Parlament

Wahl des Bundestagspräsidenten und seiner beiden Stellvertreter

von links: Prof. Dr. Carlo Schmid (SPD), Dr. Hermann Schäfer (FDP) und Dr. Erich Köhler (CDU)

von links: Prof. Dr. Carlo Schmid (SPD), Dr. Hermann Schäfer (FDP) und Dr. Erich Köhler (CDU) (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/ Georg Bauer/ AP)

Einen Tag vor der konstituierenden Sitzung des ersten Deutschen Bundestages kommen am 6. September 1949 führende Vertreter der im Bundestag vertretenen Parteien zu einer Vorbesprechung zusammen, um sich über den Ablauf der Eröffnungssitzung am folgenden Tag abzustimmen. Dabei orientieren sie sich in mehrfacher Hinsicht an den Gepflogenheiten des Weimarer Reichstages. So soll gemäß dem Parlamentsbrauch das älteste gewählte Mitglied als Alterspräsident die konstituierende Sitzung eröffnen und während die Wahl des Bundestagspräsidenten mit Stimmzetteln in geheimer Wahl stattfinden soll, erfolgt die Wahl der Vizepräsidenten dagegen durch Zuruf.

Wahl mit breiter Mehrheit

Gemäß dieser Vereinbarungen eröffnet Paul Löbe (SPD), der mit Ausnahme einer kurzen Unterbrechung von 1920 bis 1932 Reichstagspräsident in der Weimarer Republik gewesen war, am 7. September 1949 als Alterspräsident die konstituierende Sitzung des Deutschen Bundestages. Im Anschluss an seine Ansprache wählen die Abgeordneten in geheimer Abstimmung auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion den hessischen Bundestagsabgeordneten und vormaligen Präsidenten des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, Dr. Erich Köhler (CDU), mit großer Mehrheit zum ersten Bundestagspräsidenten. Auf ihn entfallen 346 der abgegebenen 402 Stimmen (81,1 %). Nach der Amtsübernahme des neuen Bundestagspräsidenten werden Prof. Dr. Carlo Schmid (SPD) und Dr. Hermann Schäfer (FDP) per Akklamation zu seinen Stellvertretern gewählt.

Kaum Entscheidungsbefugnisse für das Präsidium

Der erste Deutsche Bundestag nimmt seine Arbeit zunächst mit der Geschäftsordnung des Reichstages der Weimarer Republik von 1922 auf, die er aufgrund eines Beschlusses in der fünften Sitzung am 20. September 1949 bis auf wenige Änderungen als vorläufige Geschäftsordnung im Wesentlichen übernimmt. So findet auch das Präsidium erstmals Erwähnung in einer Geschäftsordnung des nationalen Parlaments. Seine Funktion beschränkt sich jedoch zunächst nur darauf, dass das Präsidium bis zum Zusammentritt eines neuen Bundestages seine Geschäfte fortführt. Zwei Jahre später, am 6. Dezember 1951, gibt sich der Bundestag eine eigene Geschäftsordnung, die am 1. Januar 1952 in Kraft tritt. Hierin ist erstmals explizit festgelegt, dass der Bundestagspräsident und seine Stellvertreter das Präsidium bilden. Als einzige zusätzliche Kompetenz wird dem Präsidium in der Geschäftsordnung von 1952 lediglich zugeschrieben, über die Niederlegung der Aufnahmen der Verhandlungen des Bundestages im Archiv zu entscheiden. Als Kollegialorgan besitzt das Präsidium bis zur Geschäftsordnungsreform von 1969 somit praktisch keine Entscheidungsbefugnisse. Für die inneren Angelegenheiten von wesentlich größerer Bedeutung ist der Vorstand des Bundestages. Dieser setzt sich aus dem Bundestagspräsidenten, seinen Stellvertretern und den Schriftführern und ab 1961 zusätzlich aus den Parlamentarischen Geschäftsführern der Fraktionen zusammen. Bis zu seiner Auflösung 1969 entscheidet er u. a. über den Haushaltsplan für den Bundestag, die Regelung der Bezüge der Abgeordneten, die Verwendung und Verteilung der Räume, bauliche Maßnahmen und die Betreuung der Bibliothek.

