Mit 370 Ja-Stimmen bei 279 Gegenstimmen und drei Enthaltungen hat der Bundestag am Freitag, 15. Juni 2018, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung über den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte (19/2438, 19/2702) in der vom Ausschuss für Inneres und Heimat geänderten Fassung (19/2740) zugestimmt. Keine Mehrheit fanden Gesetzentwürfe der FDP-Fraktion (19/2523) sowie der Fraktion Die Linke (19/2515), zu denen ebenfalls Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Inneres und Heimat vorlagen (19/2740). Dem FDP-Gesetzentwurf stimmten nur die Antragsteller zu, ein AfD-Abgeordneter enthielt sich. Dem Gesetzentwurf der Linken stimmten auch die Grünen zu, während ihn alle übrigen Fraktionen ablehnten.
Regierung will Beschränkung auf 1.000 Personen pro Monat
Der Entwurf der Regierung sieht vor, den derzeit ausgesetzten Nachzug ausländischer Mitglieder der Kernfamilie – Ehepartner, Eltern minderjähriger Kinder und ledige minderjährige Kinder – zu subsidiär, also eingeschränkt Schutzberechtigten aus humanitären Gründen ab Anfang August dieses Jahres für 1.000 Personen pro Monat zu gewähren. Dabei soll laut Bundesinnenministerium für die Zeit vom 1. August bis 31. Dezember 2018 die Begrenzung bei insgesamt 5.000 Visa liegen. Bis zum Jahresende soll das nicht ausgeschöpfte Kontingent den Angaben zufolge auf den Folgemonat übertragen werden können, danach nicht mehr.
Mit dem Gesetzentwurf wird geregelt, unter welchen Voraussetzungen ab August Angehörige der Kernfamilie zu subsidiär Schutzberechtigten nach Deutschland nachziehen können. Dabei soll neben der individuellen Lebenssituation des in der Bundesrepublik lebenden Schutzberechtigten auch die Situation seiner im Ausland befindlichen Angehörigen berücksichtigt werden. Die Auslandsvertretungen sollen die auslandsbezogenen und die Ausländerbehörden die inlandsbezogenen Aspekte prüfen. Anhand der von ihnen beigebrachten Informationen trifft das Bundesverwaltungsamt laut Vorlage „eine intern rechtlich verbindliche Entscheidung, welche Familienangehörigen zu den monatlich bis zu 1.000 Nachzugsberechtigten gehören“.
Regierung: Neuregelung ein sehr wichtiges Projekt
Der Parlamentarische Staatsekretär im Bundesministerium für Inneres und Heimat (BMI), Stephan Mayer (CSU), nannte die Neuregelung während der Debatte „ein sehr wichtiges Projekt der Bundesregierung“. Es füge sich in ein großes Regelwerk zur Migration ein, das dem Grundsatz des besseren Ordnens, des Steuerns und auch des Begrenzens der illegalen Migration folge.
Mayer zeigte sich froh, dass es weiterhin keinen Rechtsanspruch auf den Familiennachzug für eingeschränkt schutzbedürftige Personen gebe. Dieser sei „weder völkerrechtlich noch europarechtlich vorgegeben“. Der Staatssekretär sagte weiter, man werde humanitären Notlagen Rechnung tragen, indem besonders Bedürftige die Möglichkeit erhalten, „in das Tausender-Kontingent aufgenommen zu werden“. Mayer äußerte seinen Dank in Richtung der Koalitionsfraktionen, dass durch einen Änderungsantrag festgelegt worden sei, Gefährder vom Familiennachzug auszuschließen.
AfD: Familiennachzug abschaffen
Beatrix von Storch (AfD) kritisierte die Regelung. Erlaubt seien 1.000 Nachzüge pro Monat. „Ab dem 1.001. heißt das dann humanitärer Einzelfall, und davon kann es dann auch eine Million geben“, sagte sie. Aus Sicht der AfD-Abgeordneten müssen der Familiennachzug abgeschafft, die Grenzen kontrolliert und illegale Migranten abgewiesen werden: „Aus Österreich muss niemand fliehen, dort gibt es keine Verfolgung.“
Folge der Abweisung wäre, dass Österreich den Brenner-Pass schließt und Italien die Schlepperboote zurückweist. „Und dann helfen wir vor Ort und unterstützen die UNHCR“, sagte sie. Das sei weder rechts noch populistisch, sondern „der ganz normale gesunde Menschenverstand“. Diesen Menschenverstand gebe es bei immer mehr europäischen Staaten.
