Bürgerschaftliches Engagement

Experten: Bildung nimmt herausragenden Stellenwert im Engagement ein

Das Thema Bildung nimmt einen herausragenden Stellenwert innerhalb des bürgerlichen Engagements und für die Förderung der demokratischen Kultur ein, waren sich die Sachverständigen im Fachgespräch des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement zum Thema „Bildung und Demokratie“ am Mittwoch, 31. Januar 2024, einig. Daher müssten Bildungsengagement und die Vernetzung zwischen Engagierten in diesem Bereich und mit staatlichen Bildungseinrichtungen verstärkt gefördert werden.

Bundesschülervertreter: Größere Synergien schaffen

Unfassbar viel Engagement gebe es im Bildungsbereich und die Interessen der vielen unterschiedlichen Initiativen und Organisationen seien sehr ähnlich, sagte Florian Fabricius, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz. Es gehe etwa um mehr Lehrerinnen und Lehrer oder Fortschritte bei der Digitalisierung. Aber leider arbeiteten die meisten Aktiven eher nebeneinander her, müssten das Rad immer wieder neu erfinden. Eine Vernetzung all dieser Initiativen würde große Synergien schaffen. Die Schülervertretung könne hier nur einen Impuls setzen, die Umsetzung sei Aufgabe der Politik. Der Schülervertreter appellierte an die Erwachsenen, die Anliegen und Interessen der Schülerinnen und Schüler ernst zu nehmen. Es sei ernüchternd und erschwere die Arbeit der Schülervertreter, dass viele von ihnen wegen ihres Engagements seitens der Lehrerschaft Repressalien erleiden müssten, wenn sie in einer Konferenz frei ihre Meinung äußerten. 

Man brauche zudem eine Institutionalisierung von Abläufen und Prozessen, da die personelle Fluktuation hoch sei. Ein Schülervertreter nehme diese Aufgabe höchstens vier Jahre wahr, dann beginne die nächste Lebensphase. Man brauche aber Kontinuität beim Know how und feste Ansprechpartner. Um die Gesellschaft besser zu repräsentieren warb Fabricius für finanzielle Aufwandsentschädigungen für Sitzungen und Fahrten. Momentan seien diejenigen Schülervertreter, die es sich leisten könnten, weniger Privilegierte kämen kaum zum Zuge. Eine finanzielle Unterstützung hätte einen hohen symbolischen Wert und würde die Motivation fördern.

WZB: Bildung und Engagement stärker zusammendenken

Aus der Zivilgesellschaft kommen wichtige Impulse zur Stärkung von Bildungsprozessen und der Demokratie, sagte Jana Priemer vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Diese Beiträge ergänzten das Bildungssystem, trügen zum individuellen Bildungserfolg vieler bei, und stärkten auf diese Weise die Demokratie. Denn: „Bildungserfolg und demokratisches Verhalten hängen zusammen.“ Umgekehrt sei Bildung ein demokratisches Grundrecht. 27 Prozent der Ehrenamtlichen in Deutschland leisteten ein bildungsbezogenes Engagement, erklärte Priemer, 8,4 Millionen Menschen engagierten sich hierzulande laut dem Freiwilligensurvey 2019 im Bildungsbereich, vermutlich liege die Zahl aber noch deutlich darüber, es handele sich um einen noch wenig erforschten Bereich. 

Es gebe eine enorme Bandbreite an Engagementformen in dem Bereich, der ein riesiges Potenzial berge. Sie alle hätten den zentralen Stellenwert von Bildung erkannt: Es reiche von großen Stiftungen bis hin zu kleinen Initiativen wie Mentorinnen oder Lesepaten an Schulen. Letztere, die ohne staatliche Fördermittel handelten, müsse man verstärkt in den Blick nehmen und unterstützen. Diese brauchten vor allem Kooperationsmöglichkeiten mit den staatlichen Einrichtungen sowie den Austausch mit Partnern, die gleiches oder ähnliches täten und bereits etabliert seien. 

Es gelte, den im Bildungsbereich Aktiven „niedrigschwellige Vernetzungsangebote“ zu machen. Außerdem müsse der bürokratische Aufwand, von Versicherungs- bis zu Steuerfragen, reduziert und den Ehrenamtlichen Hauptamtliche zur Seite gestellt werden, um die Engagierten zeitlich zu entlasten. Ausreichende finanzielle Ressourcen sein nötig, um Planungssicherheit zu schaffen. 

