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Von günstigem Windstrom aus Irland kann auch Deutschland profitieren

Drei Männer und zwei Frauen stehen nebeneinander vor einem Gebäude mit zwei Grünen Türen.

Delegationsleiter Stephan Pilsinger (CDU/CSU), John O'Sullivan, Umweltberater des Windenergieproduzenten SSE Renewables, Abgeordnete Linda Heitmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ariane Fäscher (SPD) und Albrecht Glaser (AfD) bei der Besichtigung des Galway Windparks an der irischen Westküste. (© DBT/Louisa Klewe)

Windenergie für Deutschland aus dem Nordatlantik, eine vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Folgen des Brexits für Irland: Darum ging es beim Arbeitsbesuch einer Delegation der Deutsch-Irischen Parlamentariergruppe in Dublin, Galway und Belfast vom 17. bis 20. Juni 2024.

Irland als internationales Eingangstor zur EU

„Die EU hört nicht bei Großbritannien auf“, bringt Dr. Stephan Pilsinger (CDU/CSU), Vorsitzender der Deutsch-Irischen Parlamentariergruppe, auf den Punkt, in was für einem Weltbild sich viele in Bezug auf die britischen Inseln nach dem Austritt Londons aus der EU eingerichtet haben. Nach dem Brexit-Getöse ist es medial ruhig geworden auch um die grüne Insel, wie Irland wegen des humiden Klimas im Nordatlantik und seiner üppigen Wiesen und Weiden auch genannt wird.

Dabei handelt es sich bei der Republik Irland, die einst als Armenhaus Europas galt und der Millionen Auswanderer den Rücken kehrten, um ein mittlerweile hoch entwickeltes Land, das als EU-Mitglied dem Euro-Raum angehört, und, englischsprachig und mit einer gut ausgebildeten Bevölkerung, als attraktiver Wirtschaftsstandort gilt, den internationale Konzerne als Eingangstor in die EU nutzen. Geschätzt wird Irland zudem von Urlaubern. Zahlreiche irische Marken haben eine breite internationale Bekanntheit erlangt.

Traditionsreiche Beziehungen im Aufwind

Die traditionell sehr guten deutsch-irischen Beziehungen zu diesem „unkomplizierten EU-Partner“ müsse man, gerade wegen dieser scheinbar zur Selbstverständlichkeit gewordenen Tatsache, weiter pflegen, mahnt Pilsinger. „Die Parlamentarier leisten dazu ihren Beitrag.“

Hinzugekommen sei nun, dass der beigelegt geglaubte Nordirland-Konflikt sich seit dem Austritt Großbritanniens wieder verschärfe. „Es ist erstaunlich, wie präsent die Spannungen gerade im Norden weiterhin sind“, sagt Pilsinger.

Und: Die Iren sowie internationale Investoren und Kunden haben den auf der Insel ständig präsenten Wind als saubere Energiequelle entdeckt. Pilsinger: „Irland ist das Saudi-Arabien des Windes.“

Abgeordnete, Wirtschaftsvertreter, Windunternehmer

In der Hauptstadt Dublin sowie bei Abstechern an die Westküste und nach Nordirland sprachen die deutschen Abgeordneten über diese Themen, berichtet der Vorsitzende der Parlamentariergruppe. Im irischen Parlament, Dáil Éireann, kamen sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen der dortigen Freundschaftsgruppe, den Mitgliedern des Ausschusses zum Karfreitagsabkommen sowie dem Sprecher des Unterhauses, Seán Ó Feargaíl, zusammen.

Wirtschaftsvertreter trafen die Bundestagsabgeordneten in der Industrie- und Handelskammer. Sie besuchten zudem Unternehmenssitze wie das „Hauptquartier Europa, Mittlerer Osten und Afrika“ des Internet-Giganten Google und informierten sich über die Probleme, die Firmen mit der neuen Grenzsituation zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland nach dem Brexit haben.

In Belfast trafen sich die deutschen Abgeordneten mit Mitgliedern einer der ältesten Friedensinitiativen Irlands, und nahe Galway an der Westküste nahmen sie einen Windpark aus nächster Nähe in Augenschein.

Neue Probleme in der Grenzregion

Was der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU und damit die neue Außengrenze zwischen der Republik Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland für Unternehmen und den Wirtschaftsverkehr in der Grenzregion bedeuten, das hörten sich die deutschen Abgeordneten in Dundalk nördlich von Dublin von Betroffenen an.

Zwar sei die Situation nicht mehr so angespannt wie in den ersten Wochen nach dem Brexit, doch spüre man die erneute Teilung und Auswirkungen der Grenzkontrollen vor allem durch Staus im Straßenverkehr deutlich, berichtet Pilsinger.

Kompliziertes Verhältnis mit Großbritannien

Der CSU-Politiker ruft in Erinnerung, die Hoffnung sei einst gewesen, die Entspannung zwischen beiden Bevölkerungsgruppen und beiden Staaten auf der Insel im Rahmen der Europäischen Union fortsetzen zu können, in deren Gemeinsamem Markt Grenzen immer mehr an Bedeutung verlieren. 1973 waren Irland, Großbritannien und Dänemark der Europäischen Union beigetreten.

