Abschließende Beratungen ohne Aussprache
Ohne Aussprache haben die Abgeordneten des Deutschen Bundestages am Donnerstag, 13. März 2024, über eine Reihe von Vorlagen abgestimmt:
Corona: Die Abgeordneten des Bundestages haben einen von der CDU/CSU vorgelegten Antrag mit dem Titel „Abgabefrist für Schlussabrechnungen der Corona-Wirtschaftshilfen verlängern“ (20/10615) an den Wirtschaftsausschuss überwiesen. Die Union hatte die direkte Abstimmung beantragt, wurde aber überstimmt.
Streitverfahren I: Der Bundestag hat mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP bei Enthaltung der CDU/CSU, AFD und der Gruppe Die Linke eine Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (20/10641) zu dem Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 15 / 23 angenommen. Damit soll zu dem Streitverfahren Stellung genommen und einen Prozessbevollmächtigter benannt werden. Antragstellerin in dem Organstreitverfahren ist die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP). Die Antragstellerin sieht sich unter anderem durch die Einführung des Grundsatzes der Zweitstimmendeckung (§ 1 Absatz 3 Satz 2, § 6 Absatz 1 Bundeswahlgesetz) durch das Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 8. Juni 2023 (BGBI. 2023 I Nr. 147 vom 13. Juni 2023) bei gleichzeitiger Unterlassung der Anpassung des Unterschriftenquorums aus § 20 Absatz 2 Satz 3 Bundeswahlgesetz in ihren Rechten auf allgemeine und gleiche Wahl gemäß Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz sowie auf Chancengleichheit der Parteien gemäß Artikel 21 Absatz 1 Grundgesetz i.V.m. Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz verletzt und beantragt die entsprechende Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht.
Streitverfahren II: Der Bundestag hat mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Gruppe Die Linke bei Enthaltung der CDU/CSU und AfD eine Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (20/10642) zu den Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 2 / 22, 2 BvE 3 / 22 und 2 BvE 3 / 23. Damit soll zu den Streitverfahren Stellung genommen und einen Prozessbevollmächtigter benannt werden. Antragsteller in den Organstreitverfahren ist die Partei Alternative für Deutschland (AfD) beziehungsweise deren Bundesvorstand. Antragsgegner ist jeweils die Bundesregierung. In den Verfahren richtet sich die Antragstellerin gegen eine Äußerung des Bundeskanzlers im Rahmen der Befragung der Bundesregierung am 6. Juli 2022, gegen eine Äußerung des Bundeswirtschaftsministers im Rahmen der Aktuellen Stunde am 26. Juni 2022 und gegen eine Äußerung der Bundesfamilienministerin im Rahmen der Aktuellen Stunde am 18. Januar 2023. Die Antragstellerin sieht in den streitgegenständlichen Äußerungen Verletzungen des Neutralitätsgebots staatlicher Organe, die sie in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Artikel 21 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz verletzten und beantragt die entsprechende Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht.
Streitverfahren III: Der Bundestag hat mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der CDU/CSU, AfD und der Gruppe Die Linke eine Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (20/10643) zu dem Streitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2 BvE 2 / 24 angenommen. Damit soll zu dem Streitverfahren Stellung genommen und einen Prozessbevollmächtigter benannt werden. Antragsteller in dem Verfahren sind 28 Bundestagsabgeordnete der Gruppe Die Linke sowie die Gruppe Die Linke im Deutschen Bundestag. Die Antragsteller sehen sich durch die Begrenzung Kleiner Anfragen auf zehn pro Monat durch die Annahme der Beschlussvorlage (20/10219) in ihrem Recht auf freie Mandatsausübung nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz verletzt und beantragen die entsprechende Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht. Darüber hinaus verfolgen sie mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung das Ziel, den Deutschen Bundestag zu verpflichten, der Gruppe Die Linke und den ihr angehörenden Abgeordneten das Recht auf Kleine Anfragen unbeschränkt zu eröffnen.
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Von der Tagesordnung abgesetzt wurde die Abstimmung über die Forderung der AfD, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz abzuschaffen (20/10062). Das bestehende Gesetz missachte die Grundsätze des freien Handels, „da es freiwilligen Güteraustausch von Unternehmen und so die Schaffung von Wohlstand international behindert“, schreibt die Fraktion in ihrem Antrag. Die Bundesregierung solle daher frühstmöglich einen Gesetzentwurf vorlegen, der das seit dem 1. Januar 2023 gültige Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in seiner aktuellen Fassung aufhebt und sich im Rahmen des EU-Trilogs „unmissverständlich“ gegen die Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie aussprechen.
