Geschichte

Vor 70 Jahren: Bundes­regierung und Deutscher Bundestag lehnen Anerkennung der DDR ab

Autoschlange auf der Autobahn vor dem Grenzübergang Dreilinden (mit Hinweisschild, 1959), Blick in das Plenum und Rede von Konrad Adenauer am 7. April 1954

„Niemals werden wir uns mit der Spaltung Deutschlands abfinden und die Existenz zweier deutscher Staaten hinnehmen“, erklärt Bundeskanzler Konrad Adenauer am 7. April 1954 im Bundestag. (© Bundesregierung / Gert Schütz | picture-alliance / dpa / Brock)

Vor 70 Jahren, am Mittwoch, 7. April 1954, bekräftigt der Deutsche Bundestag in einem einstimmig angenommenen Entschließungsantrag aller Fraktionen die Haltung der Bundesrepublik, alleinige Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches zu sein und dass allein die Bundesregierung als die einzige demokratisch und frei gewählte deutsche Regierung berechtigt sei, für alle Deutschen zu sprechen.

Dazu heißt es im Entschließungsantrag: „Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag erklärt, dass das deutsche Volk sich niemals mit der Spaltung Deutschlands abfinden und die Existenz zweier deutscher Staaten hinnehmen wird. Er wiederholt die Feststellung, dass das kommunistische Regime in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands nur durch Gewalt existiert und keine Vertretung des deutschen Volkes ist. Die Bundesregierung als die einzige demokratisch und frei gewählte deutsche Regierung ist allein berechtigt, für alle Deutschen zu sprechen. An dieser oft bekundeten Stellungnahme hat sich durch die Erklärung der Regierung der Sowjetunion vom 25. März 1954 nichts geändert.“

Damit bleibt, wie es Bundestagspräsident Dr. Hermann Ehlers (1904 bis 1954) formuliert, „der Deutsche Bundestag auf dem Wege, zu dem er sich oft und einmütig bekannt hat: dass er die Verantwortung für die Freiheit und Einheit Deutschlands in der Weise wahrzunehmen wünscht, die er als sein gemeinsames Anliegen wiederholt in diesem Hause deutlich gemacht hat, und dass er sich durch keinerlei Manipulationen und Versuche der Störung von draußen und drinnen in diesem Wege wird irre machen lassen.“

Souveränitätserklärung der Sowjetunion 

Anlass war die zwei Wochen zuvor, am 25. März 1954, von der Regierung der Sowjetunion abgegebene Erklärung, mit der DDR gleiche Beziehungen wie mit anderen souveränen Staaten aufzunehmen. Die DDR werde die Freiheit besitzen, nach eigenem Ermessen über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten einschließlich der Beziehungen zu Westdeutschland zu entscheiden. 

Die Sowjetregierung folgte damit ihrer angestrebten Zwei-Staaten-Lösung. Dies widersprach dem Anspruch der Bundesregierung, die einzig legitime Vertretung aller Deutschen zu sein. 

Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik

In einer Regierungserklärung bekräftigt deshalb Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer (CDU, 1876 bis 1967) die Haltung der Bundesregierung und erklärt dazu: „Mit dieser Erklärung sucht die Sowjetregierung den Anschein zu erwecken, dass der von ihr besetzte Teil Deutschlands ein selbständiger, souveräner Staat gleichgestelltes Staatswesen geworden sei. Die sowjetische Erklärung vermag jedoch nichts gegen die Tatsache, dass es nur einen deutschen Staat gibt, gegeben hat und geben wird und dass es einzig und allein die Organe der Bundesrepublik Deutschland sind, die heute diesen niemals untergegangenen deutschen Staat vertreten.“

Adenauer begründet diesen Anspruch damit, dass nach 1945 lediglich in allen Ländern der Bundesrepublik freie Wahlen stattgefunden haben, „aus denen Volksvertretungen und verfassungsmäßig geordnete, verantwortliche Regierungen hervorgegangen sind.“ In der von der Sowjetunion beherrschten Zone werde hingegen eine verhasste Minderheit „mit brutaler Anwendung von Waffengewalt gegen die Empörung und Verzweiflung der gesamten Bevölkerung am Ruder“ gehalten.  Weil die Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone ihr Selbstbestimmungsrecht nicht ausüben können, sei die Bundesregierung berechtigt, auch für jene 18 Millionen Deutschen zu handeln und zu sprechen, denen schon 1949 versagt war, bei der Schaffung des Grundgesetzes mitzuwirken. Sie werde deshalb alles in ihrer Macht Stehende tun, um die tragischen Folgen der Teilung Deutschlands zu überwinden. 