Dr. Erich Köhler (CDU/CSU), Bundestagspräsident 1949-1950

Erich Köhler
Erich Köhler

Erich Köhler (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung / AP)

Erich Köhler wird 1892 in Erfurt geboren. Nach dem Abitur studiert er von 1911 bis 1914 Volkswirtschaft, Staats- und Handelsrecht an den Universitäten Marburg, Berlin, Leipzig und Kiel. Nach Ableistung des Kriegsdienstes im Ersten Weltkrieg schließt er 1919 sein Studium mit einer Dissertation über die „Beziehungen der thüringischen Industrie zum Weltmarkt“ ab. Bis 1933 ist er als Syndikus und Geschäftsführer verschiedener Arbeitgeberverbände in Kiel tätig. Er ist Mitglied des schleswig-holsteinischen Landesvorstandes und des Zentralvorstandes der Deutschen Volkspartei (DVP).

Beteiligung am politischen Wiederaufbau nach 1945

1933 wird Köhler wegen seiner jüdischen Ehefrau aus seinen Ämtern entlassen. Nach zunächst längerer Arbeitslosigkeit betätigt er sich ab 1939 als Versicherungsagent. Nach dem Ende von NS-Diktatur und Zweitem Weltkrieg nimmt Köhler seine politische Tätigkeit wieder auf. Er ist 1945 Mitbegründer der hessischen CDU und übernimmt 1946 den Vorsitz der Landtagsfraktion seiner Partei. 1947 wird er Mitglied des Frankfurter Wirtschaftsrates, des Parlaments des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (Bizone). Hier wählen ihn die von den Landtagen entsandten Abgeordneten zum Präsidenten.

Wahl zum Bundestagspräsidenten

Bei den Wahlen zum 1. Deutschen Bundestag am 14. August 1949 gewinnt Köhler das Direktmandat im Wahlkreis Wiesbaden und wird auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion am 7. September 1949 in der konstituierenden Sitzung mit großer Mehrheit zum Präsidenten des Deutschen Bundestages gewählt. In seiner Antrittsrede stellt Köhler – nicht ohne Pathos – die Aufgabe des Parlaments heraus: „Eine der edelsten Zielsetzungen, die uns wohl hier in diesem Hause über die Verschiedenheit der politischen Anschauungen hinweg verbinden, ist doch die, daß die Menschenwürde sich wieder in jedem Deutschen uneingeschränkt und nach jeder Richtung hin entfalten kann. Die Verwirklichung von Recht und Gerechtigkeit soll und muß das oberste Gesetz unseres gesetzgeberischen Handelns in Zukunft sein. Geistige und politische Freiheit des Menschen, Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung sind die edelsten Güter einer wahrhaften Demokratie. Sie zu sichern [...], wird eine unserer wichtigsten Aufgaben sein.“

Rücktritt nach Kritik an Amtsführung

Im parlamentarischen Alltag der 1. Legislaturperiode steht das Verbindende der Demokraten jedoch weniger im Vordergrund. Die Plenardebatten sind von scharfen ideologischen Gegensätzen geprägt, die nicht selten in erbitterte Redeschlachten münden. Köhler, der sich als Präsident des Frankfurter Wirtschaftsrates parteiübergreifende Anerkennung und Respekt erworben hat, sieht sich von Beginn an Kritik an seiner Sitzungsleitung ausgesetzt. So vermag er es aus Sicht seiner Kritiker nur unzureichend, die oftmals aufgrund von Provokationen der kommunistischen Fraktion, aber auch wegen grundsätzlicher Differenzen zwischen CDU/CSU und SPD hochgehenden Wogen zu glätten. Im Frühjahr 1950 bereitet die SPD einen – in der Geschäftsordnung des Bundestages indes gar nicht vorgesehenen – Missbilligungsantrag gegen ihn vor. Auch aus seiner eigenen Fraktion mehren sich Stimmen, die Kritik an seiner Amtsführung üben. Nachdem er sich auch noch öffentlichen Angriffen ausgesetzt sieht, weil er die Presse wegen ihrer angeblich zu negativer Berichterstattung über die Arbeit des Bundestages kritisiert hat, tritt Köhler am 18. Oktober 1950 aus gesundheitlichen Gründen vom Amt des Bundespräsidenten zurück. Er bleibt bis zum Ende der zweiten Legislaturperiode 1957 Mitglied des Bundestages. Köhler stirbt am 23. Oktober 1958 in Wiesbaden.

Zu Köhlers Nachfolger wird am 19. Oktober 1950 Dr. Hermann Ehlers (CDU/CSU) gewählt.