Linksextremismus: Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen und den Stimmen von CDU/CSU wurde die Forderung der AfD-Fraktion nach Einführung eines Risikobewertungsinstruments „RADAR-links“ für linksextremistische Gewalttäter abgelehnt. Konkret fordern die Antragsteller die Bundesregierung dazu auf, das bestehende Risikobewertungsinstrument RADAR-iTE auch auf den Phänomenbereich PMK -links- unter Beachtung erforderlicher Anpassungen schnellstmöglich zu übertragen und den Ländern zur Verfügung zu stellen sowie in diesem Kontext die notwendigen Ressourcen zur Projektdurchführung umgehend bereitzustellen. Die „Regelbasierte Analyse potentiell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos – islamistischer Terrorismus“ (RADAR-iTE) sei ein Risikobewertungsinstrument, das spezifisch für den polizeilichen Einsatz im Bereich des Staatsschutzes entwickelt worden sei, heißt es in der Begründung. Mit diesem Instrument würden seit 2017 Personen des islamistischen Spektrums, die polizeilich bekannt sind, im Hinblick auf ihr Risiko für die Begehung einer politisch motivierten schweren Gewalttat in Deutschland bewertet. Auf Grundlage einer standardisierten Fallaufbereitung würden dabei Risiko- und Schutzmerkmale einer Person beurteilt und die Person einer zweistufigen Risikokategorie zugeordnet, womit eine Priorisierung des Personenpotentials ermöglicht werde, was wiederum den effizienten Einsatz polizeilicher Ressourcen begünstige, heißt es in dem Antrag. Für die effektive Bekämpfung in Bezug auf den Rechtsextremismus sei im Bundeskriminalamt (BKA) ab März 2020 das Risikobewertungsinstrument RADAR-rechts entwickelt worden, das seit dem 10. Mai 2022 verwendet werde. Ein derartiges Analysewerkzeug wäre aus Sicht der AfD auch im Hinblick auf eine Bewertung gewaltbereiter Linksextremisten von hohem Wert, „denn die linksextreme Szene wird zunehmend enthemmter“. Die Abstimmung erfolgt auf Grundlage einer Empfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat (20/7597).
Bundespolizei: Ein weiterer Antrag der AfD-Fraktion wurde ebenfalls mit der Mehrheit der übrigen Fraktionen abgelehnt. Darin hatte die Fraktion verlangt, die „Befugnisse der Bundespolizei bei Abschiebungen zur Bewältigung der Massenmigration“ zu stärken (20/8156). In ihrer Vorlage fordert die Fraktion die Bundesregierung zugleich auf, eine zukünftige Gesetzesvorlage für ein neu einzuführendes Bundespolizeigesetz „in thematisch und gegebenenfalls auch zeitlich getrennte Gesetzespakete aufzuteilen, um damit auch die Chance einer Akzeptanz im Bundesrat zu erhöhen“. In diesem Kontext soll die Bundesregierung nach dem Willen der AfD im Rahmen eines Gesetzentwurfs die Einräumung einer Befugnis vorsehen, vollziehbar ausreisepflichtige Drittstaatsangehörige in gesetzlich definierten Fällen besonderer Bedeutung abschieben zu dürfen, wenn diese im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei wie etwa an Bahnhöfen oder Flughäfen aufgegriffen werden. „Fälle besonderer Bedeutung“ sollen dabei laut Vorlage insbesondere dadurch gekennzeichnet sein, dass der entsprechende Drittstaatsangehörige „als Gefährder, Relevante Person oder Intensiv- oder Mehrfachstraftäter behördlich bekannt ist oder sonst strafauffällig geworden ist“. „Die lokal zuständige Ausländerbehörde soll dazu alle relevanten Unterlagen und Informationen der Bundespolizei zur Vorprüfung der Erfolgsaussichten der Abschiebung in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht schnellstmöglich zur Verfügung stellen“, heißt es in dem Antrag weiter. Danach soll damit eine „Antragsbefugnis der Bundespolizei für die Haft zur Sicherung der Abschiebung“ verbunden sein, „unter anderem auch bis zum Eingang der durch die Bundespolizei erbetenen Informationen und Unterlagen“. Ferner plädiert die Fraktion für eine Prüfung, ob ausreisepflichtige Intensiv- oder Mehrfachstraftäter generell durch eine gesetzliche Regelanordnung in den Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei für den Vollzug von Abschiebungen überführt werden können. Dazu soll die Bundesregierung dem Antrag zufolge mit einem ausgewählten Bundesland eine Vereinbarung für einen Modellversuch treffen.