Vor vier Jahren hatte Großbritannien dann die Gemeinschaft verlassen, nachdem sich eine knappe Mehrheit der Teilnehmer eines Referendums dafür ausgesprochen hatte. Das Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und dem ehemaligen Mitgliedsland sei seitdem sehr kompliziert geworden.

Praktikable Lösung nicht gefunden

Mit dem im April 1998 zwischen der Republik Irland, dem Vereinigten Königreich und den Konfliktparteien Nordirlands geschlossenen Karfreitagsabkommen hatte die bis dahin mit viel Gewalt ausgetragene Auseinandersetzung um den zu Großbritannien gehörenden Landesteil in die Suche nach einer politischen Lösung überführt werden können.

Der Brexit habe die Hoffnung auf eine weitere Befriedung jedoch zunichte, ja bereits Erreichtes wieder rückgängig gemacht. Eine praktikable Lösung, auch für die Grenzprobleme, sei nicht gefunden. London verfolge in der Frage der neuen Zollgrenze verständlicherweise eine harte Linie, so Pilsinger.

„Vielleicht ist es nun unter einem neuen Premierminister im Vereinigten Königreich möglich, in Verhandlungen mit der Europäischen Union wieder mehr Normalität für die Bevölkerung Nordirlands und Irlands zu erreichen, bei denen man, statt der Gegensätze, die Gemeinsamkeiten und Erfolge der letzten Jahrzehnte in den Vordergrund stellt“, hofft der Abgeordnete, der in seinem Münchner Wahlkreis mit Direktmandat in den Deutschen Bundestag gewählt wurde.

Nordirlandkonflikt schwelt weiter

Insgesamt habe der EU-Austritt Großbritanniens den Konflikt um die Teilung der Insel sowie die Spannungen zwischen katholischen Iren und protestantischen Bewohnern neu entfacht. „Es ist erstaunlich, wie tief die Spaltung zwischen beiden Bevölkerungsgruppen, wie präsent die Spannungen gerade im Norden, in Belfast, trotz der Versöhnungsbemühungen und mittlerweile getroffenen Vereinbarungen weiterhin sind“, findet Pilsinger.

In Belfast verschafften sich die Bundestagsabgeordneten einen aktuellen Eindruck von der politischen Auseinandersetzung, die weiterhin zu Gewaltakten führt, und nahmen die Konfliktlinien in der Stadtgesellschaft in Augenschein. Der Frieden werde weiterhin durch eine strikte Trennung der konfessionellen Gruppen und ihrer unterschiedlichen Wohnviertel gesichert, vor allem durch die sogenannten „Peace Walls“, deren Tore nachts verschlossen werden.

Hoffnung auf Annäherung der Bevölkerungsgruppen

Zum Programm der deutschen Besucher gehörte daher auch ein Gespräch mit Mitgliedern der traditionsreichen Friedensinitiative Corrymeela, die sich bereits seit einem halben Jahrhundert um Aussöhnung und Konfliktlösung bemüht. Dass es bei der Aussöhnung zweier sich anfangs erbittert bekriegender Parteien jedoch eines langen Atems bedürfe, sei verständlich, findet der Politiker und Mediziner aus München. „Doch so sind gerade kleine Erfolge in der Annäherung beider Bevölkerungsgruppen wertvolle Hoffnungszeichen bei diesem in ganz Irland weiter sehr greifbaren Thema.“

Auch bei den jüngsten Wahlen, zum Europäischen Parlament in der Republik Irland und bei der Parlamentswahl im Vereinigten Königreich, spielte der Nordirland-Konflikt eine Rolle. Während dabei die pro-irische katholische Sinn Fein Partei, die sich für eine Vereinigung beider Teile Irlands stark macht, im Süden deutlich hinter den Erwartungen zurückblieb, konnte sie im Norden erstmals den Sieg für sich verbuchen.

Irland als moderner Partner in der EU

Trotz dieser Besonderheiten und Herausforderungen auf der geteilten Insel, in die man sich nicht mit Ratschlägen von außen einmischen werde, stehe in den Beziehungen mit der Republik Irland die Zusammenarbeit mit einer modernen, aufstrebenden Volkswirtschaft im Vordergrund, erklärt Pilsinger.

Alle Ebenen, sämtliche Bereiche der Zusammenarbeit, in Gesellschaft, Kultur, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, würden getragen durch ein dichtes Netz an Beziehungen und Kooperationen. Als Parlamentarier arbeite man daran mit, diese Beziehungen in ihrer ganzen Breite zu vertiefen und suche nach weiteren Möglichkeiten der Zusammenarbeit sowie Beispielhaftem, an dem sich voneinander lernen lasse.

