Zeit:
Mittwoch, 3. Dezember 2025,
16
bis 17 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 300
Mit der Weiterentwicklung der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) haben sich Gesundheitsexperten in einer öffentlichen Anhörung befasst. Die Fachleute skizzierten dabei unterschiedliche Konzepte, um die Struktur- und Finanzierungsprobleme in der Pflege langfristig zu lösen. Sie äußerten sich am Mittwoch, 3. Dezember 2025, in der Anhörung des Gesundheitsausschusses sowie in schriftlichen Stellungnahmen zu einem Antrag der Linksfraktion (21/2216), in dem ein Verzicht auf Leistungskürzungen in der Pflege gefordert wird.
„Ausgaben liegen weiterhin über den Einnahmen“
Nach Angaben des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) lag der Mittelbestand der SPV Ende 2024 bei 5,34 Milliarden Euro oder einer Monatsausgabe. Trotz einer erneuten Anhebung des Beitragssatzes Anfang 2025 und trotz einer deutlich reduzierten Zuführung in den Pflegevorsorgefonds lägen die Ausgaben weiterhin über den Einnahmen. Die SPV habe die ersten drei Quartale 2025 mit einem Defizit von 550 Millionen Euro abgeschlossen, das durch ein Darlehen des Bundes ausgeglichen werde, somit dürfte sich der Mittelbestand zum Jahresende ungefähr wieder auf dem Vorjahresniveau befinden.
In den nächsten Jahren seien Milliardendefizite zu erwarten, erklärte der Spitzenverband. Nötig seien daher nachhaltige strukturelle Reformen. Zudem müsse die SPV kurzfristig entlastet werden, indem der Bund die Gelder für die Finanzierung von Corona-Maßnahmen an die SPV zurückzahle sowie die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige dauerhaft übernehme. Das würde 2026 eine Entlastung in Höhe von bis zu zehn Milliarden Euro bringen und Spielraum für nachhaltige Strukturreformen schaffen.
Eine Sprecherin des AOK-Bundesverbandes erinnerte in der Anhörung daran, dass die vom Bund gewährten Darlehen an die SPV in den nächsten Jahren zurückgezahlt werden müssen. Daher sollte unbedingt Klarheit geschaffen werden, wie die SPV dauerhaft sicher aufgestellt werden könne.
Plädoyer für Einführung einer Pflegebürgerversicherung
Der Gesundheitsökonom Stefan Greß von der Hochschule Fulda erklärte, in der stationären Pflege verschiebe sich die Finanzierungsverantwortung durch steigende Eigenanteile zunehmend von der Versichertengemeinschaft hin zu den Pflegebedürftigen, deren Angehörigen und damit auch zu den kommunalen Sozialhilfeträgern. Auch in der ambulanten Pflege stünden Pflegebedürftige vor der Wahl, wegen steigender Kosten entweder auf Leistungen zu verzichten oder sie selbst zu finanzieren. In der Folge gerieten die Finanzierungsfunktion und damit die Legitimation der Pflegeversicherung zunehmend unter Druck.
Greß plädierte daher für die Einführung einer Pflegebürgerversicherung, eine sukzessive Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze und die Verbeitragung von Vermögenseinkommen. Abzulehnen seien private Zusatzversicherungen zur Finanzierung von Leistungskürzungen.
„Leistungen vereinfachen und flexibilisieren“
Ganz anderer Ansicht ist der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV), der sich jedoch gleichfalls für eine umfassende Reform der Pflegeversicherung ausspricht. Die SPV verzeichne seit Jahren Milliardendefizite. Die Finanzlage erfordere eine genaue Überprüfung der Leistungen, die passgenau und zielgerichtet sein müssten.
Versicherungsfremde Leistungen dürften nicht durch Beitragszahler finanziert werden. Nötig sei eine Vereinfachung und Flexibilisierung der Leistungen und eine konsequente Ausrichtung des Pflegegrades 1 auf Prävention. Angesichts der strukturellen Defizite sollte zudem die Umlagefinanzierung nicht ausgeweitet, sondern durch eine Stärkung der Eigenverantwortung und Kapitaldeckung ergänzt werden.
Warnung vor ausufernden Sozialbeiträgen
Der Arbeitgeberverband BDA warnte vor ausufernden Sozialbeiträgen. In den nächsten zehn Jahren müsse laut Studien mit einem Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz von knapp 49 Prozent gerechnet werden. Eine solche Steigerung der Abgaben würde die jüngere Generation massiv belasten.
Nach Ansicht des BDA muss die SPV umfassend reformiert werden. Der Verband forderte, versicherungsfremde Leistungen aus Steuermitteln zu finanzieren und auch in der SPV wie in der Rente einen Nachhaltigkeitsfaktor einzuführen. Zudem sollte zu Beginn der Pflegebedürftigkeit, gestaffelt nach Pflegegraden, kein Leistungsanspruch aus der SPV bestehen (Karenzzeit).
Die Eigenverantwortung der Versicherten sollte ausgebaut werden. Wegen der zusätzlichen Belastung nicht sinnvoll sei eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze oder ein Finanzausgleich zwischen Sozialer und Privater Pflegeversicherung. Der Ausbau der SPV zu einer Vollversicherung sei ebenso abzulehnen wie ein sogenannter Sockel-Spitze-Tausch, bei dem die Eigenanteile festgeschrieben würden, erklärte der BDA.
Eine Vertreterin des Vereins „Wir pflegen“ machte in der Anhörung deutlich, wie schwierig es für pflegende Angehörige teilweise ist, geeignete ambulante Pflegeangebote zu finden. Oftmals gebe es keine Angebote oder sie seien nicht bedarfsgerecht. Wegen der Zuzahlungen übernähmen zudem viele Familien die Pflege selbst und müssten dann oft bei der eigenen Erwerbstätigkeit zurückstehen.
Pflege sei im Übrigen immer noch überwiegend weiblich. Wenn Leistungen eingeschränkt würden, betreffe das zumeist Frauen. Viele pflegende Angehörige berichteten von großer Erschöpfung. Die Vereinssprecherin forderte eine Stärkung der ambulanten Pflege.
Antrag der Linken
Die Linksfraktion fordert in ihem Antrag (21/2216) den Verzicht auf Leistungskürzungen in der Pflege. Der aktuelle Koalitionsvertrag sei der erste seit Bestehen der Pflegeversicherung, der Leistungskürzungen für die Menschen mit Pflegebedarf beinhalte. Insbesondere gebe es einen Prüfauftrag für die Bund-Länder-Arbeitsgruppe, wonach Nachhaltigkeitsfaktoren wie die Einführung einer Karenzzeit geprüft werden sollen. Karenzzeit bedeute, dass in einem gewissen Zeitraum nach Feststellung der Pflegebedarfs keine Leistungen gewährt werden sollen.
Auch hinter Formulierungen wie „Leistungsumfang“, „Ausdifferenzierung der Leistungsarten“, „Bündelung und Fokussierung der Leistungen“ oder „Anreize für eigenverantwortliche Vorsorge“ könne der Auftrag an die Arbeitsgruppe verstanden werden, Leistungskürzungen zu empfehlen. Die Abgeordneten fordern die Bundesregierung auf, keine Leistungskürzungen in der Pflegeversicherung auf den Weg zu bringen, wie etwa eine (Teil-)Karenzzeit, Leistungsverschlechterungen im Pflegegrad 1 oder höhere Schwellenwerte bei der Zuordnung zu den Pflegegraden. (pk/03.12.2025)