Der Bundeskanzler stellt deshalb klar: „Niemals werden wir anerkennen, dass die durch List, Betrug und Gewalt zur Herrschaft gelangten Machthaber der Sowjetzone befugt sind, deutsche Staatsgewalt auszuüben“ und weiter: „Niemals werden wir uns mit der Spaltung Deutschlands abfinden und die Existenz zweier deutscher Staaten hinnehmen.“ 

Auch international fühlt sich die Bundesregierung in ihrem Alleinvertretungsanspruch für Deutschland bestärkt. Dazu erklärt der Bundekanzler: „Die westlichen Großmächte haben bereits anlässlich der New Yorker Konferenz vom 19. September 1950 und seither wiederholt erklärt, dass nur die Bundesregierung legitimiert ist, als einzige frei gewählte Regierung des deutschen Volkes für alle Deutschen zu sprechen. Sie haben damit zugleich zu erkennen gegeben, dass sie eine zweite deutsche Regierung, die sich nicht auf den frei zum Ausdruck gebrachten Willen des deutschen Volkes stützen kann, nicht anerkennen. Keine Nation, die die freie politische Selbstbestimmung jedes Volkes über seine Regierungsform achtet und die gewaltsame Gleichschaltung, Unterwerfung und Beherrschung politisch mündiger Völker und Volksteile ablehnt, wird dieses kommunistische Regime der deutschen Sowjetzone als Regierung eines souveränen Staates anerkennen können.“ 

Abschließend ist sich Adenauer sicher: „Die sogenannte Souveränität des Sowjetzonenregimes wird — dessen sind wir gewiss — ebenso vergehen wie die sowjetische Fremdherrschaft und der kommunistische Terror. Bestehenbleiben wird die unzerstörbare Souveränität des freien deutschen Volkes.“

SPD: Kritik an der einseitigen Westbindung

In der in der Folge, am 29. April 1954, stattfindenden außenpolitischen Debatte bekräftigt der Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD, Erich Ollenhauer (1901 bis 1963) die Bedenken seiner Partei gegen die Ostpolitik der Bundesregierung. Nach Ansicht der Sozialdemokraten sei die nationale Einheit nur zu erreichen, „wenn die westlichen Besatzungsmächte und die Sowjetunion sich in dieser Frage verständigen“. Die Politik der Bundesregierung, einseitig die Integration der Bundesrepublik mit dem westeuropäischen Kontinent — bitte, nicht mit Europa! — zu betreiben, werde dieser Aufgabe nicht gerecht. „Sie hat — wenn nicht in ihrer Absicht, so doch in ihrer praktischen politischen Wirkung — die ursprünglich durch das Verhalten der Sowjetunion herbeigeführte Spaltung Deutschlands vertieft.“ 

Dahinter steht die Befürchtung, nach der Ratifikation des „Vertrages über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten“, kurz Deutschlandvertrag oder auch Generalvertrag am Donnerstag, 19. März 1953, könnten alle Verhandlungen mit der Sowjetunion über eine Wiedervereinigung endgültig gescheitert sein. Ollenhauer gibt zu bedenken: „Wir sind nur ein Teil Deutschlands. Deutschland ist als Folge der Differenzen zwischen den Besatzungsmächten gespalten. Wir sind in der Außenpolitik durch die Begrenzungen beschränkt, die uns heute durch das Besatzungsstatut auferlegt sind und die uns ja auch auferlegt sein werden, wenn morgen der Generalvertrag in Kraft treten sollte.“

Anders als die unionsgeführte Bundesregierung ist die SPD nicht der Ansicht, dass mit der Westintegration und der Wiederbewaffnung der richtige Weg zur Wiedervereinigung beschritten worden ist. „Ich habe das Gefühl, dass in dieser Lage angesichts des starren Festhaltens der Regierung an dieser Politik die Gefahr besteht, dass sich die Bundesregierung durch die Starrheit ihrer Haltung selbst die Chancen verbaut, an einer Diskussion über Alternativlösungen von vornherein maßgebend mitzuwirken.“, so Ollenhauer. Dahinter steckt die Befürchtung „die uns durch die Differenzen unter den Besatzungsmächten aufgezwungene Spaltung Deutschlands aus eigenem deutschem Entschluss oder durch einen einseitigen Akt der drei westlichen Besatzungsmächte zu einem definitiven Zustand“ zu machen. 

Hallstein-Doktrin und neue Ostpolitik

Der Alleinvertretungsanspruch der Bundesregierung mündet 1955 in die sogenannte Hallsteindoktrin nach der die Bundesregierung die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR durch dritte Staaten mit denen sie offizielle Beziehungen unterhält, als einen unfreundlichen Akt ansehen würde. 

1972 setzt die sozialliberale Regierungskoalition unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD, 1913 bis 1992) mit ihrer neuen Ostpolitik die Hallstein-Doktrin außer Kraft und nimmt schließlich 1973 diplomatische Beziehungen zur DDR auf. (klz/01.04.2024)