Parlament

Laschet: Unterstützung der Ukraine hat oberste Priorität

Ein Mann sitzt an einem Tisch hinter einem Mikrofon.

Armin Laschet, Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und Leiter der deutschen Delegation (DBT/Florian Gaertner/Photothek)

Nicht nur gegen die Ukraine, sondern vor allem gegen das Streben nach Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit auch im eigenen Land richtet sich die russische Aggression in der Ukraine, sagt Armin Laschet (CDU/CSU), Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Europarat PV) und stellvertretender Leiter der deutschen Delegation zur Europarat PV, die vom 15. bis 19. April 2024 zu ihrer zweiten Sitzungswoche des Jahres in Straßburg zusammenkam. 

In einer Resolution habe man die Verfolgung und Unterdrückung Andersdenkender durch Russland verurteilt und auf den signifikanten Anstieg politischer Gefangener hingewiesen, sagt Laschet im Interview. Er berichtet ferner über die Debatte zum Tod des Kremlkritikers Alexej Nawalny und die Inhaftierung des russischen Oppositionspolitikers und Journalisten Wladimir Kara-Mursa, die Unterstützung der Versammlung für die Ukraine und die Republik Moldau sowie über ihren Beschluss für eine Aufnahme des Kosovos in den Europarat. Das Interview im Wortlaut:

Herr Laschet, der Beitritt des Kosovos zum Europarat steht auf dessen Agenda seit das Land 2022 ein Beitrittsgesuch gestellt hat. Einige Mitglieder erkennen jedoch die Staatlichkeit des Kosovos nicht an. Serbien hat gar angedroht, aus der Organisation auszutreten. Steht dem Europarat eine Zerreißprobe bevor? Wie ist das aktuelle Stimmungsbild in der Versammlung?

Die parlamentarische Versammlung hat sich mit großer Mehrheit für eine Aufnahme des Kosovos ausgesprochen. Eine endgültige Entscheidung wird jedoch erst das Ministerkomitee treffen, das im Mai zu seiner jährlichen Sitzung zusammenkommt. Wir fordern Diplomatie, Dialog und Kompromiss, gerade weil einige Staaten die Unabhängigkeit nicht anerkennen. Es macht Hoffnung, dass Staaten, die die Unabhängigkeit nicht anerkennen, sich trotzdem für eine Mitgliedschaft aussprachen. 

Was sagen Sie den Gegnern eines Beitritts? 

Serbien erkennt Kosovos Unabhängigkeit nicht an, weil das Land lange zu Serbien gehörte und weil viele Serben auf kosovarischem Gebiet leben. Gerade diese Menschen werden aber durch eine Mitgliedschaft des Kosovos im Europarat geschützt, weil für sie die Europäische Menschenrechtskonvention gilt und sie ihre Rechte auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einklagen können. Die Motive, Kosovo nicht anzuerkennen, sind unter den Staaten sehr unterschiedlich, zum Beispiel die Sorge, dass separatistische Bewegungen dem Beispiel Kosovos folgen könnten. Letztlich geht es aber immer um Menschen. Und deren Rechte zu schützen, muss in jedem Fall an erster Stelle stehen. 

Zu den bedrückenden Punkten gehörte während der Sitzungswoche die Debatte zum Tod des Kremlkritikers Alexej Nawalny und der Inhaftierung des russischen Oppositionspolitikers und Journalisten Wladimir Kara-Mursa. Wie geht die Versammlung mit drangsalierten Oppositionellen in Ländern wie Russland und Belarus um, die dem Europarat nicht angehören? 

Oberste Priorität des Europarats ist die Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg. Die russische Aggression richtet sich nicht nur gegen die Ukraine, sondern vor allem gegen das Streben nach Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sowohl in den ehemaligen Sowjetstaaten als auch in Russland selbst. In einer Resolution haben wir die Verfolgung und Unterdrückung Andersdenkender durch Russland verurteilt und auf den signifikanten Anstieg politischer Gefangener hingewiesen. Wir haben eine Reihe weitreichender Maßnahmen von der EU und anderen Staaten gefordert und die Einhaltung internationaler Standards einschließlich des Zugangs zu medizinischer Versorgung und rechtlicher Vertretung für Inhaftierte gefordert.

