Geschichte

Vor 140 Jahren: Viel Pomp und wenige Parlamentarier bei der Grundsteinlegung des Reichstagsgebäudes

Schwarz-weiß-Aufnahme mit vielen stehenden Männern in Uniformen

Kaiser Wilhelm I. legt am 9. Juni 1884 den Grundstein für das Reichstagsgebäude. (© picture-alliance / akg-images)

Es war ein verregneter Montag, und es dominierten die Uniform- und Würdenträger. Abgeordnete waren nur wenige zum Berliner Königsplatz gekommen, um am 9. Juni 1884 mitzuerleben, wie der Grundstein für das neue Reichstagsgebäude gelegt wird. Das war vor 140 Jahren. Nach zehnjähriger Bauzeit bezogen die Abgeordneten im Dezember 1894 den neuen Reichstag.

Die Hauptrolle spielten alle drei Monarchen, die das deutsche Kaiserreich seit der Gründung 1871 erlebt hat: Kaiser Wilhelm I., sein Sohn und Nachfolger Friedrich III. und sein Enkel, der spätere Wilhelm II. Überliefert ist, dass dem 87-jährigen Wilhelm beim traditionellen Hammerschlag das Werkzeug zersprang. Ebenfalls dabei: Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck und viel Militär. Das Parlament war in die Vorbereitungen gar nicht einbezogen gewesen.

Drei Hammerschläge

80 Gäste haben damals jeweils die drei Hammerschläge ausgeführt. Nach den Majestäten und Bismarck kamen erst die Generalfeldmarschälle und andere wichtige Personen an die Reihe, ehe Reichstagspräsident Albert von Levetzow, ein Preuße von der Deutschkonservativen Partei (1827-1903), zum Zuge kam. Levetzow war zur feierlichen Zeremonie in der Uniform eines Landwehrmajors der Reserve erschienen.

Ihm folgten sein erster Stellvertreter, Reichstagsvizepräsident Georg Arbogast von und zu Franckenstein aus Bayern (1825-1890), der der katholischen Zentrumspartei angehörte, und sein zweiter Stellvertreter, Reichstagsvizepräsident Adolph Hoffmann von der Deutsch-Freisinnigen Partei (1835-1899), dessen Wahlkreis das thüringische Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt war.

„Ein nicht absehbarer Zwischenfall“

Schon am nächsten Tag, dem 10. Juni 1884, tagte der Reichstag an seinem damaligen Domizil in der Leipziger Straße 4. Die feierliche Grundsteinlegung vom Vortag wurde laut Protokoll gar nicht mehr angesprochen.

Auch in der vorangegangenen Sitzung vom 15. Mai war Präsident von Levetzow eher beiläufig auf das Ereignis eingegangen: „Es kann, meine Herren, ein für mich im Augenblick nicht absehbarer Zwischenfall eintreten, nämlich die Grundsteinlegung für das Reichstagsgebäude. Der Termin hierzu wird an allerhöchster Stelle bestimmt werden. Ich weiß nicht, wann dazu Aussicht ist, nehme aber an, dass das ganze Haus den dringenden Wunsch hat, dieser Feierlichkeit beizuwohnen (das Protokoll vermerkt hier “Zustimmung auf allen Seiten des Hauses„) und würde, wenn zeitiger, vor der von mir sonst beabsichtigten Wiedereinberufung des Reichstags der Termin angesetzt werden sollte, selbstverständlich in aller Schleunigkeit die Einladungen an die Herren ergehen lassen.“

Das Palais Raczynski

Schon kurz nach der Reichsgründung, im Frühjahr 1871, hatte das Parlament eine Reichstagsbaukommission ins Leben gerufen, die einen Bauplatz für einen repräsentativen Neubau suchen sollte. Der in Aussicht genommene Ort an der Ostseite des damaligen Königsplatzes war jedoch noch mit dem Palais des Grafen Athanasius Raczynski bebaut.

Raczynski (1788 bis 1874) war ein polnischer Adeliger aus dem damals zu Preußen gehörenden Posen und zugleich preußischer Diplomat und Kunstsammler. Für den Bau einer Galerie hatte ihm König Friedrich Wilhelm IV. ein Grundstück am Königsplatz überlassen, auf dem er das „Palais Raczynski“ bauen ließ und darin ab 1844 seine Gemäldesammlung ausstellte.

Erster Architektenwettbewerb

Ein erster Architektenwettbewerb von 1872, an dem sich 103 Architekten und Architektengemeinschaften beteiligt hatten, blieb folgenlos, weil Graf Raczynski nicht bereit war, sein Grundstück für den Reichstagsneubau zur Verfügung zu stellen. Eine Enteignung wäre schwierig gewesen, auch weil der Kaiser sie nicht wollte.

Als nach Raczynskis Tod 1874 Verhandlungen mit seinem Sohn aufgenommen wurden, lehnte dieser einen Verkauf unter anderem mit dem Hinweis darauf ab, dass das Gebäude zu einer kaum auflösbaren Familienstiftung gehöre. Kaiser Wilhelm versuchte daraufhin, das Interesse auf das entferntere Grundstück der Kroll-Oper an der Westseite des Königsplatzes zu lenken, das der Reichstag abgelehnt hatte.

„Der gefürchtete Schnupfen kränklicher Députirter“

An Bismarck schrieb Wilhelm: „Es ist viel über den zu wählenden Bauplatz gesprochen, discutirt, geplant etc. worden, daß meiner Ansicht nach nur der Krollsche Platz zu wählen übrig bleibt, dem doch eigentlich nur der gefürchtete Schnupfen einiger kränklicher Députirter entgegenstehet, den man sich auf dem Wege vom Brandenburger Thor zum Parlaments Gebäude zuziehen könne, aber nicht muß, und dem man durch eine Droschke oder guten Paletot sehr gut begegnen kann, ganz abgesehen, daß jene Opponenten schwerlich die Vollendung des Baus noch erleben werden, und deren Fürsorge für später zu Verschnupfende doch sehr weit ginge, wenn man auf diese Fürsorge eingehen wollte!“

Zweiter Architektenwettbewerb

1877 war Raczynskis Sohn zu erneuten Verhandlungen bereit, ein Jahr später schloss er mit dem Reich einen vorläufigen Vertrag über eine formelle Enteignung des Palais durch den preußischen Staat. Die Entschädigung betrug etwas mehr als eine Million Mark. Im Dezember 1881 beschloss der Reichstag, das Baugelände zu erwerben, im Februar 1882 wurde ein neuer Architektenwettbewerb ausgeschrieben.

Der Sieger von 1872, Ludwig Bohnstedt aus Gotha (1822 bis 1885), beteiligte sich wieder, kam aber nicht zum Zug. Aus 189 anonym eingereichten Entwürfen gingen die von Paul Wallot aus Frankfurt am Main (1841 bis 1912) und des Müncheners Friedrich von Thiersch (1852-1921) als Sieger hervor. Da Wallot mehr Stimmen der Jury auf sich vereinigen konnte, erhielt er den Auftrag. (vom/03.06.2024)

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