Bürgerschaftliches Engagement

Sachverständige zum Ehren­amt im Gewalt­schutz: Es braucht pro­fessionelle Begleitung

Von Gewalt betroffenen Menschen Hilfestellung zu geben ist ein belastendes Thema für Ehrenamtliche. Dafür sind diese ihrerseits auf Unterstützung durch hauptamtliche Profis angewiesen. Das mahnten die Sachverständigen im Fachgespräch des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement zum Thema Gewaltschutz am Mittwoch, 21. Februar 2024 an.

Problembewusstsein schärfen

Der Großteil der von häuslicher Gewalt betroffenen Menschen, zumeist Frauen, finde leider nicht den Weg in die Hilfesysteme, sagte Andrea Buskotte vom Verein Stadtteile ohne Partnergewalt (StoP) in Hamburg. Wichtig sei, in der Gesellschaft und im sozialen Umfeld das Problembewusstsein zu schärfen sowie mehr Solidarität und Verständnis zu generieren. Es gelte, eine aufgeklärte und handlungswillige Nachbarschaft zu schaffen. „Dann öffnen sich Betroffene. So kann man betroffene Frauen kennenlernen und sie unterstützen.“

Anders als beispielsweise in Österreich könne man in Deutschland noch kein flächendeckendes Angebot machen, in Hamburg sei man mit acht Standorten vertreten. Die Arbeit der Ehrenamtlichen erfahre im Verein professionelle Unterstützung durch hauptamtliche Mitarbeiterinnen. Man setzte sich gemeinsam mit dem schweren Thema der Gewalt auseinander und mit der Frage, wie man Opfern gegenübertrete. Derart geschulte Freiwillige führten Haustürgespräche, um auf das Angebot des Vereins aufmerksam zu machen, betreuten Infostände und verteilten Broschüren.

Es braucht professionelle Begleitung“

„Das Thema ist hart. Es braucht professionelle Begleitung“, sagte Buskotte. Die Ehrenamtlichen sind auf Professionelle angewiesen, die sie begleiten, wenn sie mit Betroffenen sprechen. Es gehe darum, die Intensität der Auseinandersetzung zu dosieren, vor Überforderung zu schützen. Es habe sich mittlerweile eingespielt: Hauptamtliche sind Coach und Organisatoren der Gruppenarbeit für die Ehrenamtlichen, sie agierten im Hintergrund. Die Ehrenamtlichen wiederum agierten „auf der Bühne, am Infostand“.

Die Motivation sei hoch, sich in einem gesellschaftlich brisanten, relevanten Thema zu bilden, sich jenseits von Parolen auszukennen, um gegenüber anderen „sprech- und handlungsfähig“ zu sein. Das gemeinsame Wissen führe zu neuer Stärke. In Deutschland gebe es leider noch zu viele vereinzelte Projekte. Die müsse man zusammenführen. „Es braucht eine zentrale Kompetenz und Koordinierung, die Wissen, Methoden, Konzepte sammelt und in die Stop-Standorte verteilt.“ Mehr Geld müsse außerdem für die Prävention ausgegeben werden. „Dann brauchen wir weniger für Interventionen.“

Balance zwischen Nähe und Distanz

Die 60 Ehrenamtlichen seien das Gesicht ihres Vereins mit weiteren 35 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen, sagte Petra Fränzen vom Verein Frauen helfen Frauen Ortenau. Ihnen stünden von Gewalt betroffene Frauen meist als erstes gegenüber, sei es im vereinseigenen Laden oder bei Veranstaltungen. 

„Die Frauenhausarbeit ist aus dem Ehrenamt entstanden“, erinnerte sie. Vor vierzig Jahren hätten Engagierte die Betroffenen sogar zu sich mit nach Hause geholt. „Wir wollen zugewandt sein.“ Aber man müsse die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz finden. Die Ehrenamtlichen wollten helfen und sich nicht abgrenzen. Zusätzlich brauche es „die Hauptamtlichen, die nicht Teil der Geschichte werden. Wir brauchen professionelle Nähe.“ Das Zusammenspiel zwischen Hauptamt und Ehrenamt habe sich heute gut eingespielt. Dazu gehöre auch, dass sich die Freiwilligen ganz der Hilfsarbeit widmen könnten, während alles Bürokratische durch Hauptamtliche erledigt werde.

„Wir brauchen alle, die hingucken“

Die Stärke des Vereins mit einem Jahreshaushalt von 1,9 Millionen Euro, von denen 20 Prozent aus Spendengeldern kämen, resultiere auch aus der Größe, die man durch Netzwerke erlangt habe. Vernetzt sei man mit allen wesentlichen Stellen, von der Polizei über die Gerichte und die Staatsanwaltschaft bis zur Kreisverwaltung. „Die Größe kommt daher, dass viele beieinander stehen“, sagte Fränzen. „Wir brauchen alle, die hingucken.“ Dazu gehörten auch die Ehrenamtlichen, die mit ihrer engagierten Arbeit helfen würden, Betroffene in die Hilfssysteme zu begleiten. 