Prosperierender Wirtschaftsstandort

Jenseits der Ministerien und Fachausschüsse sei es der Parlamentariergruppe möglich, eigene thematische Schwerpunkte zu setzen. Sowohl bei den Treffen mit der Freundschaftsgruppe als auch bei allen anderen Terminen habe eine „sehr freundliche und offene Atmosphäre“ geherrscht, betont der CSU-Politiker. Beide Seiten seien sich der Bedeutung beider Länder füreinander bewusst.

Irland habe sich in den Jahrzehnten nach dem EU-Beitritt zu einem prosperierenden Wirtschaftsstandort entwickelt, der heute für immerhin fast drei Prozent der Wirtschaftsleistung der Gemeinschaft steht. Das mittlerweile auf über fünf Millionen Einwohner angewachsene Land pflege dabei seine weltberühmten Traditionen weiter.

Fachkräftemangel bremst Wachstum

Zahlreiche internationale Konzerne, darunter bedeutende Tech-Unternehmen wie Google, führten von der Insel aus ihr Europageschäft und darüber hinaus. Investoren besonders aus den USA nutzten Irland als Sprungbrett für ihre Aktivitäten in der EU. Dazu trügen nicht zuletzt das Englische als Landessprache oder attraktive Steuersätze bei, vor allem aber die gut ausgebildete Bevölkerung.

Dass auch Irland keine problemfreie Zone ist, zeige neben dem historischen Konflikt um den Norden der akute Fachkräftemangel, der mittlerweile das Wachstum auf der Insel bremse. Zahlreiche Jobangebote zögen ausländische Arbeitskräfte an, in der weltoffenen Metropole Dublin arbeite daher auch eine große Zahl an Deutschen, sagt Pilsinger.

Windiger Westen 

Zu traditionellen Branchen und Bereichen der Zusammenarbeit kämen neue Aufgaben und Chancen. Etwa wenn es darum gehe neue, CO2-freie Energiequellen wie Wind in industriellem Maßstab zu erschließen und grünen Wasserstoff herzustellen. Deutschland und deutsche Unternehmen träten dabei sowohl als Investoren als auch mit technologischem Know-how auf und brächten das in eigene Vorhaben und in Partnerschaften ein.

Dabei profitiere die Insel nicht nur von einem beständigen Wind, sondern habe eigene Lösungen entwickelt, um diese natürlichen Ressource zu nutzen, und zudem in den Bereichen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz etwas vorzuweisen, so Pilsinger. „Deutschland kann einiges davon lernen, wie Irland neue Technologien fördert.“

Irischer Windstrom für grünen Wasserstoff

Ein Bild von der Windenergiegewinnung machten sich die Parlamentarier nahe der westirischen Küstenstadt Galway. In großer Zahl entstehen dort bei dem Energieproduzenten SSE Renewables neue Anlagen an Land sowie auf See. Flankiert werde dieses unternehmerische Engagement mit aus EU-Mitteln geförderten Naturschutzvorhaben wie der Reaktivierung von Moor-Flächen.

Irischer „Windstrom“, der vor Ort nicht benötigt werde, könne künftig der Energieversorgung in ganz Europa und damit auch in Deutschland dienen, erläutert Pilsinger. Außerdem könne mit dem klimaneutral hergestellten Strom grüner Wasserstoff gewonnen und verschifft werden.

Das Saudi-Arabien des Windes

„Energie ist zu einem zentralen Thema für die deutsch-irische Partnerschaft geworden“, sagt der CSU-Politiker, der die Insel im Nordatlantik in Anspielung auf die arabische Energiegroßmacht als „das Saudi-Arabien des Windes“ bezeichnet. Beim Ausbau dieses Wirtschaftszweiges könnten beide Seiten nur gewinnen: „Die günstige Stromproduktion mit Windkraft ist die Zukunft für Irland. Und die deutsche Volkswirtschaft kann ihre Energieversorgung weiter diversifizieren und sich klimafreundlicher aufstellen.“

Dass die kleine Insel dabei ihre Wurzeln nicht vergisst, wurde den Abgeordneten auch deutlich beim Besuch der traditionsreichen Universität von Galway, der einzigen Universität Irlands, an der alle Kurse in irischer Sprache unterrichtet werden. Die Deutsch-Irische Parlamentariergruppe wolle mit ihrer Arbeit dazu beitragen, sämtliche Facetten der bilateralen Beziehungen mit Leben zu füllen und dazu Impulse setzen, versichert Pilsinger. Die während des Besuchs gewonnenen Eindrücke brächten die Mitglieder in ihre parlamentarische Arbeit in Berlin ein.

Neben dem Vorsitzendenden Parlamentariergruppe, Dr. Stephan Pilsinger (CDU/CSU), haben Ariane Fäscher (SPD), stellvertretende Vorsitzende, Linda Heitmann (Bündnis 90/Die Grünen), stellvertretende Vorsitzende sowie Albrecht Glaser (AfD), Mitglied der Parlamentariergruppe, an der Reise teilgenommen. (ll/26.08.2024)

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