Historische Debatten (17): Präimplantationsdiagnostik (PID)
Einige Debatten in der Geschichte des Deutschen Bundestages waren besonders kontrovers, wie etwa die über die Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands 1952 oder die der Ostverträge 1972. Ein Streifzug durch die bedeutendsten Entscheidungen und Dispute der vergangenen Wahlperioden.
Es war ein Urteil mit politischen Folgen: Als der Bundesgerichtshof in Leipzig am 6. Juli 2010 entschied, dass die Präimplantationsdiagnostik (PID) zur genetischen Untersuchung von künstlich befruchteten Embryonen zulässig sei, löste dies erneut eine breite Debatte um den Embryonenschutz in Deutschland aus. Während die Fürsprecher dafür warben, erblich vorbelasteten Paaren die Entscheidung für ein Kind zu erleichtern, warnten die Gegner wie der damalige Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, vor einem „Dammbruch“ beim Lebensschutz: „Dann geht es nur noch um die Selektion, was ist lebenswert und was ist nicht lebenswert“, so der CDU-Abgeordnete in einem Interview im Deutschlandfunk.
BGH-Urteil startet Debatte über umstrittene Gentests
Dabei sollte die PID, bei der künstlich befruchtete Embryonen vor der Einsetzung in die Gebärmutter auf Krankheiten untersucht und gegebenenfalls vernichtet werden, mit dem 1991 in Kraft getretenen Embryonenschutzgesetz eigentlich verboten sein.
Im konkreten Fall eines Berliner Frauenarztes, der zwischen 2005 und 2006 in seiner Kinderwunsch-Praxis drei Mal eine PID durchführt hatte, urteilten die Leipziger Richter jedoch anders: Sie erklärten, dass es nicht grundsätzlich zu verbieten sei, wenn Eltern mit genetischer Vorbelastung künstlich befruchtete Embryonen untersuchen und nur jene der Frau einsetzen lassen, bei denen kein Risiko besteht.
Handlungsbedarf für den Gesetzgeber
„Ein strafbewehrtes Gebot, Embryonen auch bei genetischen Belastungen der Eltern ohne Untersuchung zu übertragen, birgt hohe Risiken in sich“, stellte das Gericht damals fest. Zudem wies es daraufhin, dass es zu Abtreibungen kommen könnte, wenn nicht untersuchte Embryonen eingesetzt würden und sich Schwangere dann etwa nach einer Fruchtwasseruntersuchung für einen Abbruch entscheiden.
Die PID, so der BGH, sei geeignet, solche Gefahren zu vermindern. Bei schwerwiegenden genetischen Schäden sei eine solche molekulargenetische Untersuchung daher zulässig, befanden die Richter. Eine konkrete Definition allerdings, was schwerwiegende genetische Schäden im Einzelnen sind, hatte das Gericht nicht vorgenommen und in der Urteilsbegründung eine eindeutige gesetzlich Regelung durch den Gesetzgeber angemahnt.
Von eingeschränkter Zulassung bis Verbot
Dringenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf sahen auch viele Parlamentarier: Zur ersten Lesung im April 2011 lagen dem Bundestag so auch gleich drei verschiedene Gesetzentwürfe von fraktionsübergreifenden Parlamentariergruppen vor, die in ihrer Zielsetzung von einem kompletten Verbot bis zu einer eingeschränkten Zulassung der PID reichten.
Eine eingeschränkte Zulassung von Gentests an künstlich erzeugten Embryonen sah der Gesetzentwurf (17/5451) vor, den eine Gruppe von Abgeordneten um Ulrike Flach (FDP) und Peter Hintze (CDU/CSU) vorgelegt hatte. Paaren, die eine Veranlagung für eine schwere Erbkrankheit haben, sollte die PID eine Chance auf ein gesundes Kind ermöglichen.
Gentests sollten deshalb im Grundsatz verboten, aber in Ausnahmefällen zulässig sein. Die Unterzeichner des Entwurfs plädierten dafür, dass die PID nach einem positiven Votum einer Ethikkommission an zugelassenen Zentren vorgenommen werden könne. Für diese Position setzten sich unter anderem auch Dr. Carola Reimann (SPD), Dr. Petra Sitte (Die Linke) und Jerzy Montag (Bündnis 90/Die Grünen) ein.
„Nicht rechtswidrig“
Der Gesetzentwurf (17/5452), den unter anderem René Röspel (SPD), Priska Hinz (Bündnis 90/ Die Grünen), Patrick Meinhardt (FDP) und Prof. Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU) vorgelegt hatten, zielte hingegen darauf, die PID grundsätzlich zu verbieten, aber Ausnahmen für „nicht rechtswidrig“ zu erklären.
Die Kriterien für diese Ausnahmen sollten vorab definiert werden: So sah der Entwurf vor, die Gentests an Embryonen nur für Paare zuzulassen, bei denen eine erbliche Vorbelastung „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ eine Schädigung des Embryos erwarten lässt, „die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führt“. Auch eine Beratung sowie die Zustimmung einer Ethikkommission sollte vorgeschrieben werden.
Striktes Verbot
Ein strenges Verbot strebte schließlich eine Gruppe von Abgeordneten um Birgitt Bender (Bündnis 90/Die Grünen), Johannes Singhammer, Volker Kauder (beide CDU/CSU) und Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) mit ihrem Gesetzentwurf (17/5450) an.