Man schaffe es zunehmend besser das Dunkelfeld der vielen nicht angezeigten Taten zu erhellen. Darauf vor allem sei der jährliche Anstieg von zehn Prozent in der Kriminalstatistik zurückzuführen. Sobald irgendwo ein Fall häuslicher Gewalt öffentlich werde, sei das öffentliche Interesse stets hoch. Es müsse aber auch darum gehen, im Vorfeld für das Thema zu sensibilisieren und beispielsweise bereits in der Schule zu zeigen, wo eine Grenzverletzung passiert. Häusliche Gewalt sei eine Menschenrechtsverletzung, das dürfe man nie vergessen.

Sie wünsche sich vom Bund, die Finanzierung von Hauptamtlichen nicht aus dem Auge zu verlieren. Es sei doch wie in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Da erwarte man auch von Profis empfangen zu werden. 

Ehrenamtliche als Hauptpfeiler der Vereinsarbeit

Ihr kleines Projekt sei eine Anlauf- und Beratungsstelle für queere Frauen, denen vor allem im öffentlichen Raum Gewalt widerfahre, erzählte Anne Schaar vom Verein L-Support aus Berlin. Homophobe Gewalt habe viele Formen, von verbalen bis zu physischen Drohungen, von Anspucken bis zum Verfolgen. Bei L-Support könnten sich Frauen melden. Man helfe dann mit einer hauptamtlichen Psychologin, beim Gang zur Polizei oder höre einfach nur zu. Neben niedrigschwelliger Beratung und Unterstützung wolle man die Gewalt gegen den Personenkreis sichtbar machen. „Wir dokumentieren die Fälle und gleichen sie mit dem Berliner Register ab.“ Leider bleibe 90 Prozent der Gewalt im Dunklen. Zunehmende Fallzahlen seien drauf zurückzuführen, dass sich mehr Opfer melden. „Die Menschen trauen sich mehr.“

Die zweimal pro Woche aktive Telefonhotline werde, ebenso wie Verteilung von Infomaterial in Clubs, beim CSD und an Ständen, von Ehrenamtlichen betreut. Die Hotline sei meist die erste Anlaufstelle für betroffene Frauen. Für diese anspruchsvolle Aufgabe erhielten die Freiwilligen Schulungen. „Niemand wird mit verzweifelten und traumatisierten Personen allein gelassen.“ Die Ehrenamtlichen seien der Hauptpfeiler der Vereinsarbeit. Ohne die gäbe es das Projekt nicht, so Schaar. Eine hauptamtliche Mitarbeiterin kümmere sich speziell um die ehrenamtlich Engagierten.

Die Ehrenamtliche Melanie Rummler, ebenfalls vom Verein L-Support, berichtete darüber, wie sich die Ehrenamtlichen bei der schweren Aufgabe gegenseitig unterstützen. Die Motivation sei, „für Menschen da zu sein, denen es gerade nicht gut geht“. Sie wünsche sich, dass die Aufgabe der Opferbetreuung bald überflüssig werde, wenn Gewaltkontexte verschwinden. Dazu brauche es einen stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine Fokussierung auf die Präventionsarbeit. 

Sachverständiger: Es braucht mehr Sensibilität

Erst seit vier Jahren gebe es seine Einrichtung, berichtete David Schäfer, Leiter des Projektes „Männerschutzwohnung Riposo“ vom Caritasverband Nürnberg. Man versorge dort männliche Opfer von häuslicher Gewalt. Auch bei der Gewalt gegen Männer, deren Fallzahlen deutlich unterhalb der der Gewalt gegen Frauen liege, sei von einem hohen Dunkelfeld an Fällen auszugehen. Die erfassten Fallzahlen stiegen ebenfalls. Dabei sei es für die betroffenen Männer eine hohe Hürde sich überhaupt bei einer Beratungsstelle oder Schutzeinrichtung zu melden, die Scham zu überwinden, sich einzugestehen, keinen Ausweg mehr zu wissen und sich jemandem anzuvertrauen. Lediglich sechs bis acht Prozent der Männer suchten laut Studien überhaupt Hilfe. 

Die Zahl der Schutzeinrichtungen in Deutschland sei mit zwölf noch sehr klein, lediglich fünf Bundesländer leisteten sich erste Modellprojekte. Seine Arbeit bestehe darin, „ein vorher nicht existierendes Hilfesystem zu etablieren“ und dabei aus dem Frauenhilfesystem zu lernen. Es gebe viel zu wenig Plätze. 

Der Einsatz von Ehrenamtlichen sei eine Herausforderung, der man momentan kaum nachkommen könne, und für die man zusätzliches Personal benötige. „Ehrenamtliche Helfer müssen umfassend geschult und betreut werden.“ Das sei eigentlich eine staatliche Aufgabe. Man müsse nun über das Stadium der befristeten Projektförderung hinauskommen, warb Schäfer um finanzielle Unterstützung. Man arbeite daran, die eigene Sichtbarkeit zu verbessern, auf die angebotenen Hilfsmöglichkeiten aufmerksam zu machen. Insgesamt brauche es eine höhere Sensibilität für das Thema, beginnend in der Schule. Als Gesellschaft müsse man es sich leisten, von häuslicher Gewalt betroffene Menschen zu versorgen. (ll/21.02.2024)

Zeit: Mittwoch, 21. Februar 2024, 16.30 Uhr bis 18.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.800

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