Parlament

Experten: Defizite bei An­erkennung von Fol­ge­schäden poli­tischer Haft

Die SED-Opferbeauftragte beim Deutschen Bundestag, Evelyn Zupke, hat am Donnerstag, 14. Dezember 2023, die „gesundheitlichen Folgeschäden aufgrund der politischen Repression in der DDR“ in einem Fachgespräch im Bundestag thematisiert. Zeitzeugen, Expertinnen und Experten von Beratungsstellen sowie Ärztinnen und Ärzte schilderten von eigenen Erlebnissen und Erfahrungen aus ihrer Arbeit mit Betroffenen. Die SED-Opferbeauftragte fungiert als Ombudsfrau für die Anliegen der Opfer der SED-Diktatur und trägt damit zur Würdigung der Opfer des Kommunismus in Deutschland bei.

Fehlende Kenntnisse und Multimorbidität

Evelyn Zupke eröffnete das Gespräch mit der Feststellung, dass es den Sachbearbeitern in den Versorgungsämtern bei der Anerkennung von gesundheitlichen Folgeschäden oftmals an Kenntnissen über die Repressionsmechanismen in der DDR und deren Folgen mangele. Ihnen fehle das „passende Instrumentarium“, um Missverständnisse zu vermeiden und im Sinne der Opfer zu entscheiden. 

Eine weitere Problematik sei, dass bei vielen Betroffenen eine Multimorbidität zu beobachten sei, sagte Stefanie Knorr von der Beratungsstelle Gegenwind. Dies sei ein Problem, da durch die vielfältigen anderen Erkrankungen im Langzeitverlauf oftmals kein Zusammenhang zwischen Krankheit und Haft hergestellt werden könne. 

Defizite im Anerkennungssystem

Zupke beobachte in ihrer Arbeit zudem „Defizite unseres Anerkennungssystems“. Dies zeige das Beispiel des Opfers Olaf K., dem von ärztlicher Seite eine starke posttraumatische Belastungsstörung mit Persönlichkeitsveränderung, Albträumen, Atemnot, Schlafstörung sowie Depressionen und Phobien diagnostiziert worden sei. Sein Antrag auf Entschädigung sei jedoch angelehnt worden, da seine Gesundheitsstörungen nicht „mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit auf schädigende Ereignisse in der JVA Bautzen zurückgeführt werden“ könnten. 

Eine ähnliche Erfahrung schilderte auch der Zeitzeuge Detlef Wengel, der während seiner Haftzeit in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Torgau von einem Vernehmer mit einem Telefonbuch auf den Kopf geschlagen worden sei, sodass das Trommelfell platzte. Dies habe zur Folge gehabt, dass er seither auf dem rechten Ohr taub sei. Zwar habe er seine Gesundheitsschäden anerkannt bekommen, doch erst nach jahrelangen Kämpfen, berichtete der Zeitzeuge. So sei die Beantragung der Akten in den neuen Bundesländern katastrophal. „Es verschwinden Akten, es werden Akten als angeblich nicht vorhanden gekennzeichnet. Leute, die Akten brauchen, müssen beim Zentralarchiv 400, 500 Euro aus der eigenen Kasse bezahlen, um überhaupt erst einmal an ihre Akten ranzukommen.“ Das sei unzumutbar.

Notwendige Sensibilisierung und klare Regeln

Dr. Maria Nooke, Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, berichtete von notwendigen Maßnahmen zur Sensibilisierung. So müssten Gutachter beispielsweise eine Fachkompetenz in Traumafolgestörung nachweisen. Ebenso werde eine Fortbildung in Bezug auf „DDR-Unrechtskontexte“ angeboten. Das Problem sei aber, dass in der Regel nach Aktenlage entschieden werde, Gutachten seien demnach die Ausnahme. Dies zeige, dass es nicht nur einer Sensibilisierung bedürfe, sondern auch eine Überarbeitung der Gesetzesgrundlage. So könnten beispielsweise in die entsprechenden Paragrafen des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes, des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes sowie dem Häftlingshilfegesetz die notwendigen Bedingungen für eine Anerkennung des Anspruchs genannt werden. 

Ähnlich sah das auch der Landesbeauftragte von Thüringen, Dr. Peter Wurschi. Zwar helfe die Kommunikation zwischen Landesbeauftragten und Ämtern, doch letztlich würden „die Bearbeiterinnen in den Landesämtern auf Grundlage der Gesetze arbeiten und wenn die Gesetze so formuliert sind, wie sie formuliert sind, dann kommen die Ergebnisse raus, die rauskommen“. Es liege daher im Großen und Ganzen am Gesetzgeber, klarere und deutlich nachvollziehbarere Regeln zu finden.

Der Leiter des Verbundprojekts zu gesundheitlichen Langzeitfolgen von SED-Unrecht Prof. em. Dr. med. Jörg Frommer sprach sich für die Erstellung eines bundesweit geltenden „Katalogs der schädigenden Ereignisse“ sowie einen „Katalog von Gesundheitsschädigungen“ aus, der sich nicht auf die posttraumatische Belastungsstörung begrenze. „Dies wäre ein riesiger Schritt nach vorne und dann müssten wir uns als Gesellschaft nicht mehr schämen gegenüber den Betroffenen“, sagte Frommer.

Forderungen nach Glaubwürdigkeit 

Carla Ottmann von der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft plädierte dafür, dass die Vermutung über gesundheitliche Folgen durch Haft zunächst „einmal als gegeben angenommen wird und dann kann ja untersucht werden, stimmt das oder stimmt das nicht.“ Dieser Problematik sei man in der Bundeswehr entgegengetreten, indem man eine Einsatzunfallverordnung eingeführt habe, wie der damaligen Staatssekretär im Bundeministerium für Verteidigung, Stéphane Beemelmans, erzählte. „Wir haben eine Kausalitätsfiktion hergestellt. Wenn man im Einsatz war, einen Einsatzschaden hatte und eine bestimmte klinische Folge hatte, dann wird die Kausalität fingiert. Und dann muss der Dienstherr praktisch nachweisen, dass die Kausalität nicht stattgefunden hat“, erklärte Beemelmans.

Auch der Generalarzt Dr. Jörg Ahrens, PTBS-Beauftragter der Bundeswehr, bezeichnete die Anerkennung eines Gesundheitsschadens, die mit Entschädigung und Versorgung einhergehe, als eine wichtige Sache für die Betroffenen auf dem Weg der Gesundung. Eine verspätete Anerkennung hingegen könne in manchen Fällen nicht mehr helfen oder sogar zu eine Retraumatisierung führen. (mtt/14.12.2023)

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