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Hyperinflation in Deutschland 1923

Ein Mann steht vor riesigen Geldstapeln in einer Berliner Bank während der Hyperinflation 1923.

Geldstapel in einer Berliner Bank während der Hyperinflation 1923. (picture alliance / Everett Collection)

Im Herbst 1923 erreichte die inflationäre Entwicklung in Deutschland ihren Höhepunkt. Sie hatte ihren Ursprung in der Finanzierung des Ersten Weltkrieges, die nicht durch Steuern, sondern auf Pump erfolgt war. Zum einen hatte die Reichsregierung inländische Kriegsanleihen in erheblichem Umfang ausgegeben, die von den Bürgern zu Kriegsbeginn zunächst mit Begeisterung gezeichnet wurden; zum anderen hatte sie am 4. August 1914 die gesetzliche Noteneinlösungspflicht der Reichsbank in Gold aufgehoben, was die Möglichkeiten zur Schuldenaufnahme erleichterte. In der Folge stieg die Zentralbankgeldmenge von August 1914 bis November 1918 um das 10,8-Fache an. Im November 1918 überstiegen die Schulden des Reiches mit etwa 150 Milliarden Mark das Volkseinkommen des Jahres 1919 von geschätzten 142 Milliarden Mark. Diese Verbindlichkeiten sollten, so lautete das Kalkül der kaiserlichen Reichsregierung zu Beginn des Ersten Weltkrieges, nach erfolgreicher Beendigung der Kämpfe durch Reparationen der Kriegsgegner getilgt werden.

Steigerung inflationärer Tendenzen durch Kriegsfolgelasten

Aufgrund der militärischen Niederlage sah sich das Deutsche Reich nach dem Krieg jedoch stattdessen mit Reparationsforderungen der Siegermächte konfrontiert, was die inflationären Tendenzen weiter verstärkte. Zwar waren die Reparationen in Fremdwährungen oder in Goldmark zu zahlen, die dafür nötigen Mittel besorgte sich der Staat aber über die (unkontrollierte) Vermehrung des eigenen Papiergeldes. Inflationssteigernd wirkten auch die erheblichen Folgelasten des Krieges. Dazu zählten vor allem die Demobilisierung von Millionen deutscher Soldaten und die Versorgung der Kriegsversehrten, die die Regierung ebenfalls durch weitere Schuldenaufnahme finanzierte.

Zweifel an wirtschaftlicher Entwicklung Deutschlands im Ausland

Für die deutsche Volkswirtschaft hatte die inflationäre Entwicklung in den Anfangsjahren der Weimarer Republik auch positive Folgen, da deren internationale Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten durch die deutliche Abwertung der Mark gefördert wurde, während die westeuropäischen Kriegsgegner und die USA zeitgleich in eine Nachkriegsrezession gerieten. Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung blieben in Deutschland zunächst stabil, ehe seit der Ermordung von Reichsaußenminister Walter Rathenau im Juni 1922 das wirtschaftliche Vertrauen in die Republik im Ausland zunehmend einbrach. Das ließ sich u. a. am Außenwert der Mark ablesen: Hatte ein Dollar Anfang des Jahres 1922 noch 45 Mark gekostet, waren es im Juni schon 75 Mark, im August 270 Mark und im Dezember 1.807 Mark.

Ruhrgebietsbesetzung und passiver Widerstand als Krisenbeschleuniger

Als am 11. Januar 1923 französische und belgische Truppen infolge umstrittener Rückstände des Deutschen Reiches bei den Reparationsleistungen das Ruhrgebiet besetzten und die Reichsregierung im Gegenzug zwei Tage später den „passiven Widerstand“ gegen die Besetzung ausrief, gerieten die monetären Verhältnisse in Deutschland binnen weniger Monate außer Kontrolle. Die Löhne der streikenden Arbeiter, Beamten und Eisenbahner im besetzten Gebiet wurden von der Reichsregierung übernommen. Dies und starke Produktionsausfälle markierte den Übergang von der galoppierenden Geldentwertung zur Hyperinflation. Denn das Geld beschaffte sich die Regierung über eine erneute Ausweitung der Haushaltsverschuldung unter Inanspruchnahme der Notenpresse. Die Druckmaschinen- und Papierindustrie sowie das Druckereigewerbe gerieten daraufhin an ihre Kapazitätsgrenzen.

Leben in der Hyperinflation: ein Brot für 201 Milliarden Mark

Aufgrund der kulminierenden Inflation ging man dazu über, Noten einseitig zu bedrucken, oder begnügte sich mit der Überstempelung zuvor ausgegebener, aber völlig entwerteter Noten. Firmen gingen von wöchentlicher zu täglicher Lohnzahlung über und weiter zur Zahlung in der Mittagspause. Ihren Lohn holten die Arbeiter teilweise mit Leiterwagen vor den Werkstoren ab, um die sackweise ausgezahlten Noten zu den nächstgelegenen Läden zu bringen und dort gegen knappe Waren einzutauschen, bevor das Geld am Nachmittag erneut die Hälfte seines Werts verloren hatte. Kleinste Rechnungseinheit waren zunächst noch Tausend Mark, seit dem Sommer Millionen und ab Oktober 1923 Milliarden Mark. So stieg der nominelle Brotpreis, der im Dezember 1919 noch bei 0,80 Mark gelegen hatte, im Laufe des Jahres 1923 in astronomische Höhen: Lag er im Januar 1923 bereits bei 250 Mark, stieg er im August auf 69.000 Mark, im September auf 1,5 Millionen Mark, im Oktober auf 174 Millionen Mark und im November 1923 schließlich auf 201 Milliarden Mark.

