Parlament

Abgeordnete in Asean-Staaten: Gemeinsam für eine multilaterale Weltordnung

Sechs Frauen und zwei Männer stehen nebeneinander zum Gruppenfoto vor einer holzgetäfelten Wand.

Im Unterhaus des malaysischen Parlaments in Kuala Lumpur: von links die malaysischen Abgeordneten Puan Hajah Rodziah bin Ismail, Tuan Lee Chuan How (Mitglieder der Malaysisch-Europäischen Freundschaftsgruppe), Frank Müller-Rosentritt (FDP), Delegationsleiterin Gabriele Katzmarek (SPD), Unterhaus-Speaker Tan Sri Dato' Dr. Johari Bin Abdul, Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen), Peter Aumer (CDU/CSU), Gerold Otten (AfD). (© DBT/Franco Liccione)

Die multilaterale Weltordnung gemeinsam mit gleichgesinnten Ländern bewahren, die Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik und beim Klimaschutz vertiefen: Vor allem diesen Zielen diente der parlamentarische Austausch während einer Delegationsreise der Parlamentariergruppe Asean des Deutschen Bundestages in Länder der Asean-Staatengruppe vom 2. bis 9. März 2024. 

Verband Südostasiatischer Nationen

Abgeordnete der dortigen Volksvertretungen, Mitglieder der Regierungen, Vertreter aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft waren die Gesprächspartner der deutschen Delegation in Brunei, Malaysia und Singapur. Der Delegation gehörten neben der Vorsitzenden der Parlamentariergruppe Gabriele Katzmarek (SPD) noch Peter Aumer (CDU/ CSU), Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen), Frank Müller-Rosentritt (FDP) und Gerold Otten (AfD) an.

Die Parlamentariergruppe Asean steht für die Pflege der parlamentarischen Beziehungen zu den Ländern des Verbandes Südostasiatischer Nationen, englisch: Association of Southeast Asian Nations (Asean), zu dem Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam gehören. Die zehn Länder mit zusammen mehr als 600 Millionen Einwohnern bilden eine der großen Freihandelszonen der Welt.

Brunei: Sultanat ohne Geldsorgen

Über das Gesundheits- und Bildungssystem sowie über die Situation von Minderheiten unter der Scharia-Gesetzgebung informierten sich die deutschen Abgeordneten bei der ersten Station der Reise im Sultanat Brunei. Dabei bestätigte sich der Eindruck, dass die üppigen Einnahmen aus dem Verkauf von Erdöl und Erdgas, auf dem der Reichtum des Landes beruht, Opposition und Verteilungskonflikte abmildern oder diese gar nicht erst aufkommen lassen. 

Die absolutistische Regierung des Sultans in dem nicht einmal 500.000 Einwohner zählenden Land spüre politisch kaum Gegenwind und wende daher Strafen wie Steinigungen oder die Verurteilung zum Tode momentan nicht an, berichtet Delegationsleiterin Gabriele Katzmarek (SPD).

Singapur: Labor zur Lösung globaler Probleme 

Ebenfalls ein flächenmäßig kleines Land, aber ein Muss für die deutsche Wirtschaft und Politik ist die Handels- und Wirtschaftsmetropole Singapur, die die Delegation als Zweites ansteuerte. Allein 2.200 deutsche Unternehmen sind in dem strategisch günstig gelegenen Stadtstaat an der Meerenge zwischen Indonesien und Malaysia ansässig, mit dem die Europäische Union ein Freihandelsabkommen verbindet. 

Nach dem chinesischen Schanghai unterhält die Republik Singapur, in der auf der Fläche Hamburgs knapp sechs Millionen Einwohner leben, den zweitgrößten Hafen der Welt. „Beim Anflug sieht man Containerschiffe sich aufreihen, so weit das Auge reicht“, macht Katzmarek, die auch Mitglied des Wirtschaftsausschusses ist, anschaulich, was dieser Hafen für den Welthandel bedeutet.

„Deutsche Wirtschaft muss auf Tuchfühlung bleiben“

Bei einer Besichtigung erfuhren die Abgeordneten aus Berlin von den Plänen zum Ausbau des Hafens, der einmal die Nummer eins werden und vollautomatisiert arbeiten soll. In 10 bis 15 Jahren werde man dort kaum einen Menschen mehr sehen. Auf Beleuchtung beispielsweise wolle man dann komplett verzichten, die Maschinen könnten schließlich auch im Dunklen arbeiten. Ganz neue Standards würden gesetzt.

