redezeit mit einbezogen werden, so dass der Gefragte im Anschluss an die Zwischenfrage seinen Redebeitrag in der geplanten Zeit fortsetzen konnte.
Einführung von Kurzinterventionen
Um die Debatten lebendiger zu gestalten beschlossen die Abgeordneten am 13. Dezember 1989 die probeweise Einführung von „Kurzinterventionen“. Seitdem sind auch Zwischenbemerkungen oder Zwischenfragen mit kurzer Erklärung während eines Debattenbeitrages, wenn der Redner sie auf eine entsprechende Frage des Präsidenten zulässt, oder im Anschluss an einen Debattenbeitrag möglich. Nach einer Verlängerung der Erprobung im Sommer 1990 wurden die Zwischenbemerkungen oder „Kurzinterventionen“ am 31. Oktober 1990 in die Geschäftsordnung aufgenommen.
Zur ersten Kurzintervention meldete sich am 8. Februar 1990 die FDP-Abgeordnete Dr. Hildegard Hamm-Brücher (1921-2016) während der Aussprache zur Regierungserklärung des Bundesjustizministers Hans A. Engelhard (1934-2008, FDP) zur Rechtspolitik im Jahr des deutsch-deutschen Aufbruchs zu Wort: „Frau Präsidentin, ich habe mich zu dieser Kurzintervention gemeldet, um dazu beizutragen, dass etwas, was der Kollege Gerald Häfner zu uns in eigener Sache gesagt hat, nicht untergeht. Wir wollen mit der Kurzintervention dazu beitragen, dass eine Debatte belebt wird und dass man auch über die üblichen Fraktionsgrenzen hinweg einmal bekundet, dass man mit dem, was ein Kollege von der anderen Fraktion gesagt hat, sehr einverstanden ist…“
Zwischenfragen und Zwischenbemerkungen sind in der aktuellen Geschäftsordnung des Bundestages in Paragraph 27 Absatz II geregelt. Dort heißt es: „Für Zwischenfragen an den Redner und für Zwischenbemerkungen in der Aussprache über einen Verhandlungsgegenstand melden sich die Mitglieder des Bundestages über die Saalmikrofone zum Wort. Zwischenfragen und Zwischenbemerkungen, die kurz und präzise sein müssen, dürfen erst gestellt werden, wenn der Redner sie auf eine entsprechende Frage des Präsidenten zulässt. Im Anschluss an einen Debattenbeitrag kann der Präsident das Wort zu einer Zwischenbemerkung von höchstens drei Minuten erteilen; der Redner darf hierauf noch einmal antworten.“ (klz/05.12.2023)