Interview

Aydan Özoğuz zum Tag der Freiwilligen: Wir sollten häufiger Danke sagen

Porträtfoto der SPD-Bundestagsabgeordneten Aydan Özoğuz

Aydan Özoğuz (SPD) ist Vorsitzende des Ausschusses für Sport und Ehrenamt. (© DBT/Stella von Saldern)

Wir sollten häufiger Danke sagen und freiwilligem Engagement mehr Wertschätzung entgegenbringen, sagt Aydan Özoğuz (SPD), Vorsitzende des Ausschusses für Sport und Ehrenamt, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages a.D., anlässlich des Internationalen Tages der Freiwilligen am 5. Dezember 2025. „Diese gesellschaftliche Anerkennung wollen wir im Ausschuss anregen und widerspiegeln. Und ich möchte dazu beitragen, dass der Ausschuss dem Ehrenamt die ihm gebührende Plattform gibt.“  

Ziel sei eine Politik, die Hürden abbaut, Wirkung entfaltet und das Ehrenamt nachhaltig stärkt. Im Interview spricht die SPD-Politikerin aus Hamburg über die unverzichtbare Rolle des Ehrenamts für die Gesellschaft, den Einzelnen und den Staat. Sie erläutert, was sie sich persönlich als Vorsitzende für die Arbeit des Ausschusses vorgenommen hat und welche Botschaft sie an alle hat. Das Interview im Wortlaut:

Frau Özoğuz, freiwilliges Engagement ist eng verbunden mit dem Begriff der Gemeinnützigkeit, mit der Idee, etwas gemeinsam zu machen, das sich für alle auszahlt. Fast 30 Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich. Dennoch wird viel über Risse gesprochen, die unsere Gesellschaft heute mehr denn je durchziehen. Welche Bedeutung hat freiwilliges Engagement 2025 in Deutschland für die Menschen, aber auch für Gesellschaft und Staat das Ganzes? Was kann diese Form der Beteiligung leisten und was nicht?

Freiwilliges Engagement in Deutschland hat eine enorme Bedeutung – für unsere Gesellschaft, den Einzelnen und für den Staat. Denn wie wir wissen, ist freiwilliges Engagement ein tragendes Fundament des sozialen Zusammenhalts. Es stärkt das Miteinander, schafft Netzwerke, ermöglicht Teilhabe und es ist die Grundlage einer aktiven Bürgergesellschaft, in der Menschen sich an politischen Entscheidungsprozessen beteiligen und Mitverantwortung übernehmen. Neben den vielen formal organisierten Strukturen spielt auch das informelle Engagement eine wichtige Rolle. Für den Einzelnen bedeutet es auch, Verantwortung zu übernehmen und unmittelbar zu erleben, dass der eigene Einsatz etwas bewirkt. Das stiftet Sinn, schafft Zugehörigkeit und bereichert das eigene Leben. Und schließlich hat Engagement auch eine klare Bedeutung für den Staat und die öffentliche Hand. In vielen Bereichen ergänzt freiwilliges Engagement die Arbeit öffentlicher Einrichtungen. Ein klassisches Beispiel ist die Freiwillige Feuerwehr, die gerade in ländlichen Regionen unverzichtbar ist und die Berufsfeuerwehr ergänzt. Doch genau da kommen wir auch zu Grenzen: Freiwillige können und sollen die Aufgaben des Staates nicht komplett übernehmen, ihr Engagement ist aber wertvolle und unverzichtbare Ergänzung und Unterstützung.

Wird die Politik diesem Stellenwert gerecht und wie wollen Sie das Thema Freiwilligkeit im Ausschuss „Sport und Ehrenamt“ aufgreifen?

Wir haben uns fest vorgenommen, das Thema noch mehr als bisher hervorzuheben. Es gibt ja seit dieser Wahlperiode nicht nur unseren Ausschuss, der das Ehrenamt in seinem Titel trägt, sondern mit Dr. Christiane Schenderlein auch eine Staatsministerin für Sport und Ehrenamt im Bundeskanzleramt. Wir wünschen uns, dass damit die thematischen Enden aus den vielen Ressorts, die in irgendeiner Weise mit dem Ehrenamt in Berührung kommen, besser zusammengeführt werden. Und auch, wenn der Sport der mit Abstand größte Bereich des ehrenamtlichen Engagements in unserem Land darstellt, wissen wir sehr wohl, dass auch in den Blaulichtorganisationen, in der Jugendarbeit, in der Musik und in vielen anderen Bereichen das Ehrenamt unverzichtbar ist. Können Sie sich einen Badesommer ohne die Ehrenamtlichen der DLRG vorstellen? Verwaiste Sportplätze ohne Übungsleiter? Integrationsarbeit ohne ehrenamtliche Vormünder? Ich habe gerade auf die unverzichtbare Bedeutung des Ehrenamts hingewiesen. Diesem Stellenwert wollen wir auch hier im Bundestag gerecht werden.

Bei der Vielfalt an Einsatzfeldern: Welche Schwerpunkte wollen Sie in der neuen Wahlperiode setzen?

