Abgeordnete in Kanada: Zu Besuch bei verlässlichen Partnern
Die deutsch-kanadische Freundschaft ist eng, und die Partner gehen globale Herausforderungen entschlossen an: von der Verteidigung der Sicherheit und Freiheit bis zur Versorgung der Welt mit sauberer Energie. Diese wichtigen Signale habe der Besuch einer Delegation von Bundestagsabgeordneten in Kanada vom 28. April bis 5. Mai 2024 gesendet, sagt Bernd Rützel (SPD), Vorsitzender der Deutsch-Kanadischen Parlamentariergruppe.
Beständiges Engagement erforderlich
Vor allem als eine „verlässliche Partnerschaft“ würde er die sehr guten, traditionsreichen Beziehungen zu dem nordamerikanischen Land charakterisieren, so Rützel. Dennoch bedürfe auch eine so eingeübte und stabile Partnerschaft der Pflege und das heiße: eines beständigen Engagements.
Dem hat sich im Deutschen Bundestag die Deutsch-Kanadische Parlamentariergruppe verschrieben. Und dem diene auch, einmal pro Legislaturperiode, die Delegationsreise: „Man muss sich ab und zu mal sehen und ein Zeichen der Wertschätzung und Verbundenheit setzen.“
„Wir sprechen über alles und jedes politische Thema“
„Allein die Regierungsbeziehungen würden nicht ausreichen, um eine so wichtige Beziehung mit Leben zu erfüllen“, gibt Rützel zu bedenken. „Entscheidend ist, dass sich viele vernetzen“, in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft, und vor allem die junge Generation. Der regelmäßige Austausch und dass man sich kennt sei von hohem Wert, nicht zuletzt, wenn man im Krisenfall einander brauche.
Die thematische Breite der Beziehungen werde gespiegelt durch die unterschiedlichen fachlichen Schwerpunkte der Abgeordneten, die nicht nur aus ganz Deutschland kommen, sondern aus allen Bereichen des Parlaments. So finde auch die Reise nicht unter einem einzelnen Fokus statt. „Wir sprechen über alles und jedes politische Thema“, sei vielmehr die wichtige Botschaft.
Gespräche in Ottawa, Halifax und St. John’s
Zusätzlich zu der „sehr intensiven“ Arbeit der Parlamentariergruppe während der gesamten Legislaturperiode, zu der vor allem Inlandstermine gehören, im Bundestag, in Berlin, darunter Besuche kanadischer Politiker, Unternehmer oder Akteure aus der Zivilgesellschaft, biete die Delegationsreise die Möglichkeit, in wenigen Tagen ein dichtes Programm mit einer großen Bandbreite an Themen und Gesprächspartnern zu absolvieren.
So wurden die deutschen Abgeordneten in der kanadischen Hauptstadt Ottawa nicht nur im Sitz der Vertreterin des Staatsoberhauptes, des britischen Königs, der Generalgouverneurin von Kanada, Mary Simon, empfangen, sondern auch vom Parlamentspräsidenten, dem Speaker des Unterhauses, Greg Fergus, begrüßt. Ein Höhepunkt der Reise war laut Rützel der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen der Kanadisch-Deutschen Parlamentariergruppe.
Transformation zu einer klimafreundlichen Ökonomie
Die deutschen Abgeordneten sprachen außerdem mit Regierungsvertretern sowie Parlamentariern darüber, wie das flächenmäßig zweitgrößte Land der Erde seine natürlichen Ressourcen zunehmend dazu einsetzt, seine Wirtschaft hin zu einer klimafreundlichen Ökonomie zu transformieren. Das werfe über das technisch Machbare, über wirtschaftliche und rechtliche Aspekte hinaus, soziale Fragen auf und eröffne Gelegenheiten der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. Zu den Gesprächspartnern gehörten daher auch Wirtschaftsvertreter, Gewerkschafter und Wissenschaftler.
Das Programm der Bundestagsabgeordneten beinhaltete zudem Abstecher in die beiden maritimen, am Atlantik gelegenen Provinzen Nova Scotia, Labrador und Newfoundland (Neufundland), darunter einen Besuch des Marinestützpunktes in Halifax, wo es um sicherheitspolitische Fragen, insbesondere nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, ging.
Elektrizität aus Windkraft von der Nordatlantik-Küste
Wie an den Küsten des rauen Nordatlantiks immer größere Mengen an Elektrizität, auch zur Herstellung von Wasserstoff, aus Windkraft gewonnen werden, das schauten sich die Parlamentarier vor Ort auf Neufundland an, wo sie mit Verantwortlichen des Bundesstaates, Energieunternehmern, Wissenschaftlern und Studenten zusammenkamen.
„Ein Gespräch war besser als das andere“, beschreibt der Vorsitzende und Delegationsleiter die Atmosphäre während der gesamten Reise.
