Geschichte

Vor 175 Jahren: Nationalversammlung beschließt Reichswahlgesetz

Blick in den Plenarsaal der Verfassungsgebenden deutschen National-Versammlung in der Paulskirche zu Frankfurt a.M. - Bild von Carl Lill

Das erste demokratisch gewählte gesamtdeutsche Parlament in der Frankfurter Paulskirche; Bild von Carl Lill. (© picture alliance / akg-images)

Vor 175 Jahren, am Freitag, 2. März 1849, beschloss die verfassungsgebende Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche in erster Lesung das „Reichsgesetz über die Wahlen der Abgeordneten zum Volkshause“ (Reichswahlgesetz). Wahlberechtigt war nach diesem Beschluss nach einem allgemeinen und gleichen Mehrheitswahlrecht jeder unbescholtene Deutsche, welcher das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat. Wählbar zum Abgeordneten des Volkshauses war jeder wahlberechtigte Deutsche, welcher das 25. Lebensjahr zurückgelegt und seit mindestens drei Jahren einem deutschen Staate angehört hat. Frauen waren vom Wahlrecht ausgeschlossen. Die Mitglieder des Volkshauses sollten in geheimer Abstimmung und direkt gewählt werden. 

Elf Tage lang hatten die Vertreter des ersten demokratisch gewählten gesamtdeutschen Parlaments debattiert, bevor der Präsident der Nationalversammlung, Eduard von Simson (1810 bis1899), im Anschluss an die namentliche Abstimmung verkündete: „Der Entwurf des Reichsgesetzes über die Wahlen der Abgeordneten zum Volkshause ist in der Fassung, in der es aus den vorgekommenen Abstimmungen hervorgegangen ist, in erster Lesung mit 256 gegen 194 Stimmen angenommen.“

Ein für die Zeit fortschrittliches Wahlgesetz

Am 15. Februar hatte die Nationalversammlung mit den Beratungen der Vorlage begonnen. Dass am Ende ein für die Zeit fortschrittliches Wahlgesetz mit allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahlen stehen würde, war dabei nicht selbstverständlich. Der vom Verfassungsausschuss der Nationalversammlung vorgelegte Gesetzentwurf hatte wirtschaftlich Unselbstständige wie Tagelöhner, Gesellen und Gesinde noch vom Wahlrecht ausgeschlossen. Auch sollten Wähler ihre Stimme öffentlich abgeben. Viele Wähler, die im vergangenen Jahr die Frankfurter Nationalversammlung gewählt hatten, wären nach diesem Gesetzentwurf wieder vom Wählen ausgeschlossen worden. 

Der vorgelegte Entwurf stieß bei den gewählten Volksvertretern deshalb auf wenig Zustimmung. In der allgemeinen Beratung meldeten sich 33 Redner, um gegen den Entwurf des Verfassungsausschusses zu sprechen. Lediglich zehn Redner hatten sich für die Vorlage gemeldet. 

Beschränkung des Wahlrechts

Der Berichterstatter des Verfassungsausschusses, Friedrich Ernst Scheller (1791 bis 1869), verteidigte für die Ausschussmehrheit den Ausschluss gewisser Klassen, denen man eine volle Selbstständigkeit nicht zutrauen dürfe als vernunftgemäß, da diese in der Regel den Antrieben, den Anreizungen Anderer folgen würden. Diese Sichtweise konnte sich, anders als im Ausschuss, in der Nationalversammlung nicht durchsetzen. Mit großer Mehrheit von 422 gegen 21 Stimmen lehnten die Volksvertreter in der 174. Sitzung am 20. Februar in den Einzelberatungen zu Paragraf 1 und 2 des Wahlgesetzes das vom Ausschuss geforderte Erfordernis der Selbstständigkeit ab. 

Vom Wahlrecht ausgeschlossen blieben jedoch alle Männer unter 25 Jahren, nach Paragraf 2 des Wahlgesetzes Personen unter Vormundschaft, im Konkursverfahren, die Armenunterstützung aus öffentlichen Kassen bezogen oder ein Jahr vor der Wahl erhalten hatten und wer nach Paragraf 3 des Wahlgesetzes „bescholten“ war, das heißt durch rechtskräftiges Strafurteil die staatsbürgerlichen Rechte verloren hatte.

Frauen vom Wahlrecht ausgeschlossen

Auch Frauen waren vom Wahlrecht ausgeschlossen. Das war in dem Gesetzestext zwar nicht explizit formuliert, aber allgemeiner Konsens. Der Berichterstatter des Verfassungsausschusses stellte dazu ausdrücklich klar, „dass ein Gesetz, wenn es von politischen Rechten redet, nur das männliche Geschlecht meinen kann“ und „dass, wenn es sich um politische Rechte im Gesetz handelt, man nicht nötig hat, das weibliche Geschlecht auszuschließen“. 

Bei den Grundrechten hingegen, sofern es sich nicht dezidiert um politische Rechte handelte, sei, „wo vom Deutschen die Rede, auch die Deutsche gemeint“. 

Öffentliche oder geheime Stimmabgabe

Mit knapper Mehrheit konnten sich in der 179. Sitzung am 1. März auch die Befürworter eines geheimen Wahlrechts gegen den Antrag des Ausschusses auf öffentliche Stimmabgabe durchsetzen. Der Antrag des Ausschusses: „Das Wahlrecht muss in Person ausgeübt, die Stimme mündlich zu Protokoll abgegeben werden,“ wurde mit 239 gegen 230 Stimmen abgelehnt. Die Nationalversammlung stimmte mit 249 gegen 218 Stimmen für das geheime Wahlrecht in der Formulierung des Paragraf 13 Absatz 2: „Das Wahlrecht wird in Person durch Stimmzettel ohne Unterschrift ausgeübt“.  Mit der in Absatz 1 vorgeschriebenen öffentlichen Wahlhandlung war gemeint, dass jedermann das Wahllokal betreten durfte. 

In der 195. Sitzung, am 27. März 1849, nahm die Nationalversammlung das Reichswahlgesetz in der Fassung der ersten Lesung unverändert mit großer Mehrheit an. Am 12. April 1849 fertigte Reichsverweser Erzherzog Johann (1782 bis 1859) es aus. Am 16. April wurde es verkündet. Das Reichsgesetz über die Wahlen der Abgeordneten zum Volkshause vom 12. April 1849 sah ein allgemeines und gleiches Wahlrecht vor. Damit erhielten Männer ab dem Alter von 25 Jahren unabhängig von ihrem Stand das aktive und passive Wahlrecht. Die Abgeordneten zum Volkshause sollten direkt und mit geheimer Stimmabgabe gewählt werden. 

Zu der für den 15. Juli 1849 vorgesehen Wahl zum Volkshause kam es allerdings nicht mehr. Als im April 1849 der von der Nationalversammlung zum „Kaiser der Deutschen“ gewählte preußische König Friedrich Wilhelm IV. das ihm angetragene Amt unter Berufung auf seine im Gottesgnadentum begründete monarchische Legitimation ablehnte, waren die Bemühungen der Paulskirche um eine Verfassung und die Errichtung eines deutschen Nationalstaats gescheitert. Dadurch verloren sowohl das Wahlgesetz als auch die Reichsverfassung ihre Gültigkeit. (klz/27.02.2024)

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