Sie sprechen es an: Engagement und Ehrenamt sind ein Querschnittsthema unserer Gesellschaft. Als Vorsitzende des Ausschusses für Sport und Ehrenamt ist es mir wichtig, das deutlich zu machen. Im Finanzausschuss geht es etwa um Übungsleiterpauschalen, im Familienausschuss um Demokratieförderung, im Innenministerium um die Blaulichtfamilie. Ich möchte diese Stränge bündeln und gemeinsam mit möglichst vielen Akteuren und Stakeholdern identifizieren, wo wir ansetzen können, um die Rahmenbedingungen für Engagierte spürbar zu verbessern. Ziel ist eine Politik, die Hürden abbaut, Wirkung entfaltet und das Ehrenamt nachhaltig stärkt. Ich bin froh, dass wir mit dem „Zukunftspakt Ehrenamt“ bereits erste Erfolge verankern konnten: Die Ehrenamts- und Übungsleiterpauschalen werden erhöht, die Einnahmegrenze für die zeitnahe Mittelverwendung bei Vereinen angepasst und die Haftungsregelungen für Vereinsvorstände verbessert. Das sind wichtige Schritte – und es sollen weitere folgen.

Werden Sie regelmäßig Sitzungen zum Thema Ehrenamt/Freiwilligkeit durchführen? 

Selbstverständlich! Das wollen tatsächlich alle Ausschussmitglieder. Aber es ist auch eine Herausforderung, die Themenvielfalt in den Ausschusssitzungen zu platzieren. Anlässlich des Internationalen Tages der Freiwilligen beschäftigen wir uns natürlich mit passenden Themen: mit dem Vierten Engagement-Bericht der Bundesregierung und dem Sechsten Freiwilligensurvey. Wir hatten auch kürzlich eine Sitzung, in der wir uns über die aktuelle Situation des Ehrenamts in Deutschland informiert haben. Unsere Gäste – die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt, das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, das Bündnis für Gemeinnützigkeit und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen – haben uns dabei eine breite Palette an Themen und Herausforderungen präsentiert.

Welche genau? Wo sollen Sie dem freiwilligen Engagement helfen? Was braucht es am dringendsten?

Der Wunsch nach Bürokratieabbau ist groß. Engagierte müssen sich auf das Wesentliche konzentrieren können. Von Jan Holze von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt habe ich neulich auf einem gemeinsamen Panel eine Zahl gehört, die das sehr deutlich macht: 42 Arbeitstage im Jahr, also rund sechseinhalb Stunden pro Woche, beschäftigt sich ein durchschnittlich großer Verein allein mit bürokratischen Aufgaben. Das ist viel zu viel. Da müssen wir ran. Ähnlich deutlich wurde es kürzlich in einem Gespräch mit der Deutschen Sportjugend: Sie hat mir geschildert, wie kontraproduktiv die jährlich notwendige Mittelbeantragung und die befristete Finanzierung ihrer Projekte im Bereich der Demokratieförderung sind. Da ist im vierten Quartal manchmal nicht klar, ob das Projekt im Folgejahr weitergeführt werden kann. Im schlimmsten Fall können Verträge nicht verlängert werden und es gehen dann viel Wissen, Engagement und das Netzwerk verloren. Mit dem bereits angesprochenen Zukunftspakt Ehrenamt wollen wir aber auch an andere Themen ran:  Die Vereinfachungen des Datenschutzrechts und des Vereinsrechts und vereinheitlichte Förderbedingungen stehen auf der Agenda – um nur einige Vorhaben zu nennen.

Wird es im neuen Ausschuss für Sport und Ehrenamt vor allem um das formale Ehrenamt gehen und fällt dabei nicht die Vielfalt weiterer Engagement-Formen unter den Tisch?

In meinem Wahlkreis in Hamburg sehe ich, wie vielfältig Projekte sind, in denen Menschen sich engagieren. Da gibt es das klassische Ehrenamt als Vereinsvorstand oder Übungsleiter. Und es gibt eine bunte Palette von bürgerschaftlichem Engagement, wo sich Menschen weniger formalisiert für die Gesellschaft engagieren. Ich möchte diese Vielfalt auch im neuen Ausschuss sichtbar machen und dadurch auch in der Gesellschaft insgesamt mehr Wertschätzung für alle Engagement-Formen bewirken. Nicht alles lässt sich ja mit Änderungen von Gesetzen verbessern. Es geht ja auch um gesellschaftliche Anerkennung. Jeder, der sich engagieren möchte, sollte dafür eine passende Form finden – Engagement soll ja auch Freude machen. Und jede Art von Engagement sollte Wertschätzung erhalten. Diese gesellschaftliche Anerkennung wollen wir im Ausschuss anregen und widerspiegeln.

Ein Bericht mit den zentralen Ergebnissen des jüngsten deutschen Freiwilligensurveys zur Entwicklung des freiwilligen Engagements (von 2024) ist gerade erschienen. Diese umfassende Datenerhebung will alle fünf Jahre ein umfassendes Bild der Entwicklung der Zivilgesellschaft geben. Was ist für Sie die wichtigste Botschaft des Surveys?

