Bürgerschaftliches Engagement

Aktuelle Situation des Ehrenamtes im Breitensport

Zeit: Mittwoch, 12. Juni 2024, 16.30 bis 18.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.800

Zwei Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland ehrenamtlich in Sportvereinen. Über den Sport hinaus leisten sie einen wertvollen gesellschaftlichen Beitrag für ein gelungenes Zusammenleben, für Inklusion, Integration, die Demokratie. Ungünstige Rahmenbedingungen schrecken allerdings viele von einem Engagement ab. Die Vereine wiederum, von denen viele hohe Mitgliederzuwächse verzeichnen, stellt es vor teils existenzielle Probleme, wenn der Vorstandsposten vakant bleibt oder sie ihr Kursangebot wegen fehlender Übungsleiter einschränken müssen. 

Einen Überblick über die aktuelle Situation des Ehrenamtes im Breitensport gaben Sachverständige aus Wissenschaft und Praxis im öffentlichen Fachgespräch des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement am Mittwoch, 12. Juni 2024.

Schub durch Großereignisse des Sports

Was für einen Schub Großereignisse des Sports wie die Uefa Fußball-Europameisterschaft 2024 für die Mitgliederzahlen und das Ehrenamt im Vereinssport bedeuten, das machte Jörg Ammon, Präsident des Bayerischen Landes-Sportverbandes, klar. Ein Plus von fünf Prozent über alle Sportarten hinweg verzeichne sein Verband binnen zwei Jahren nach einer Sportgroßveranstaltung. Der Landessportbund verfolge viele Ansätze, um mehr Menschen für den Sport zu begeistern und um Mitglieder und Ehrenamtliche zu gewinnen und zu halten, beginnend bei den Kindern und Jugendlichen, die durch Großereignisse, durch Vorbilder und durch die mediale Berichterstattung inspiriert würden. 

Vereine, die ein langjähriges Jubiläum begingen, zeichne man mit Ehrungsveranstaltungen aus. Den Ehrenamtlichen gehe es nicht um eine finanzielle Vergütung, sondern vor allem um Wertschätzung. Dem Unterausschuss gab Ammon auf den Weg, sich weiter für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, den Bürokratieabbau und eine Erhöhung der steuerlich freigestellten Pauschalen für Ehrenamtliche einzusetzen, um die Attraktivität des Ehrenamtes zu steigern und formale Aufwände zu verringern. 

„Sport überwindet Ungleichheit und Ausgrenzung“

Wie Sport zum Motor werden kann, um soziale Ungleichheit und persönliche Ausgrenzung zu überwinden, das illustrierte Steffi Biester, Mitgründerin des Vereins Kickfair anhand der Projekte und Erfahrungen ihres Vereins. Ob ethnische Zugehörigkeit, Religion oder Geschlecht: Jeder fünfte junge Mensch in Deutschland sei von gesellschaftlichen Zugangsbarrieren und „Ausgrenzungsmechanismen“ negativ betroffen. „Gerade diese jungen Menschen machen während ihres Heranwachsens regelmäßig die Erfahrung, nicht gut genug zu sein.“ Fehlendes Selbstwertgefühl und die Wahrnehmung, abgehängt zu sein, würden die Gefahr „destruktiver Bewältigungsstrategien“ bergen: „Da setzen wir an.“ Die Gesellschaft dürfe solche jungen Leute nicht verloren geben, sondern müsse ihre Potenziale heben.

Mit einem mit „Straßenfußball“ kombinierten Bildungskonzept engagiere sich der Verein, der an Schulen arbeite, für Jugendliche, die Hilfe bräuchten. Dabei nutze man den Fußball, um den Kids auf spielerische Weise Selbstvertrauen zu geben, ihre Talente zu entdecken und sie mit den demokratischen Prinzipien vertraut zu machen. Man vermittele  ihnen Schlüsselkompetenzen, beispielsweise, um Konflikte untereinander friedlich zu lösen, sowie die „Erfahrung der Selbstwirksamkeit“. Ziel sei „Leadership für sich selbst und für ein gleichberechtigtes Miteinander“. Von Politik und Gesellschaft fordere Kickfair,  die jungen Menschen und ihre Lebenswelten ernst zu nehmen, diese selbst seien nicht das Problem. „Erfolgreiche Engagement-Räume“ gelte es als Teil von Bildungsprozessen, etwa an Schulen, „langfristig und verlässlich“ zu finanzieren. 