Kanada als Werte-Partner
Die Tiefe und Belastbarkeit der deutsch-kanadischen Partnerschaft ist nach Darstellung des Abgeordneten aus dem bayerischen Unterfranken nicht zuletzt auf Kanadas Verwurzelung in Europa zurückzuführen. Diese speise sich aus einer langen Einwanderungsgeschichte und habe Kanada zum „europäischsten Land auf dem amerikanischen Kontinent“ gemacht. Zwischen beiden Ländern gebe es ein dichtes Netz gesellschaftlicher, kultureller und wirtschaftlicher Verbindungen, betont Rützel. Neben den USA sei das Nato-Mitglied Kanada auch ein Werte-Partner und daher „ein Partner in eigentlich allen Themenbereichen“.
Sicherheitspolitische Kooperation, wirtschaftliche Verflechtung
Beide Länder gewönnen noch an Bedeutung füreinander, sei es bei der sicherheitspolitischen Kooperation, der Verteidigung des Bündnisses und dem Einstehen für eine multilaterale, auf dem Völkerrecht basierende Weltordnung. Die wirtschaftliche Interaktion gebe Antworten auf die Herausforderungen der Energieversorgung und des Klimawandels.
Die bilaterale Verflechtung stellt aus Sicht Rützels eine gute Basis dar, um die Zusammenarbeit auszubauen und neue Herausforderungen wie die Angriffe auf die weltweite Sicherheit und Ordnung sowie Zukunftsthemen wie eine klimaschonende Energieversorgung gemeinsam anzugehen.
„In der Sicherheitspolitik sind die Kanadier auf dem Platz“
Ob beim beim D-Day gegen das Dritte Reich und vielen weiteren Einsätzen des internationalen Krisenmanagements, der Konfliktlösung und Friedenserzwingung, bei friedenssichernden und friedenschaffenden Einsätzen im Rahmen der Vereinten Nationen und in der Nato leisteten kanadische Kräfte seit Jahrzehnten weltweit einen zuverlässigen Beitrag, um das internationale Recht durchzusetzen, betont Rützel. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs seien Deutschland und Kanada zu sicherheitspolitischen Partnern geworden.
„Kanada war immer dabei, von der ersten Minute, auch als es darum ging, die Ukraine zu unterstützen. In der Sicherheitspolitik sind die Kanadier auf dem Platz“, so der Abgeordnete, der auch Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Bundestag ist. Das mache die Partnerschaft mit Kanada umso wertvoller in einer Welt neuer Unsicherheiten und Konflikte und vor dem Hintergrund neuer globaler Rivalitäten.
Verbundenheit mit der kanadischen Armee
Um das zu würdigen und der Verbundenheit Deutschlands und der deutschen Streitkräfte, die auch als eine Parlamentsarmee bezeichnet werden, mit der kanadischen Armee Ausdruck zu verleihen, stattete die Bundestagsdelegation in Halifax an der Atlantikküste, dem größten und ältesten Marinestützpunkt Kanadas, einen Besuch ab.
Die regelmäßigen Flottenbesuche der Bundesmarine und gemeinsamen Übungen wie jüngst erst wieder, unterstreichen nach Ansicht Rützels das gemeinsame Verständnis einer gelebten Partnerschaft,.
Windenergie und Wasserstoff aus Neufundland
Vorgeschoben in den Atlantik liegt die Insel Neufundland. Wenn es um die Energieversorgung der Zukunft geht, jenseits der Verbrennung fossiler Rohstoffe, rückt dieser Außenposten Kanadas allerdings zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses. Einer der windreichsten Punkte der Erde, herrschen dort ideale Voraussetzungen für die Nutzung des Windes als natürliche Energiequelle.
Die kanadische Regierung und internationale Investoren hätten das erkannt, erklärt Rützel. Auch deutsche Firmen seien darunter. Entlang der Küste Neufundlands entsteht gerade ein gigantischer Windpark. Die deutsche Delegation hat sich bei ihrem Abstecher auf die Insel das Vorhaben angeschaut und vor Ort mit Offiziellen der Regionalregierung, Wissenschaftlern und Unternehmensvertretern gesprochen.
Auftrieb für das Windkraftgeschäft
Im Hafen von Argentia, im Südosten der Insel, werde die Dimension des Vorhabens augenscheinlich, berichtet der Maschinenbauer und Elektrotechniker Rützel. Hier lagern die hundert Meter langen Rotorblätter, noch längeren Stahlschafte und massiven Betonfundamente, bevor sie mit Spezialschiffen zur Montage an ihren Bestimmungsort auf See gebracht werden.
Anschaulich werde mit dem Projekt sowie den Vorhaben, die noch geplant sind, auch, wie die Transformation von der überwiegend auf der Nutzung fossiler Energieträger ruhenden Wirtschaft hin zur stärkeren Nutzung emissionsfreier Ressourcen gelingen könne, so der SPD-Politiker. Während der Bau von Ölbohrinseln, die in Neufundland weiterhin gefertigt werden, zurückgehe, bekomme das Windkraftgeschäft Auftrieb und zeige, „wie man es schafft, dass es weitergeht“.
