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Parlamentariergruppe: Türkei muss zur Istanbul-Konvention zurückkehren

Eine Demonstration mit Transparenten mit türkischer Aufschrift und dem Parteienkürzel HDP.

Demonstration von Unterstützern der türkischen Oppositionspartei HDP in Istanbul am 3. Februar 2021 (picture alliance/Associated Press | Emrah Gurel)

Die Deutsch-Türkische Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages hat „mit Bestürzung“ den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt zur Kenntnis genommen und fordert nachdrücklich eine Rückkehr des Landes zu dem völkerrechtlichen Vertrag. Dies geht aus einer am Freitag, 26. März 2021, veröffentlichten Erklärung der Parlamentariergruppe hervor. Der Rückzug der Türkei aus dem 2011 vom Europarat ausgearbeiteten Vertrag sei per Dekret des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan erfolgt. Weder die türkische Nationalversammlung noch die Zivilgesellschaft seien in die Entscheidung eingebunden worden.

Die vom Staatspräsidenten verfügte Absage an das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt unmittelbar nach dem Verbotsverfahren gegen die zweitgrößte Oppositionspartei der Nationalversammlung, die Demokratische Partei der Völker (HDP), sei ein weiterer schwerer Rückschlag für die Menschenrechte in der Türkei und erhöhe die Gefahr frauenfeindlicher, homo- und transphober Übergriffe, heißt es in der Erklärung. Zu Recht rufe die Verfügung des türkischen Präsidenten Erdoğan anhaltend Proteste der Zivilgesellschaft hervor.

„Null Toleranz für Gewalt gegen Frauen, Mädchen und sexuelle Minderheiten“

Die Abkehr von der Istanbul-Konvention stehe in engem Kontext zu den Verschlechterungen der Menschenrechtslage in der Türkei und demonstriere deutlich, was der türkische Präsident unter der Reform des Rechtsstaates versteht. Dieser Austritt sei ein weiterer von zahlreichen politischen Schritten der innenpolitischen Verhärtung und Radikalisierung der Politik des türkischen Präsidenten und der AKP-MHP-Regierung hin zu Traditionalisten und Islamisten, erklärt der Vorstand der Parlamentariergruppe.

Sie fordert die Bundesregierung, die EU und den Europarat auf, sich mit Nachdruck und auf allen Ebenen für eine Rückkehr der Türkei zu den Verpflichtungen der Istanbul-Konvention einzusetzen und auf eine echte Gleichstellung der Geschlechter hinzuarbeiten. Für Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie sexuelle Minderheiten dürfe es null Toleranz geben.

„Regierungsgegner werden massenweise verfolgt“

Bereits am Donnerstag, 18. März 2021, hatte sich die Parlamentariergruppe „besorgt über die zunehmende Unterdrückung und Verfolgung von Opposition und Zivilgesellschaft in der Türkei“ geäußert. Die Abgeordneten nahmen Bezug auf den „Fall der jüngsten Repressionen gegen Politikerinnen und Politiker der Oppositionspartei HDP sowie gegen Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger“.

In der Erklärung heißt es weiter: „Die jüngste Festnahme von über 700 Menschen, darunter Dutzende regionale Vorstandsmitglieder und Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker der HDP, reiht sich ein in eine seit Jahren andauernde politische Verfolgung oppositioneller Kräfte in der Türkei. Wir beobachten mit großer Sorge, dass insbesondere seit dem Jahr 2016 Regierungsgegner massenweise verfolgt werden. Neben Entlassungen, Zwangsversetzungen und Inhaftierungen von Staatsbediensteten zählen hierzu massive Grundrechtseinschränkungen zivilgesellschaftlicher Akteure sowie die systematische Verfolgung der Opposition.“

Der EU-Erweiterungsbericht aus dem Jahr 2020 habe vor diesem Hintergrund schwerwiegende Rückschritte in den Bereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und bei der Unabhängigkeit der Justiz festgestellt. Die jüngste Verfolgung von Oppositionspolitikerinnen und Oppositionspolitikern verschärfe die Einschränkung demokratischer Grundrechte wie der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zusätzlich.

„Systematische politische Verfolgung“

Nach Darstellung der Parlamentariergruppe sieht sich die nun erneut ins Visier geratene Oppositionspartei HDP seit Jahren einer systematischen politischen Verfolgung ausgesetzt. Im Zuge der Immunitätsaufhebung zahlreicher HDP-Abgeordneter im türkischen Parlament im Mai 2016 auf Betreiben von Staatspräsident Erdoğan seien die beiden damaligen HDP-Parteivorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ sowie mindestens weitere 13 HDP-Abgeordnete festgenommen worden.

m 22. Dezember 2020 habe die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unter anderem aufgrund der Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und des Rechts auf Freiheit und Sicherheit die sofortige Freilassung von Selahattin Demirtaş aus der Haft in der Türkei angeordnet.

„Versuch, die Opposition mundtot zu machen“

Weiter heißt es in der Erklärung: „Die jüngsten Festnahmen, der Austausch gewählter Bürgermeister, politisch motivierte Gerichtsverfahren, wie im Fall der Verurteilung der Mitbegründerin und Ko-Vorsitzenden des Menschenrechtsvereins der Türkei (IHD), Eren Keskin, und die Anträge zur Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Mitgliedern der Nationalversammlung, wie dem HDP-Abgeordneten und Menschenrechtler Ömer Faruk Gergerlioğlu, können als Versuch gewertet werden, die Opposition mundtot zu machen und den Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft einzuschränken.“

Der Vorstand der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe, zu dem die Abgeordneten Sevim Dağdelen (Die Linke, Vorsitzende) sowie Josef Oster (CDU/CSU), Uli Grötsch (SPD), Ulrich Lechte (FDP) und Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) zählen, fordert die Bundesregierung auf, sich gegenüber der türkischen Regierung mit Nachdruck für eine Beendigung der politischen Verfolgung von Opposition und Zivilgesellschaft einzusetzen sowie auf die Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien hinzuwirken. (vom/26.03.2021)

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