Die Entscheidung über den künftigen Umgang mit der umstrittenen Methode der Präimplantationsdiagnostik fällte der Bundestag unter Verzicht auf die Fraktionsdisziplin nach monatelangen intensiven Diskussionen fast auf den Tag genau ein Jahr nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs, am 7. Juli 2011: In der dreieinhalbstündigen emotionalen und oft grundsätzlichen Debatte, die der Abstimmung vorausging, prallten die Argumente der PID-Gegner und -Befürworter noch einmal aufeinander.
Gegner: PID stellt fundamentalem Paradigmenwechsel dar
So warnten Wolfgang Thierse und Volker Kauder vor einem „fundamentalen Paradigmenwechsel“ und vor einer „Qualitätsprüfung beginnenden menschlichen Lebens“. Wolfgang Zöllner (CDU/CSU), Patientenbeauftragter der Bundesregierung, stellte klar: „PID bedeutet Selektion.“ Die Legalisierung der Methode könne das „Musterbaby“ zum Maßstab machen.
Dr. Ilja Seifert (Die Linke) wollte wissen, wie künftig zu verhindern sei, dass aus „einem Kinderwunsch bald auch Wunschkinder mit speziell geplanten Eigenschaften werden“. Die PID könne zur Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen beitragen. Und Birgitt Bender (Bündnis 90/Die Grünen) sagte an die PID-Befürwortern gewandt: „Das Hilfeversprechen, mit dem man suggeriert, man könne Paaren ein gesundes Kind sozusagen liefern, ist nichts anderes als der Wunschtraum von Technokraten.“
Befürworter: Hilfe für erblich belastete Paare mit Kinderwunsch
Die Befürworter wiederum, wie Benders Fraktionskollege Jerzy Montag (Bündnis 90/Die Grünen), warfen ihren Kritikern vor, mit Begriffen wie „Selektion“ bewusst an die „dunkelste Vergangenheit Deutschlands“ zu erinnern. Es gehe nicht um die „Ablehnung lebensunwerten Lebens“, so Montag, oder darum, „dem Schicksal in die Parade zu fahren und ein perfektes Kind züchten zu wollen“.
Ulrike Flach (FDP) betonte, Ziel sei es, erblich belasteten Paaren mit Kinderwunsch zu helfen. Mit der Zulassung der PID sei ohnehin kein „Dammbruch“ zu erwarten, denn es gehe um „wenige Hundert Fälle pro Jahr.“
„Rechtlich nicht haltbar, moralisch verwerflich“
Peter Hintze sagte, er halte es für „rechtlich nicht haltbar und moralisch verwerflich“ mit einem strikten Nein zur PID „die Vermeidung der Abtreibung zu verbieten“. Der CDU-Abgeordnete unterstrich: „Nicht eine Ethik der Strafe, sondern eine Ethik des Helfens macht unsere Gesellschaft menschlicher.“
Seine Fraktionskollegin Dr. Ursula von der Leyen betonte schließlich als letzte Rednerin der Debatte, ein PID-Totalverbot gehe „von einem bevormundeten Menschen aus“, der Entwurf zur eingeschränkten Freigabe hingegen „von einem mündigen Menschen“.
Mehrheit stimmt für die eingeschränkte Zulassung
Am Ende war es der von der Parlamentariergruppe um Hintze und Flach initiierte Entwurf, der gleich in der ersten Abstimmung nach dem so genannten Stimmzettelverfahren in der zweiten Lesung mehr Stimmen auf sich vereinen konnte als die anderen Gesetzentwürfe plus Nein-Stimmen und Enthaltungen. Weitere Abstimmungen waren damit nicht mehr notwendig.
306 Abgeordnete hatten für die begrenzte Zulassung der PID gestimmt, 228 für das strikte Verbot, 58 für das Verbot mit Ausnahmen. In der dritten Lesung votierten schließlich 326 Abgeordnete in namentlicher Abstimmung für eine eingeschränkte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik, 260 Abgeordnete stimmten gegen den Entwurf, acht enthielten sich der Stimme.
PID-Verfahren relativ selten genutzt
So umstritten die PID vor ihrer eingeschränkten Zulassung war – die Nutzung der Untersuchung ist seit dem Inkrafttreten des PID-Gesetzes am 8. Dezember 2011 und der PID-Verordnung am 1. Februar 2014, die erst die Voraussetzungen für die Anwendung geschaffen hat, deutlich geringer ausgefallen als erwartet. Das zeigt ein Bericht der Bundesregierung vom Dezember 2015 (18/7020).
Ursprünglich war von jährlich 200 bis 300 Anträgen auf eine solche Untersuchung ausgegangen worden. Der Zentralstelle zur Dokumentation der Verfahren wurden 2014 jedoch insgesamt nur 13 Anträge gemeldet. Die Zahlen von 2015 konnten damals noch nicht berücksichtigt werden. In einer Veröffentlichung von Fachautoren jedoch wurden laut Unterrichtung der Bundesregierung von Februar 2014 bis Ende Juni 2015 die PID insgesamt 34 Mal angewendet. (sas/14.08.2017)