Funktionsverlust des Geldes mit dramatischen Folgen

Infolge der Geldentwertung geriet der wirtschaftliche Austausch im Laufe des Jahres 1923 zunehmend ins Stocken, da Landwirte und Händler ihre Waren zurückhielten. Das Geld verlor immer mehr seine Funktion als Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel. Die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Hyperinflation waren massiv. Die realen Arbeitseinkommen sanken deutlich. Arbeitslosigkeit und Streiks nahmen rasant zu. Es kam zu Teuerungsunruhen und Plünderungen im ganzen Land.

Inflationsverlierer und Krisengewinner

Die Hyperinflation traf vor allem Arbeiter, Kleinrentner und Kriegsversehrte sowie Sparer aus dem mittleren und wohlhabenden Bürgertum, die durch die Inflation regelrecht enteignet wurden. Auf der anderen Seite gab es auch Profiteure der Geldvernichtung. Schuldner wurden ihre Verpflichtungen beinahe über Nacht los, und Industriebetriebe profitierten von kurzfristigen Krediten durch die Reichsbank. So baute der Unternehmer Hugo Stinnes in dieser Zeit durch die Aufnahme hoher Schulden ein imposantes Wirtschaftsimperium auf. Zu den Gewinnern zählten auch Bauern und Grundbesitzer. Einer der größten Profiteure war auch der Staat, der seine gesamten Kriegsschulden bei inländischen Gläubigern mittels des billigen Geldes problemlos ablösen konnte.

Verfall des Außenwertes der Mark

Dramatisch war auch der Verfall des Außenwertes der Mark: Im Januar 1920 wies die Mark gegenüber dem Dollar im Vergleich zum August 1914 nur noch ein Zehntel des Wertes auf. Im Oktober 1921 betrug der Wert noch ein Hundertstel und im Oktober 1922 noch ein Tausendstel. Im Juli 1923 musste man schon eine Million Mark für einen einzigen Dollar zahlen. Auf dem Höhepunkt der Krise im November 1923 entsprach der Kurs für einen US-Dollar 4,2 Billionen Mark.

Währungsschnitt und Einführung der Rentenmark

Die rasant fortschreitende Inflation machte eine grundlegende Reform der Währung unumgänglich. Ein harter Währungsschnitt war zugleich die Voraussetzung für die von der Reichsregierung anvisierten Verhandlungen mit den Siegermächten des Ersten Weltkrieges über eine Reduzierung der deutschen Reparationsleistungen.

Die wichtigste Grundlage für die Währungsstabilisierung legte die am 15. Oktober von der Reichsregierung beschlossene „Verordnung über die Errichtung der Deutschen Rentenbank“. Das auf eine Hypothekenbelastung der deutschen Wirtschaft gestützte und an den Goldpreis gebundene neue Zahlungsmittel der Rentenmark wurde ab dem 15. November 1923 ausgegeben. Der Wechselkurs einer Rentenmark war mit einer Billion Papiermark festgelegt worden, ein US-Dollar entsprach 4,20 Rentenmark.

Ausgabenkürzungen und Massenentlassungen im öffentlichen Dienst

Die Einführung der neuen Währung war begleitet von drastischen Einsparungen im Reichshaushalt einerseits und der Erhöhung von Steuern und Abgaben andererseits. Auf der Grundlage der Personalabbauverordnung vom 27. Oktober 1923 wurden in den folgenden Monaten 400.00 Beamte, Angestellte und Arbeiter und damit rund ein Viertel der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes entlassen. Die Löhne und Gehälter wurden auf 60 Prozent des Vorkriegssatzes reduziert, der Achtstundentag wurde aufgeweicht.

Rasche wirtschaftliche Stabilisierung und nachwirkendes Inflationstrauma

Der Währungsschnitt zeigte aber auch schnell positive Auswirkungen. Bereits im Dezember 1923 waren erste Zeichen der Besserung zu erkennen. Die Lebensmittelgeschäfte füllten sich wieder mit Waren, nachdem die Landwirte schnelle Vertrauen zur neuen Währung fassten und die Städte wieder mit ihren Produkten belieferten. Das Ende der Inflation leitete eine mehrjährige Phase der wirtschaftlichen und politischen Stabilisierung der Weimarer Republik ein. Trotzdem blieb die Erfahrung der Hyperinflation ein nachwirkendes Trauma, das sich tief in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt hat, wie der Historiker Gerald D. Feldman betont. Denn für viele hatte die Inflation Vermögen und gesellschaftlichen Status zunichte gemacht und das Vertrauen in die junge Republik nachhaltig erschüttert. Dies sollte sich im Winter 1929/30 zeigen, als Deutschland die Folgen der Weltwirtschaftskrise mit aller Härte zu spüren bekam und bei den anschließenden Reichstagswahlen im September 1930 der rasante politische Aufstieg der NSDAP einsetzte. (WD 1, 12.10.2023)

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