Die Bundesengagementstrategie müsse Bildung als Demokratieförderung aufgreifen. Dies sei förderungswürdig. Es gehe zunächst vor allem darum, solche Bildungsangebote sichtbarer zu machen, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und Anerkennung zukommen zu lassen sowie, die spezifischen Probleme dieser ganz unterschiedlichen Engagierten zu adressieren. „Wir müssen Bildung und Engagement stärker zusammendenken“ und dabei Ressortgrenzen überwinden. 

Sachverständiger: Feindselige Diskussionskultur

Burak Yilmaz, Autor und Gründer des Bildungsvereins Goose Bumps e.V., zeigte sich von der aktuellen rassistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Stimmung im Land erschüttert. Die Diskussionskultur mit ihren Relativierungen, sei es auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft, sei es auf Seiten der Muslime, mit denen die Muslime in Deutschland unter Generalverdacht gerieten, sei die größte Herausforderung. Die raue, gewaltbereite Stimmung spüre man in den sozialen Medien ebenso wie auf den Straßen. Politiker wie der stellvertretende bayrische Ministerpräsident Hubert Aiwanger kämen trotz schwerwiegender Antisemitismus-Vorwürfe weitgehend ungescholten davon, „während wir für eine einzelne Äußerung mit unserem ganzen Stammbaum geradestehen müssen“.

Islamistische Hassprediger erreichten im Netz seit der Eskalation im Nahostkonflikt sprunghaft gestiegene Followerzahlen. „Die emotionalen Bilder und die Instrumentalisierung des Konflikts bringen ihnen mehr Reichweite.“ Migranten hingegen erführen mehr Rassismus und Einengung. „In unserer konkreten Arbeit vor Ort denken wir den Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus zusammen.“ Seit 15 Jahren engagiere man sich nun schon gegen Vorurteile, Hass und Gewalt - ohne staatliche finanzielle Unterstützung. 

Politik soll vor Ort Gesicht zeigen und Armut bekämpfen

Dabei sei das Hauptproblem die Armut migrantischer Familien, ihre Chancenlosigkeit und ihr Gefühl der Ausgrenzung. Jugendliche müssten oft schon in jungem Alter zum Haushaltseinkommen beitragen. Sie könnten sich ehrenamtliche Arbeit einfach nicht leisten. Man müsse zunächst viel mehr „Beziehungsarbeit“ statt Bildungsarbeit machen, um die Jugendlichen dort abzuholen, wo sie seien. „Armut bekämpft man zuerst mit Geld.“

Es gehe zudem nun vor allem darum, mediale Formate zu schaffen, die bei den Jugendlichen auch ankämen und die diese mitgestalten dürften, sowie Strukturen, wo sie mit ihren Themen Gehör finden. Die Jugendlichen mit Migrationshintergrund müssten die Gewissheit und das Gefühl bekommen, dass auch ihre individuelle Geschichte Teil der deutschen Geschichte sei - statt immer nur vor verschlossener Tür zu stehen. Die großen gesellschaftlichen Debatten kämen bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund nicht an.

Die Politik forderte Yilmaz auf, sich den Menschen mit Migrationshintergrund stärker zuzuwenden. Die deutschen Politiker müssten sich mehr als einmal pro Wahlperiode in den Siedlungen sehen lassen, der deutsche Wahlkampf finde leider dort nicht statt. Die türkischen Parteien dagegen seien vor Ort, kämen mit den Menschen ins Gespräch, wenn in der Türkei gewählt würde. „Zeigen Sie vor Ort Gesicht“

Chahin: Schneeballsystem für Demokratie schaffen

„Wie müssen das bürgerschaftlichen Engagement in die migrantische Community hineinbringen“, ergänzte Abdul Kader Chahin, ebenfalls Goose Bumps e.V. Es gehe darum, die bereits Engagierten unter den Migranten, Lehrern, Sozialarbeitern als „Ankerpunkte“ und Multiplikatoren zu unterstützen und auf diese Weise ein „positives Schneeballsystem“ aufbauen, um demokratische Werte zu vermitteln und zu verbreiten. Es gebe innerhalb der Community zahlreiche engagierte Leute, die man nun vernetzen müsse. Darin liege eine Riesenchance. „Diese Menschen haben noch kein Netzwerk.“

Zudem sollten Bildungsvereine wie Goose Bumps, die sich seit Jahren für demokratische Werte engagierten, gefördert werden. Mit attraktiven Geschichten in den sozialen Medien könne man die jungen Menschen erreichen. „Wenn die Politik möchte, dass die Menschen partizipieren, muss sie in die Gebiete reingehen“, dort Präsenz zeigen und deren Sprache sprechen. (ll/31.02.2024)

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