Professor Dr. Carlo Schmid (SPD), Erster Stellvertreter 1949-1966 und 1969-1972

Carlo Schmid
Carlo Schmid

Carlo Schmid (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/ Georg Bauer)

Carlo Schmid wird am 3. Dezember 1896 in südfranzösischen Perpignan geboren. Er wächst als Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter zuerst in Frankreich und ab 1906 in Stuttgart auf. Nach dem Abitur nimmt er von 1914 bis 1918 als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg teil. Er studiert Staats- und Rechtswissenschaft in Tübingen und schließt 1923 seine Promotion in Frankfurt am Main ab. Von 1925 bis 1927 arbeitet er als Gerichtsassessor im württembergischen Justizdienst, danach als Amtsrichter und ab 1931 als Landgerichtsrat in Tübingen. Nach Abschluss seiner Habilitation 1929 arbeitet Schmid von 1930 bis 1940 auch als Privatdozent für Völkerrecht an der Universität Tübingen. Im Zweiten Weltkrieg ist er von 1940 bis 1944 als Kriegsverwaltungsrat für die Wehrmacht im französischen Lille tätig, wo er sich mehrfach mit Erfolg um eine Milderung des deutschen Besatzungsregimes bemüht. Vor Kriegsende kehrt er nach Tübingen zurück.

Administrative Schlüsselstellung in französischer Besatzungszone

Nach der Besetzung der Stadt durch die Franzosen wird er deren maßgeblicher Ansprechpartner und nimmt in dieser Anfangsphase eine administrative Schlüsselstellung ein. So ist er von 1945 bis 1947 Präsident des Staatssekretariats für das französisch besetzte Gebiet Württemberg-Hohenzollern und zugleich Landesdirektor für Justiz sowie zeitweise für Kultur, Erziehung und Kunst. Von 1947 bis 1950 ist er Justizminister und stellvertretender Staatspräsident im Land Württemberg-Hohenzollern. Seit dem Kriegsende engagiert sich Schmid auch politisch. Anfang 1946 tritt er der SPD bei und wird bald darauf Landesvorsitzender der SPD-Südwürttemberg. Bereits ein Jahr später wird er Mitglied des SPD-Parteivorstands, dem er bis 1973 angehört.

Maßgeblicher Architekt des Bonner Grundgesetzes

1948 nimmt er an den Ministerpräsidentenkonferenzen und am Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee teil und wird vom Landtag von Württemberg-Hohenzollern in den Parlamentarischen Rat gewählt, wo er in zentralen Funktionen entscheidenden Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung des Grundgesetzes nimmt. Schmid übernimmt den Vorsitz der SPD-Fraktion und wird zum Vorsitzenden des einflussreichen Hauptausschusses gewählt. Im weiteren Verlauf der Beratungen des Parlamentarischen Rats trägt er zur parteiübergreifenden Kompromissbildung im Fünferausschuss und im Siebenerausschuss maßgeblich bei. Er wirkt an der inhaltlichen Formulierung der Grundrechte und an deren prominenter Platzierung zu Beginn des Verfassungstextes mit. Beteiligt ist er auch an den Grundgesetzartikeln zum konstruktiven Misstrauensvotum, zum Recht auf Asyl und auf Kriegsdienstverweigerung.

Bundestagsvizepräsident und überzeugter Europäer

1949 zieht Schmid als Direktkandidat im Wahlkreis Mannheim für die SPD in den 1. Deutschen Bundestag ein, wo er in der konstituierenden Sitzung per Akklamation zum Ersten Stellvertreter des Bundestagspräsidenten gewählt wird. Der für seine souveräne Sitzungsleitung parteiübergreifend geschätzte Schmid übt das Amt des Vizepräsidenten insgesamt fast zwei Jahrzehnte (1949-1966 sowie 1969-1972) aus. Schmid, der sich besonders für die deutsch-französische Aussöhnung einsetzt, gehört von 1950 bis 1960 sowie von 1969 bis 1973 der Beratenden Versammlung des Europarates in Straßburg an. Zudem übt er von 1963 bis 1966 das Amt des Präsidenten der Versammlung der Westeuropäischen Union aus. Am 1. Dezember 1966 wird er als Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates und der Länder in die von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger geführte Bundesregierung der Großen Koalition berufen. Nach der Bundestagswahl 1969 scheidet Schmid aus der Bundesregierung aus. Von 1969 bis zu seinem Tode am 11. Dezember 1979 in Bonn ist er Koordinator für die deutsch-französische Zusammenarbeit.

