Die AfD-Fraktion hat mit ihrem Antrag für einen Umbau des Bürgergeldes und der Sozialhilfe deutlichen Widerspruch bei den anderen Fraktionen und Gruppen des Bundestages ausgelöst. Über den Antrag (20/10609) debattierte der Bundestag am Donnerstag, 14. März 2024, und überwies ihn anschließend zur Beratung an die Ausschüsse. Bei den weiteren Beratungen übernimmt der Ausschuss für Arbeit und Soziales die Federführung.
Antrag der AfD
Konkret fordert die AfD-Fraktion in dem Antrag eine stärkere Fokussierung des Bürgergeldes auf die Arbeitsvermittlung. „Angesichts durchschnittlich 3,9 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeldempfängern im Jahr 2023 und im August 2023 knapp 929.000 Langzeitarbeitslosen sollte die Hebung endogener Arbeitskraftpotenziale deutlich mehr im politischen Fokus stehen als bislang“, schreibt die Fraktion und verweist auf unterschiedliche Angaben der Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit (BA) bezüglich der Erwerbsfähigkeit von Bürgergeld-Beziehenden. Im bestehenden Bürgergeldsystem würden manifest vermittlungsgehemmte, also faktisch nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige, die eigentlich Sozialfälle seien, oftmals lediglich „in euphemistisch betitelten Maßnahmen geparkt, ohne einen nachhaltigen Nutzen für die weitere Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu erreichen“, kritisieren die Abgeordneten.
Sie fordern deshalb eine Reform der sozialen Mindestsicherungssysteme des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB XII). Dabei soll unter anderem das bisherige Bürgergeldsystem bei gleichbleibenden Regelsätzen in eine „Arbeitsuchenden-Hilfe“ für ausschließlich jene SGB II-Leistungsberechtigte überführt werden, die tatsächlich und kurzfristig, also innerhalb von zwei Wochen, zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in der Lage sind. Die bisherige Sozialhilfe (SGB XII) soll bei gleichbleibenden Regelsätzen zu einer„Sozialhilfe-Neu“ entwickelt werden, mit dem Ziel, neben den bisherigen Sozialhilfeempfängern künftig auch Gruppen nur bedingt erwerbsfähiger SGB II-Leistungsberechtigter passgenauer zu versorgen. Dazu gehören nach den Vorstellungen der AfD unter anderem bisherige Bürgergeldbeziehende, die in ihrer Gesundheit so stark eingeschränkt sind, dass sie seit mindestens sechs Monaten gar nicht oder weniger als drei Stunden täglich erwerbsfähig sind. Aber auch Menschen, die wegen Kinderbetreuung oder Pflege nicht mindestens drei Stunden täglich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen oder die an niederschwelligen Fördermaßnahmen teilnehmen gehören dazu. Ferner fordert die Fraktion Änderungen bei amtsärztlichen Untersuchungen zur Feststellung des Gesundheitszustandes und eine Wiedereinführung des Vermittlungsvorangs und deutliche schärfere Sanktionen.
AfD: Die Bundesagentur für Arbeit ist kein Sozialamt
Gerrit Huy (AfD) sagte, die BA könne nicht gleichzeitig Sozialamt spielen und sich auf die Vermittlung der Arbeitssuchenden konzentrieren. Derzeit koste die Vermittlung eines Arbeitslosen rund 69.000 Euro, dies sei zu teuer und angesichts des Fachkräftemangels nicht hinnehmbar.
Ein großer Teil der Menschen, der von der BA als arbeitsfähig geführt würde, sei es gar nicht und belaste das System der BA, kritisierte Huy und begründete mit einer Entlastung der BA und Einsparungen in Milliardenhöhe auch den Antrag ihrer Fraktion.
SPD: Der AfD geht es vor allem um eine Arbeitspflicht
„Das meiste, was Sie hier fordern, ist geltendes Recht. Sie betreiben mal wieder ordentlich Schattenboxen und tun so, als gäbe es ein Problem, wo es keines gibt“, erwiderte Annika Klose für die SPD-Fraktion. Sie warf der AfD vor, Menschen verschieben zu wollen.
Der Ansatz der SPD sei es aber, dass auch eine Person mit gesundheitlichen Einschränkungen einen Anspruch auf Arbeitsvermittlung und Förderung habe. Worum es der AfD eigentlich gehe, sei eine Arbeitspflicht für Bürgergeld-Beziehende, so Klose.
CDU/CSU: Menschen werden in nützlich und unnützlich eingeteilt
Kai Whittaker (CDU/CSU) sagte an die AfD gerichtet: „Sie wollen Menschen abschieben, jetzt auch innerdeutsch. Sie teilen Menschen in nützlich und unnützlich ein!“ Die Unionsfraktion aber glaube an die Potenziale der Menschen. Im Übrigen sei es schon jetzt geltende Rechtslage, dass Menschen, die weniger als drei Stunden täglich arbeiten können, in den Sozialhilfebezug wechseln.
Die AfD solle sich überlegen, von welchen Fachkräften sie ihre Anträge schreiben lasse, erwiderte der CDU-Abgeordnete. Er kritisierte aber auch die Ampel-Regierung, weil diese aus seiner Sicht die Arbeitsvermittlung nicht priorisiere.
Grüne: Gesellschaftliche Teilhabe soll verhindert werden
Beate Müller-Gemmeke (Bündnis 90/Die Grünen) erkannte „das abwertende Menschenbild der AfD in jeder Zeile des Antrags“. Wer nicht sofort arbeitsfähig sei, solle aussortiert werden, wer keine deutsche Staatsbürgerschaft habe, abgeschoben werden.
Es sei bei der AfD offensichtlich immer noch nicht angekommen, dass auch Menschen in schwierigen Situationen am Arbeitsleben teilhaben wollen. Dabei gehe es um gesellschaftliche Teilhabe, die die AfD mit diesem Antrag vielen Menschen verwehren wolle.
FDP: Es gibt erheblichen Reformbedarf
Jens Teutrine (FDP) kritisierte zwar auch den Antrag, nutzte seine Rede aber auch dafür, sich an der Unionsfraktion abzuarbeiten. Diese habe doch dem Bürgergeld-Kompromiss zugestimmt, das könne man heute noch in den Pressemitteilungen nachlesen.
Gleichwohl sehe auch seine Fraktion „erheblichen Reformbedarf“, denn der Sozialstaat müsse auch gerecht gegenüber jenen sein, die ihn mit ihren Steuern finanzieren, sagte er. Er nannte die Zuverdienstgrenzen, die Jugendberufsagenturen und die Fördermaßnahmen als Beispiele für Reformansätze.
Gruppe Die Linke: Verstoß gegen Menschenwürde
Heidi Reichinnek (Gruppe Die Linke) betonte im Hinblick auf die AfD-Forderung nach einem strengen Sanktionsregime: „Zum Glück hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig geurteilt: Die Menschenwürde muss nicht erarbeitet werden. Und Menschen hungern zu lassen, verstößt gegen die Menschenwürde.“
Auch sei es absurd, einerseits den Fachkräftemangel zu beklagen und andererseits den Vermittlungsvorrang wieder einführen zu wollen, anstatt Arbeitssuchende weiter zu qualifizieren. (che/14.03.2024)