„Der Wind ist das neue Gold“
Wichtig sei, dass das Vorhaben zu „einem Kick-off für die ganze Region wird und die Menschen vor Ort ihre Lebensumstände verbessern können“. Dabei gelte es, die Angehörigen der First Nations in das Projekt einzubinden und durch die neuen Arbeits- und Ausbildungsplätze vor allem den jungen Leuten eine Perspektive zu geben. Um das zu unterstreichen, habe man sich an der Universität in St. John’s mit Studenten über die technischen Möglichkeiten und beruflichen Chancen in der neuen Branche ausgetauscht.
„Momentan herrscht Goldgräberstimmung“, bringt Rützel die Aufbruchstimmung bei allen Beteiligten rund um das Thema auf den Punkt: „Der Wind ist das neue Gold.“ Bereits heute deckten die Bundesstaaten Nova Scotia sowie Labrador und Neufundland 97 Prozent ihres Energiebedarfs aus erneuerbaren Energiequellen und seien damit Vorreiter. Was die Region an „grüner Energie“ über den Eigenbedarf hinaus produziere, werde bereits an die Ostküste der USA verkauft.
Kanada als Wasserstofflieferant der Zukunft
Die windreiche Region verfüge über enorme Ressourcen, berichtet Delegationsleiter Rützel. Und während die Windkraft einen immer größeren Anteil der lokalen Stromversorgung decke, werde es „für Deutschland interessant, wenn die Kanadier mit einem Zubau weiterer Anlagen auch noch grünen Wasserstoff herstellen“, der von Neufundland aus per Schiff direkt den deutschen und europäischen Markt erreichen könne. Erleichternd komme dabei hinzu, dass die Insel mit Cape Spear den Punkt Kanadas zu ihrem Territorium zählen könne, der Europa geografisch am nächsten liege.
Nachdem vom Signal Hill über St. John’s in Neufundland im Jahr 1901 das erste kabellose Radiosignal aus dem Westen Englands empfangen worden war, könnte die Insel, auf der einst ein neues Kapitel der Kommunikation aufgeschlagen wurde, als Ausgangspunkt einer neuen Energie-Route erneut Geschichte schreiben und Bedeutung erlangen, wenn von dort aus Frachtschiffe, beladen mit Wasserstoff, auf dem kürzesten Seeweg über den Atlantik Kurs auf Europa nehmen würden.
Kanada als verlässlicher Energie-Partner
„Kanada ist ein verlässlicher Partner – auch für unsere Energieversorgung, mit dem man in die Zukunft planen und wachsen kann“, stellt Rützel fest. Das Land, das dafür prädestiniert sei, investiere massiv in die Produktion erneuerbarer Energien wie grünem Wasserstoff und strebe an, zu einem „Hub“ für diese natürliche Ressource zu werden. Energie müsse nicht länger aus politisch instabilen Regionen oder aus autoritären Ländern bezogen werden, wie dies bei fossilen Erdölprodukten bislang häufig der Fall sei, mit allen negativen Folgen für die Liefersicherheit, wenn es zu politischen Spannungen oder militärischen Konflikten komme.
Der Bundeskanzler sei bereits 2022 in Neufundland gewesen, die Bundesregierung habe mit Ottawa langfristige Vereinbarungen zur Erzeugung und Lieferung von aus Windstrom hergestelltem Wasserstoff unterzeichnet. Dies sei Teil der Bemühungen, die Energieversorgung Deutschlands breiter aufzustellen. Was für Möglichkeiten die neue Branche für die Entwicklung randständiger Regionen, für den globalen Klimaschutz und für die Energiesicherheit Deutschlands bietet, davon konnten sich die Abgeordneten auf Neufundland überzeugen.
Win-win-Situation beider Volkswirtschaften
Im Bereich der Erneuerbaren entstehe gerade eine „neue Win-win-Situation“ zwischen der deutschen und der kanadischen Volkswirtschaft, ist sich Rützel sicher. Und wenn die Nutzung der Windkraft dazu beitrage, die Partnerschaft in Zukunft weiterzutragen, dann sei das ganz im Sinne der Arbeit der Deutsch-Kanadischen Parlamentariergruppe. Dass die Windkraft keine Luftnummer sei, sondern auf festen Fundamenten stehe, wurde den Abgeordneten am Nordatlantik vor Augen geführt, wo gerade der Grundstein für ein neues Energiezeitalter gelegt werde. Die neuen Eindrücke und Möglichkeiten, so Rützel, werde man in die Parlamentsarbeit in Berlin einbringen.
Der Delegation gehörten neben dem Vorsitzenden der Parlamentariergruppe und Delegationsleiter, Bernd Rützel (SPD), die stellvertretenden Vorsitzenden Henning Otte (CDU/ CSU), Stefan Schmidt (Bündnis 90/Die Grünen), Manuel Höferlin (FDP) sowie Alexander Ulrich (Gruppe BSW) als Mitglied der Parlamentariergruppe an. (ll/19.08.2024)