„Mit diesen Entwicklungen muss die deutsche Wirtschaft auf Tuchfühlung bleiben“, sagt Katzmarek, der man anmerkt, dass sie als deutsche Abgeordnete darauf programmiert ist, nach Anknüpfungspunkten und Chancen für ihr Land zu suchen.

 

Auf engem Raum stoße man in Singapur auf spannende Innovationen. Die geografische Begrenztheit sei ein wesentlicher Treiber für Erfindungen und Lösungen, die der Stadtstaat dringend benötigt, aber die, einmal produktreif und ins Große projiziert, der ganzen Welt zugute kommen könnten. So haben sich die Deutschen bei ihrem Besuch Unternehmen zeigen lassen, die darüber forschen, wie sich die Abhängigkeit Singapurs von knappen Gütern wie Trinkwasser, Energie oder Nahrungsmitteln reduzieren lässt allesamt Fragen, vor denen andere Länder auch stünden, gibt Katzmarek zu bedenken. 

Ob es einem schmecke oder nicht, aus Stammzellen gewonnenes Fleisch, an dem im National Centre of Food Science in Singapur geforscht werde, könne mithelfen, die globale Nahrungsmittelversorgung zu sichern. Gespräche mit dem Parlamentspräsidenten und Abgeordneten verschiedener Ausschüsse, mit Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft sowie eine Einladung der Außenhandelskammer und Gespräche mit Unternehmensvertretern komplettierten das Programm in Singapur.

Malaysia: Vorzeige-Demokratie mit Wahl-Königtum

In Malaysia erlebten die Bundestagsabgeordneten die dritte Staatsform: In der „Vorzeige-Demokratie der Region“, zu deren Verfassungsorganen ein Wahlkönigtum ebenso gehört wie ein selbstbewusstes, demokratisch gewähltes Parlament, standen in Gesprächen mit Abgeordneten sowie Vertretern aus Regierung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft die Themen Demokratie, Wirtschaft und Umwelt im Vordergrund, berichtet Katzmarek, die dem Ältestenrat des Bundestages angehört.

Obwohl mit dem etwa 35 Millionen Einwohner zählenden Schwellenland kein Handelsabkommen besteht, seien hier mehr als 700 deutsche Unternehmen ansässig. In der Hauptstadt Kuala Lumpur folgten die deutschen Abgeordneten der Einladung des Parlamentspräsidenten, trafen Mitglieder des Ausschusses für internationale Beziehungen und Handel sowie den Minister für Transport, Ressourcen und Nachhaltigkeit. 

Situation der Flüchtlinge aus Myanmar

Bei einem Besuch des „UNHCR Refugee Centers“ des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen informierten sich die Abgeordneten über die Situation der Flüchtlinge insbesondere aus dem benachbarten Myanmar.

Von der spezifischen föderalen Struktur des aus dem britischen Kolonialreich hervorgegangenen Landes mit seinem Wahlkönigtum, bei dem der Inhaber des höchsten Staatsamtes alle fünf Jahre unter einem der Herrscher der neun Sultanate ausgewählt wird, konnten sich die Deutschen bei einem Abstecher in den benachbarten Bundesstaat Pahang einen Eindruck verschaffen. Dort trafen sie mit dem jungen Kronprinzen zusammen, der sich stark für den Klima- und Artenschutz engagiere und ein von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gefördertes Umweltprojekt zum Erhalt eines Torfmoors unterstütze, so die Abgeordnete mit Wahlkreis im badischen Rastatt.

„Asean-Staaten lange vernachlässigte Partner“

So sehr die drei Länder ihre Besonderheiten pflegten, so sehr habe die Delegation bei ihren Gesprächen deren Zugehörigkeit zur Asean-Gemeinschaft betont, sagt Katzmarek. „Die Gruppe der Asean-Länder ist bedeutsam für die internationale Zusammenarbeit und zugunsten einer Fokussierung auf die Schwergewichte der Region wie China von der deutschen Politik viel zu lange vernachlässigt worden.“

Insbesondere vor dem Hintergrund der Großmachtrivalitäten zwischen China, Russland, Indien und den USA gehe es darum, zusammen mit dem Freihandelsverbund Asean eine Weltordnung der multilateralen, regelbasierten Zusammenarbeit zu pflegen, die globale Herausforderungen und Zukunftsthemen in den Blick nimmt. 

Fast alle Asean-Länder nähmen die Gefahren einer Abhängigkeit von China, von Machtverschiebungen und gewaltsamen Grenzveränderungen ernst und stünden für Multilateralismus und die Achtung des Völkerrechts. In diesem Sinne hätten die die meisten Asean-Länder die russische Aggression gegenüber der Ukraine verurteilt und blickten besorgt auf den Konflikt zwischen China und Taiwan.