Die Republik Moldau gehört dem Europarat an. Der stellvertretende Premierminister dieses Landes hat als Gast vor der Versammlung gesprochen. Was macht der Einfluss Russlands mit diesem kleinen Nachbarland?

Seit Jahren übt Russland Druck auf Moldau aus. Zuletzt gab es Befürchtungen, dass sich der Konflikt durch die Separatisten in Transnistrien verschärfen könnte. Die Region wird von Russland benutzt, um Spannungen anzuheizen und Einfluss zu demonstrieren. Die jüngsten Entwicklungen beunruhigen uns und erinnern an die völkerrechtswidrige Annexion der besetzen Gebiete in der Ukraine durch Russland. Immer wieder versucht Russland durch Propaganda und gesteuerte Netzwerke Moldau zu destabilisieren. Die Republik ist derzeit jedoch prowestlich eingestellt und wurde letztes Jahr zusammen mit der Ukraine offiziell EU-Beitrittskandidat. Bei den Reformbemühungen möchten wir Moldau weiterhin unterstützen.

Die Ukraine ist wahrscheinlich auf lange Sicht die Großbaustelle eines Wiederaufbaus in Europa in jeder Hinsicht: von der Infrastruktur bis zu den Menschenrechten. Die Parlamentarier haben das auch während der Sitzungswoche debattiert. Gibt es Einigkeit, was zu tun ist? 

Im Dezember hat der Europarat den Aktionsplan „Widerstandsfähigkeit, Erholung und Wiederaufbau (2023-2026)“ in enger Kooperation mit den Behörden der Ukraine erarbeitet. Wir wollen so einen Beitrag zum Wiederaufbau und zur wirtschaftlichen Erholung des Landes leisten. Der neue Aktionsplan zielt darauf ab, die Widerstandsfähigkeit der öffentlichen Institutionen zu steigern und die Grundrechte der Bürger zu schützen, indem er die demokratische Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit unterstützt.

Am 5. Mai 2024 feiert der Europarat sein 75-jähriges Bestehen. Erklären Sie mal jungen Leuten, warum sie diese Organisation kennen und wertschätzen sollen. 

Der Europarat wurde nach einem halben Jahrzehnt blutiger Kriege auf dem europäischen Kontinent als Hüter von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit ins Leben gerufen. Die Europäische Konvention für Menschenrechte, die jeder Mitgliedstaat bei einem Beitritt unterschreiben muss, sichert den Menschen essenzielle Grundrechte zu wie zum Beispiel das Recht auf Leben und die Freiheit der Meinungsäußerung. Wer sich in seinen Menschenrechten verletzt sieht, kann vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen. Der Europarat bietet zudem eine weitere wichtige Gesprächsebene, auch für Länder in Europa, ,die nicht Teil der Europäischen Union sind. Er umfasst 46 Mitgliedstaaten, also weit mehr als die EU. 

Welche neuen Herausforderungen müssen der Europarat und die Parlamentarische Versammlung zusätzlich zum bisher Erreichten anpacken? 

Künstliche Intelligenz (KI) wirkt sich immer stärker auf unser Leben aus und birgt neben großen Chancen auch Risiken. Hinsichtlich der Herausforderungen, die KI mit sich bringt, hat der Ausschuss für künstliche Intelligenz einen wichtigen Vertragsentwurf fertiggestellt, der nun dem Ministerkomitee zur Verabschiedung vorliegt. Der Vertrag ist ein Novum, dem internationale Partner beitreten oder an dem sie sich orientieren können. Er hat zum Ziel, einen Rechtsrahmen für KI-Systeme zu erschaffen und so die Rechtskonformität der Entwicklung der künstlichen Intelligenz in Bezug auf Menschenrechte, Demokratie und Rechtstaatlichkeit sicherzustellen. 
(ll/29.04.2024)

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