Kinderkommission

Experten: Inklusion bietet viele Chancen, birgt aber auch Herausforderungen

Die Sachverständigen sind sich einig: Inklusion ist ein wichtiger Faktor für die Bildungs- und Entwicklungschancen von Kindern. Welche Chancen, aber auch Herausforderungen dies mit sich bringt, wurde im Fachgespräch der Kinderkommission (Kiko) am Mittwoch, 5. Juni 2024, zum Thema Inklusion diskutiert. 

Vielfalt erleben durch Inklusion

Selbstbestimmung und Teilhabe seien Menschenrechte, betonte Wolfgang Tyrychter vom Dominikus-Ringeisen-Werk und vom Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie. Inklusion müsse daher „das Ziel unserer gesellschaftlichen Entwicklung“ sein. Damit dies gelinge, seien aber einige Faktoren erforderlich. Zum einen brauche es Zeit, denn Inklusion sei ein Generationenprojekt. Zum anderen brauche es aber auch grundlegende neue Konzepte für Kindertagesstätten, Schulen und Ausbildungsbetriebe. Wichtig sei zudem eine differenzierte Sichtweise und „der Blick aufs Ganze“, damit die „Schwächsten“ nicht übersehen würden.

Eine inklusive Gesellschaft bietet Tyrychter zufolge viele Chancen. So könne man durch gemeinsames Lernen Vielfalt erleben und lernen. Aber auch die Selbstbestimmung werde enorm gestärkt. Ähnlicher Meinung war der pensionierte Förderschulrektor Andreas Viehoff. Er setze sich kritisch mit der Umsetzung der Inklusion auseinander und zeigte auf, dass Förderschulen nach wie vor eine Alternative für förderbedürftige Kinder und Jugendliche sein sollten.

Inklusion trotz vieler Herausforderungen

Man dürfe aber auch die Herausforderungen nicht ignorieren, die Inklusion mit sich bringe, so Viehoff. Schließlich seien Behinderungen vielschichtig, wodurch sich auch unterschiedliche Bedarfe ergeben würden. Dies sei vor allem herausfordernd mit Blick auf das deutsche Bildungs- und Schulsystem, das sehr leistungsorientiert sei. 

Julie Neumann von der Havelmüller-Schule in Berlin-Reinickendorf stimmte dem zu. Auch ihre Schule sei leistungsorientiert, doch durch individualisierten Unterricht sei individuelles Lernen möglich. Der Vorteil sei, dass mithilfe von beispielsweise Projektarbeiten alle Schülerinnen und Schüler erreicht werden könnten.

Viehoff gab zu bedenken, dass das Förderschulsystem zu einer Ausgrenzung aus dem allgemeinen Schulleben sowie dem sozialen Umfeld führe. Zudem komme es zu einer „gefühlten Abstempelung“ als Förderschüler oder Förderschülerin. 

Forderung nach intensiverer Zusammenarbeit mit Schulen und Horten

Matthias Klockow von der Heilsarmee-Kindertagesstätte „Volltreffer“ beobachtet eine Zunahme von Kindern mit Auffälligkeiten wie der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Daher sei ein verstärkter Fokus auf das Thema Inklusion in der Ausbildung zum Erzieher wichtig. Auch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Schulen und Horten sei aus seiner Sicht wünschenswert, „um gemeinsam einen guten Übergang gestalten zu können“. Auch Viehoff sagte, dass „die Mamut-Aufgabe Inklusion auf viele Schulen verteilt ist“. Der Blick auf Biografien zeige, dass die Schule nur einen von vielen Lebensabschnitten eines Menschen ausmache. 

Das größte Problem ist Tyrychter zufolge jedoch „schlecht gemachte Inklusion“. Denn halbherzig gemachte Inklusion beschädige das eigentliche Ansinnen. Ähnlich sah es auch Viehoff; jedoch kann seiner Meinung nach das Förderschulsystem abgebaut werden, „wenn die allgemeinen Schulen bereit wären, sich als Schwerpunktschule zu definieren“. (mtt/05.06.2024)

Zeit: Mittwoch, 5. Juni 2024, 15 Uhr bis 16.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.200

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