Gewinnung und Bindung Ehrenamtlicher

Der Sportverein stelle „das bedeutsamste Setting für Ehrenamt in Deutschland“ dar, sagte Dr. Christoph Breuer, Professor am Institut für Sportökonomie und Sportmanagement der Deutschen Sporthochschule Köln, und zitierte aus dem „Sportentwicklungsbericht für Deutschland“. Demnach verzeichne das ehrenamtliche Engagement im Sportbereich in den letzten Jahren einen leichten Rückgang auf etwa zwei Millionen Engagierte, die in Vereinen eine feste Funktion im Vorstand oder als Übungsleiter ausführen. Hinzu kämen 6,5 Millionen, die sich sporadisch engagierten. 

Als Hauptproblem geben laut der Studie Sportvereine seit fast zwei Dekaden zunehmende Schwierigkeiten bei der Gewinnung und Bindung Ehrenamtlicher an. Das führe bei immer mehr Vereinen sogar zu „existenziell bedrohlichen Problemlagen in den Bereichen Vorstand und Übungsleiter/Training“. Um die rückläufigen Partizipationsmöglichkeiten für Jugendliche in den Vereinen aufzufangen, gebe es mittlerweile vielversprechende initiativen zur Förderung des jungen Ehrenamtes, sagte der Wissenschaftler. Denn die fehlenden Beteiligungsmöglichkeiten erschwerten die Rekrutierung junger Ehrenamtlicher. Vereine seien umso erfolgreicher bei der Gewinnung von Ehrenamtlichen, je stärker sie auf eine ausreichende Zahl an Frauen im Vorstandsteam setzten und den Ehrenamtlichen Aus- und Weiterbildung anböten, sagte Breuer. 

Freiwilligendienste für die Rekrutierung

Dr. Jaana Eichhorn, Ressortleiterin Junges Engagement und Bewegung, Spiel und Sport bei der Deutschen Sportjugend im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und Carolin Giffhorn, Vorstandsmitglied der Deutschen Sportjugend im DOSB, wiesen auf die Bedeutung der Freiwilligendienste für die Rekrutierung ehrenamtlicher Mitarbeiter und vor allem der Führungskräfte in den Vorständen der Vereine hin. Unter den dort Engagierten fänden sich sehr viele ehemalige Freiwilligendienstleistende. Wenn Interessierte wegen fehlender finanzieller Mittel keinen Freiwilligendienst-Platz erhielten, fehle ihr Einsatz auch in den Folgejahren. Die Politik solle über einen Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst nachdenken. 

Bei der deutschen Sportjugend fördere man junges Engagement in Vereinen mit dem Format „Juniorteam“ seit Jahren erfolgreich, erklären die Vertreterinnen der Deutschen Sportjugend. Damit habe man eine neue flexible Form der Beteiligung für Jugendliche geschaffen, die ein direktes Engagement in Vereinen ohne formale Verpflichtungen, unterhalb der Schwelle des klassischen Wahlamtes, ermögliche und mit der man hoffe, dem „signifikanten Rückgang“ des Engagements junger Leute entgegenzuwirken.

Die Sportvereine als Abbild der Gesellschaft haben Vorbildfunktion, so die beiden Sachverständigen. Ihre Jugendarbeit solle Kinder stark machen, die Vereine seien Orte der Demokratieförderung und bezögen Stellung gegen alle Formen der Gewalt. Die dort geleistete Jugendarbeit brauche neben einer Kultur der Anerkennung und Wertschätzung, mit ausgleichenden Regelungen in Schule, Ausbildung, Beruf und Mobilität auch eine verlässliche finanzielle Förderung. Aufwendige und immer wiederkehrende Antragsverfahren müssten durch langfristige Förderverträge ersetzt werden. (ll/12.06.2024)

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