„Wir nehmen ein Umdenken in der Region wahr“

Die großen Fragen der Zeit, vom Klimawandel bis hin zu Sicherheitsfragen und Fluchtbewegungen, erforderten internationale Zusammenarbeit statt eines neuen Gegeneinanders, so Katzmarek. In die Region hineinzuhören und die Wahrnehmung dieser Länder als Asean zu unterstreichen, sei Ziel der jüngsten Delegationsreise gewesen. 

Umgekehrt zeigten die Asean-Staaten ein großes Interesse an der Zusammenarbeit mit Deutschland und Europa, das sie als Alternative zu den historisch im Pazifik dominierenden USA betrachteten. „Wir nehmen ein Umdenken in der Region wahr. Die Länder suchen nach geopolitischer Diversifizierung“, berichtet die Vorsitzende der Parlamentariergruppe Asean.

„Freihandelsabkommen mit Asean wäre wünschenswert“

Um die Zusammenarbeit mit Asean und damit auch den freien Welthandel zu stärken, gelte es, die Wirtschaftsbeziehungen zu der Staaten-Gruppe auszubauen, rät Katzmarek und fügt hinzu: „Wünschenswert wäre ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Asean insgesamt. Bis dahin ist es jedoch ein sehr weiter Weg, denn mit Militärdiktaturen wie Myanmar wird es keine Zusammenarbeit geben.“ 

Die SPD-Politikerin weiter: „Handelsabkommen können wirtschaftliche Dynamik und Wohlstand fördern, zum Gelingen einer gerechten Globalisierung beitragen und Frieden und Sicherheit dienen. Für mich ist Handelspolitik auch Entspannungspolitik.“ Wandel durch Handel beispielsweise in einer autoritär erstarrten oder einer angespannten, zum Krieg neigenden Situation sei ein „immer noch richtiges Konzept“. 

„Parlamentarier stehen für glaubwürdige Außenpolitik“

Die Vernetzung aus Verträgen, Handel und Produktionsstandorten, dieses Gewebe aus wechselseitigem Engagement, führe dazu, von Aggressionen Abstand zu nehmen und stifte bereits Frieden, da ein militärisches Losschlagen zum Schaden aller führen würde. Auch wenn es dafür keine Erfolgsgarantie gebe, wie das Beispiel Russland zeige: „Es nicht zu versuchen“, stellt für die Bundestagsabgeordnete „keine seriöse politische Option“ dar. Die Arbeit der Parlamentariergruppe trage viel dazu bei, „indem sie beharrlich das Gespräch sucht“.

Katzmarek versteht den Arbeitsauftrag der Parlamentariergruppe darin, die Außenpolitik der Bundesregierung zu verstärken und glaubwürdiger zu machen. „Mit unserer Reise unterstreichen wir, dass wir es ernst meinen.“ Es gehe darum, die internationale Zusammenarbeit, das Verständnis füreinander, zu verbessern mit dem Ziel einer multilateralen, friedlichen und gerechten Welt. Sichere internationale Handelsrouten, Absatzmärkte und Investitionsstandorte würden zudem dazu beitragen, Arbeitsplätze in Deutschland und Partnerländern zu sichern. 

Mitgliedsantrag zum Parlamentarischen Beirat gestellt

Die Arbeit der Parlamentariergruppe bestehe nicht nur aus einer einwöchigen Reise. „Ihre Mitglieder bringen die südasiatische Region in die Arbeit der Fachausschüsse des Bundestages ein“, erläutert Katzmarek. Es gebe zudem unzählige Besuche von Vertretern der Region in Deutschland, im Bundestag, aber auch in den Wahlkreisen. Als Vorsitzende pflege sie ein umfangreiches Netzwerk.

Ein Nahziel von Gabriele Katzmarek scheint fast erreicht: Auf Initiative der Politikerin könnte Deutschland bald als erster Einzelstaat Europas einen Sitz im Parlamentarischen Beirat der Asean, der „Asean Interparliamentary Association“ (AIPA), zugesprochen bekommen, die sich darum bemüht, die Integration der Staatengruppe voranzutreiben sowie Frieden, Stabilität und Sicherheit in der Region zu stiften. „Wir haben als Deutscher Bundestag einen Mitgliedsantrag gestellt und damit deutlich gemacht, wie wichtig uns diese Region ist.“ (ll/17.06.2024)