Dr. Hermann Schäfer (FDP), Zweiter Stellvertreter 1949-1953

Hermann Schäfer
Hermann Schäfer

Hermann Schäfer (© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/ Georg Bauer)

Hermann Schäfer, geboren am 6. April 1892 in Remscheid, stammt aus einer mittelständischen Remscheider Unternehmerfamilie. Nach dem Studium der Staats- und Wirtschaftswissenschaften sowie der Zeitungskunde promoviert er 1914 an der Universität Heidelberg mit einer Untersuchung zur Arbeiterpresse. Nach seiner Teilnahme als Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg und Entlassung aus französischer Kriegsgefangenschaft 1920 arbeitet er in der Geschäftsführung der „Vereinigung der leitenden Angestellten“. Bereits vor 1914 als Mitglied im „Jungliberalen Verein“ und der „Fortschrittlichen Volkspartei“ aktiv schließt sich Schäfer 1920 der linksliberalen „Deutschen Demokratischen Partei“ (DDP) an. Für sie sitzt er ab 1925 in der Kölner Stadtverordnetenversammlung und im Rheinischen Provinziallandtag. Zwischen 1925 und 1932 gehört er auch dem Reichsparteiausschuss der DDP (ab 1930: Deutsche Staatspartei) an.

Stellvertretender Präsident des Parlamentarischen Rates

Nach 1933 enden nicht nur Schäfers politische Aktivitäten vorerst, sondern er muss sich auch nach der Zwangsauflösung der „Vereinigung der leitenden Angestellten“ beruflich neu orientieren. Er arbeitet fortan als Angestellter bei der Hanseatischen Ersatzkasse. Nach Kriegsende übernimmt er die Leitung dieser Krankenkasse und wird Vorsitzender des „Verbandes der Angestelltenkrankenkassen“ sowie des „Hauptausschusses der Deutschen Arbeiter- und Angestelltenkrankenkassen“. Gleichzeitig engagiert sich Schäfer auch wieder politisch. Kurz nach seinem Beitritt wird er Mitte 1946 stellvertretender Vorsitzender der Hamburger FDP. Ein Jahr später wird er in gleicher Funktion in den Vorstand des liberalen Verbandes für die britische Zone gewählt. 1948 gehört er für die FDP dem Parlamentarischen Rat an. Schäfer wird zweiter Vizepräsident, so dass die Originalurkunde des Bonner Grundgesetzes auch seine Unterschrift trägt. 1948 wird er in den Vorstand der Bundespartei gewählt und ist von 1950 bis 1955 stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender.

Unparteiische Amtsführung als Bundestagsvizepräsident

1949 zieht Schäfer über die Hamburger Landesliste in den 1. Deutschen Bundestag ein. In der konstituierenden Sitzung am 7. September 1949 wird er per Akklamation zum zweiten Stellvertreter des Bundestagspräsidenten gewählt. Hermann Schäfer wird – wie auch Carlo Schmid – bescheinigt, sich im Wesentlichen mit Erfolg darum bemüht zu haben, das Amt unparteiisch und gerecht gegen jedermann geführt zu haben, obwohl beide als Vizepräsidenten zugleich herausragende Repräsentanten ihrer Parteien bleiben. So übt Schäfer von 1949 bis 1951 und von 1952 bis 1953 das Amt des Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion aus. Nach der Bundestagswahl 1953 wird er „Bundesminister für besondere Aufgaben“ im Kabinett von Konrad Adenauer. Im Februar 1956 verlässt er zunächst die FDP-Fraktion und kurz danach auch die Partei, als die Regierungskoalition über Wahlrechts- und landespolitische Fragen zerbricht. Im selben Jahr scheidet er auch aus dem Bundeskabinett aus. Der Versuch, mit Hilfe der neu gegründeten „Freien Volkspartei“ (FVP) in den Bundestag zurückzukehren, scheitert. Fortan ist Schäfer in verschiedenen Beratungsgremien der Sozial- und Gesundheitspolitik aktiv. Politischen Einfluss erlangt er nach seinem Wiedereintritt in die FDP im Jahr 1961 nicht wieder. Hermann Schäfer stirbt am 26. Mai 1966 in Bad Godesberg.

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