Die wichtigste und erfreulichste Botschaft für mich ist, dass das freiwillige Engagement weiterhin auf einem hohen Niveau ist. Zwar ist im Vergleich zur Erhebung aus dem Jahr 2019 ein leichter Rückgang zu verzeichnen, doch gleichzeitig investieren Engagierte heute wieder etwas mehr Zeit in ihre freiwillige Tätigkeit. Besonders freut mich, dass die Beteiligung in den jüngeren Altersgruppen am höchsten ist: Von den 14- bis 49-Jährigen sind knapp 40 Prozent freiwillig engagiert. Interessant ist auch, dass Vereine weiterhin die etablierte Struktur für das Engagement sind, rund 50 Prozent der Engagierten üben dort ihre Tätigkeit aus. Alles in allem sind das Zahlen, die Mut für die Zukunft machen.

Trägt die in der vergangenen Wahlperiode verabschiedete Engagementstrategie dazu bei, die Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement zu verbessern? 

Die Engagementstrategie spannt zunächst einen politischen Rahmen auf und definiert zentrale Ziele. Sie ist damit eine wichtige Orientierung für die Engagementpolitik des Bundes in den kommenden Jahren. Um mit Bildern des Sports zu sprechen: Sie hat sozusagen das Spielfeld abgesteckt und wir überlegen nun, mit welcher Aufstellung und Taktik wir die Ziele am besten erreichen können.

Stichwort „international“: Schauen Sie sich an, wie engagementfreundlich andere Länder sind? Und: Wo steht Deutschland?

Nehmen wir den Sport: Deutschland hat mit seinen zum allergrößten Teil ehrenamtlich geführten Sportvereinen eine großartige Struktur. So etwas gibt es längst nicht in allen Ländern. Und ja, der Blick nach Außen ist wichtig. Nicht nur wir stehen vor großen Herausforderungen. Lebenswelten verändern sich. Die Demografie ist ein wichtiges Thema. Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Chancen und Gefahren von Social Media werden deutlich. Nicht zuletzt spüren viele Bürgerinnen und Bürger angesichts globaler Krisen Unsicherheit. Das führt zu gesellschaftlichen Fliehkräften und wirft Fragen auf, die wir gemeinsam zu beantworten haben. Da schauen wir natürlich auch über den Tellerrand hinaus. Übrigens bietet die Europäische Union ja jungen Menschen mit Programmen wie dem „Europäischen Solidaritätskorps“ oder „Erasmus+Volunteering“ tolle Möglichkeiten. Und was gibt es besseres, als wenn junge Engagierte aus unterschiedlichen Ländern zusammenkommen und möglichst das Beste aus allen Welten mit nach Hause nehmen?

Was haben Sie sich persönlich für die Legislaturperiode vorgenommen als Vorsitzende?

Gern würde ich über all die unterschiedlichen Engagement-Formen einen bestmöglichen Überblick gewinnen und dabei auch lernen, was die Menschen im Einzelnen antreibt, was sie motiviert und woraus sie etwas für sich selbst ziehen können. Solche Motivationsfaktoren können wir ja wiederum stärker unterstützen. Ich habe kürzlich an der Preisverleihung „(M)ein Verein gegen Rassismus“ teilgenommen. Diese unmittelbare Begeisterung und Energie für eine gute Sache, die Überzeugung, das Richtige zu tun, haben mich sehr beeindruckt. Gern möchte ich mehr von solchen Projekten und den Menschen, die dahinterstehen, kennenlernen. Und ich möchte dazu beitragen, dass der Ausschuss auch dem Ehrenamt die ihm gebührende Plattform gibt. Übrigens: Wir sind einer der wenigen Ausschüsse des Bundestages, die grundsätzlich öffentlich tagen. Also, gern live vorbeikommen oder uns in der Mediathek des Bundestages über die Schulter schauen. Alle Infos zu unserem Ausschuss finden Sie unter https://www.bundestag.de/sport_ehrenamt.

Was ist Ihre Botschaft zum Internationalen Tag der Freiwilligen?

Ehrenamtliches Engagement ist unverzichtbar und kommt auf die eine oder andere Weise uns allen zugute. Hinter diese Aussage gehören drei Ausrufezeichen!!! Wir müssen Ehrenamt möglich machen. Dazu gehören politische und rechtliche Rahmenbedingungen, Arbeitgeber, die Arbeitszeit flexibilisieren, hauptamtliche Strukturen, die das Ehrenamt entlasten und organisieren. Dazu gehört aber auch ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein für dessen Bedeutung. Wir müssen den Menschen, die sich engagieren, unsere Wertschätzung deutlicher kommunizieren. Wir sollten häufiger Danke sagen. Das tue ich hiermit, auch mit drei Ausrufezeichen!!! Und für alle, die über ein Engagement nachdenken: Tun Sie es! Auch Ihre Zeit kann etwas bewirken – für Sie und viele andere!

(ll/01.12.2025)