Aktuelle Stunde

Viel Unmut über Antisemitismus in der Kulturwelt

Die diesjährigen Berliner Filmfestspiele hatten am Mittwoch, 20. März 2024, ein parlamentarisches Nachspiel. Auf der Abschlussgala der Berlinale hatten mehrere Redner massiv das israelische Vorgehen im Gazastreifen kritisiert, nicht aber den auslösenden Terrorangriff der islamistischen Hamas. Für Empörung sorgte das allerdings erst im Nachgang. Auf der Gala selbst hatte es viel Applaus gegeben und keinen Widerspruch. Den gab es nun umso mehr in einer von der CDU/CSU-Fraktion beantragten Aktuellen Stunde mit dem Titel „Antisemitismus in allen Erscheinungsformen aktiv bekämpfen – Keine falsche Nachsicht in Kultur, Bildung und Wissenschaft“.

CDU/CSU greift Staatsministerin Roth an

Auf der Berlinale hätten Filmemacher Israel in die Nähe von Nazi-Deutschland gerückt, stellte Dorothee Bär (CDU/CSU) fest. Das sei „unter einem ganz großen Applaus unwidersprochen“ geblieben. Die dort anwesende Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), habe „zwei ganze Tage gebraucht, bis sie sich geäußert hat. Zwei Tage Schweigen.“

Bär kritisierte, dass es für dieses Verhalten bis heute keine Erklärung gebe und die Koalition eine Befassung des Kulturausschusses mit dem Thema verzögere. Das sei nicht hinnehmbar. Auch die ehemalige Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU/CSU) zeigte sich befremdet. „Es hätte ja Raum für Kritik gegeben: Kein Applaus, Zwischenrufe, Herausgehen“, erklärte sie.

Selbstkritisches aus der SPD

Von einem großen Antisemitismus-Problem im deutschen Kulturbereich sprach Simona Koß (SPD). Sie blicke mit Sorge auf das nächste Großereignis, die Leipziger Buchmesse. Kunstfreiheit sei ein hohes Gut, sagte Koß, aber „wer sich antisemitisch oder antiisraelisch äußert, muss deutlichen Widerspruch erfahren“.

Selbstkritisch zeigte sich Helge Lindh (SPD). Er habe jahrelang nur auf rechten Antisemitismus geachtet aber „nicht in gleicher Weise hingeguckt, wie er stattgefunden hat in künstlerischen, auch wissenschaftlichen Milieus“. Und auch bei Neuankommenden in Deutschland habe er, „wenn da antisemitische Töne waren, immer gerne darüber hinweggehört“. Lindh wandte sich aber auch vehement gegen die pauschale Verdächtigung von Muslimen als Antisemiten.

AfD sieht zwei Skandale

Gleich zwei Skandale konstatierte Dr. Marc Jongen (AfD) auf der Berlinale. Den ersten bei der Eröffnungsfeier in der Ausladung von AfD-Abgeordneten „wegen offenbar unerlaubter Meinungen“. Und den zweiten Skandal bei der Abschlussgala, „die diesen Club der Hypermoralisten zugleich als einen Club der Erzheuchler entlarvte“. 

Die gleichen Leute, welche AfD-Politiker als Rassisten diffamierten, applaudierten heftig, wenn von der Bühne herab Israel ein Apartheidstaat genannt wird, dem keine Waffen geliefert werden dürften. „Von der AfD hätte es dafür keinen Applaus, sondern Protest gegeben“, erklärte Jongen.

Grüne: Antisemitismus mit Bildung bekämpfen

Erhard Grundl (Bündnis 90/Die Grünen) warf der AfD vor, dass sie „internationalen Antisemiten die Tore zum Bundestag aufsperrt und sie hier hofiert“, und bezichtigte sie deshalb der Heuchelei. „Ein Stück weit heuchlerisch“ nannte er auch die CSU, da sie in Bayern am Koalitionspartner Hubert Aiwanger (Freie Wähler) festhalte, trotz des Skandals um ein antisemitisches Flugblatt in seiner Schultasche.

Grundls Fraktionskollegin Marlene Schönberger (Bündnis 90/Die Grünen) wies darauf hin, dass sich antisemitische Vorfälle meist unter der Schwelle der Strafbarkeit vollzögen. Deshalb müsse man Antisemitismus in den Köpfen bekämpfen, und „das erreichen wir nur mit Bildung“. Schönberger plädierte nachdrücklich für eine baldige Verabschiedung des in der Koalition noch umstrittenen Demokratieförderungsgesetzes.

Mehr Fördermittel für Einrichtungen wie die Anne-Frank-Stiftung forderte auch Nicole Gohlke (Gruppe Die Linke). Sie wandte sich aber auch dagegen, Forderungen wie die nach einem Waffenstillstand in Gaza als Antisemitismus zu bezeichnen.

FPD fordert Konsequenzen aus Documenta-Skandal

Den Blick auf die Vorfälle bei der Kunstausstellung Documenta 2022 in Kassel richtete Annikó Glogowski-Merten (FDP). Dort war unter anderem ein riesiges Gemälde mit antisemitischen Stereotypen gezeigt und erst nach tagelangen Protesten zunächst verhüllt und dann abgehängt worden.

Glogowski-Merten kritisierte, dass daraus noch immer keine Konsequenzen gezogen worden seien, und forderte eine Aufarbeitung des „Verantwortungs-Desasters“ vor der nächsten Documenta. „Freiheit der Kunst geht immer mit Verantwortung einher“, erklärte sie.

Entsetzen über Antisemitismus an Hochschulen

„Es stimmt etwas nicht an Hochschulen in Deutschland“, stellte die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger (FDP), fest. Dies sei nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober schnell klar geworden. Es gebe an den Hochschulen „immer wieder antiisraelische Kundgebungen“, „Sympathie für den Terror der Hamas“ und „ein Klima der Angst für jüdische Studentinnen und Studenten“ stellte die FDP-Politikerin fest. Es müsse Anspruch der Politik sein, den Antisemitismus aus der Welt zu schaffen.

Auch Berlins Justizsenatorin Dr. Felor Badenberg zeigte sich entsetzt über antisemitische Vorfälle an Hochschulen. Als Konsequenz aus dem schweren Überfall auf einen Berliner Studenten, nur weil er Jude ist, kündigte sie die baldige Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes an. In solchen Fällen solle wieder der Verweis des Täters von der Hochschule ermöglicht werden. Diese Sanktion war vom Vorgängersenat abgeschafft worden. (pst/20.03.2024)

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