Petitionen: Das Parlament hat 14 Beschlussempfehlungen zu Petitionen angenommen, die beim Bundestag eingegangen sind und vom Petitionsausschuss beraten wurden. Es handelt sich um die Sammelübersichten 517 bis 530 (20/10437, 20/10438, 20/10439, 20/10440, 20/10441, 20/10442, 20/10443, 20/10444, 20/10445, 20/10446, 20/10447, 20/10448, 20/10449, 20/10450).
Reform zur Abschaffung des generischen Maskulinums
Darunter befindet sich auch eine Petition mit der Forderung nach einer „Rechtschreibreform“, die die Abschaffung des generischen Maskulinums sowie eine gleichberechtigte sprachliche Behandlung aller Geschlechter und Geschlechtsidentitäten garantieren soll.
Zur Begründung des Anliegens wird in der Petition ausgeführt, dass das Grundgesetz in einer rein männlichen Form verfasst sei. In der deutschen Sprache würde zudem der Plural häufig in der männlichen Form geschrieben. Dies führe aus Sicht der Petenten zu einer Diskriminierung von Frauen oder nicht-binären Personen.
Handreichungen zur Verwendung von inklusiver Sprache
Die in der Sitzung des Petitionsausschusses am 21. Februar 2024 mehrheitlich verabschiedete Beschlussempfehlung an den Bundestag sieht nun vor, die Petition dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) und dem Bundesministerium der Justiz (BMJ) „als Material“ zu überweisen, „soweit es darum geht, einheitliche Handreichungen zur Verwendung von inklusiver Sprache zu erarbeiten“, und das Petitionsverfahren „im Übrigen abzuschließen“.
Den Verfahrensgrundsätzen des Petitionsausschusses zu Folge bedeutet dies, dass die Bundesregierung die Petition mit der erwähnten Einschränkung „in die Vorbereitung von Gesetzentwürfen, Verordnungen oder anderen Initiativen oder Untersuchungen einbeziehen soll“.
Keine allgemeine gesetzliche Regelung
Der Petitionsausschuss stellt in der Begründung zu seiner Beschlussempfehlung fest, dass es in Deutschland keine allgemeine gesetzliche Regelung zur Rechtschreibung gebe. Zudem sei die Wortform (generisch, maskulin) in diesem Fall kein Gegenstand der Rechtschreibung allein, „sondern Ausdruck des strukturellen Aufbaus der deutschen Sprache, die sich in deren Grammatik, Semantik und Wortbildung zeigt“. Die Regeln der Rechtschreibung legten fest, welche Schreibweise als richtig oder falsch gilt. „Sie legen indes nicht fest, welche Wörter und Wortformen gebraucht werden.“
Die in der persönlichen und privaten Kommunikation verwendete Sprache sei keinen rechtlichen Vorgaben unterworfen, sondern falle in den Bereich der durch das Grundgesetz garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit, heißt es in der Vorlage. Eine auch diesen Bereich umfassende allgemeine „Rechtschreibreform“ mit der von der Petition geforderten Zielsetzung könne schon deshalb von der Bundesregierung nicht initiiert werden.
Gesellschaftspolitische Aufgabe
Welche Regeln beim Gebrauch der deutschen Sprache in den staatlichen Bereichen maßgeblich sind, sei dem Regelwerk zur deutschen Rechtschreibung zu entnehmen, dass sowohl für den amtlichen Schriftverkehr als auch für die Normsprache per Rundschreiben des BMI und des BMJ vom 13. September 2006 für verbindlich erklärt worden sei, heißt es weiter.
Das Regelwerk basiere wiederum auf den Empfehlungen des Rates für deutsche Rechtschreibung, der in seiner Sitzung am 26. März 2021 seine Auffassung bekräftigt habe, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen. Dies sei allerdings eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden könne, schreibt der Rat. (eis/hau/14.03.2024)