SPD: Ein guter Tag für das Asylrecht
Dr. Eva Högl (SPD) sprach von einem guten Tag „für das Asylrecht, für verantwortungsvolle Politik und für ganz viele Familien“. Die Menschen, die vor Krieg, Terror und Verfolgung geflohen seien, suchten in Deutschland Schutz und Sicherheit, „die sie bei uns auch bekommen, wenn sie dazu einen Anlass haben“.
Högl verwahrte sich dagegen, dies zynisch als Asyltourismus zu bezeichnen. Häufig genug würden nur Einzelne der Familie die Flucht über das Mittelmeer oder die Balkanroute schaffen. „Für sie machen wir heute das Gesetz, denn für sie ist es besonders wichtig, dass wir die Familienzusammenführung ermöglichen“, sagte die SPD-Abgeordnete.
FDP vermisst Initiativen der Bundesregierung
Benjamin Strasser (FDP) nannte das Gesetz eine „Lex CSU“. Damit würde nicht ernsthaft an das Schicksal der Menschen angeknüpft werden. „Sagen Sie doch mal dem 1.001., warum der trotz gleichem Anspruch seine Familie nicht nachziehen lassen darf“, sagte er an Staatssekretär Mayer gewandt. Der Gesetzentwurf sei abstrus, was auch die Sachverständigen bei einer Anhörung des Innenausschusses bestätigt hätten.
Seine Partei fordere eine weitere Aussetzung des Familiennachzugs um zwei Jahre sowie „nicht nach Zahlen zu entscheiden, sondern nach klaren Kriterien, die das Parlament als Härtefall festlegt“. Die Frage müsse jedoch dauerhaft in Europa entschieden werden, sagte Strasser. Es fehle jedoch an dahingehenden Initiativen der Bundesregierung.
Linke: Ungleichbehandlung nicht begründbar
Gökay Akbulut (Die Linke) warf der Koalition vor, den Nachzug abzuschalten. „Das ist für die Betroffenen einfach unerträglich“, sagte sie. Sie seien teils seit Jahren zwangsweise von ihren Familien getrennt. Diese Leidenszeit wollten Union und SPD nun verlängern. Nach Auffassung der Linksfraktion, aber auch vieler Fachkundiger verstoße der Gesetzentwurf „gegen das Recht auf Familie, wie es im Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist“.
Die von der Bundesregierung vorgenommene Ungleichbehandlung von Flüchtlingen nach den Genfer Konventionen und subsidiär Schutzberechtigten sei „sachlich und menschlich nicht begründbar“. Beide Gruppen seien in gleicher Weise schutzbedürftig. „Wir fordern: Das Recht auf Familienleben für international Schutzberechtigte muss wieder uneingeschränkt gelten“, sagte die Linken-Abgeordnete.
Grüne: Gesetz schafft Flüchtlinge zweiter Klasse
Auch Luise Amtsberg (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte, mit dem Gesetz würden Flüchtlinge zweite Klasse geschaffen. Subsidiärer Schutz bedeute jedoch „ergänzend, und nicht: weniger wert“. Mit dem Gesetz würden Härtefälle nicht adressiert, sondern produziert.
Den Betroffenen werde ein fundamentales Recht weggenommen. Zudem lebten sie in der Ungewissheit, ob sie Glück haben und Teil des Kontingents werden oder eben nicht. „Für uns ist schleierhaft, wie man so etwas gesetzlich manifestieren kann“, sagte die Grünen-Abgeordnete.
CDU/CSU: Wir können nicht alle grenzenlos aufnehmen
Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) sagte, es werde in der Asyl- und Flüchtlingspolitik nicht gelingen, „alle Probleme dieser Welt auf deutschem Boden zu lösen“. Deshalb würden politische Steuerung und Abwägungsentscheidungen benötigt. „Wir können nicht alle grenzenlos bei uns aufnehmen“, sagte der Unionsabgeordnete.
In Deutschland seien 2017 mehr Asylentscheidungen getroffen worden als im gesamten Rest Europas. „Da müssen wir uns nicht schämen und uns sagen lassen, wir würden nicht an die betroffenen Familien denken“, sagte Middelberg.
Entschließungsantrag der AfD abgelehnt
Mit 564 Nein-Stimmen bei 83 Ja-Stimmen lehnte der Bundestag in namentlicher Abstimmung einen Entschließungsantrag der AfD (19/2767) ab. Die AfD wollte die Bundesregierung auffordern, sofort einen vollständigen und effektiven Schutz der deutschen Grenze zu gewährleisten, was bedeute, umfassende Grenzkontrollen so einzurichten, dass das Ergebnis eine grundsätzliche Zurückweisung von unberechtigtem Grenzübertritt bewirkt.
Dies solle auch in dem Fall gelten, dass sich ein Migrant, der aus einem benachbarten sicheren Nicht-EU-Staat anreist, auf Verfolgung oder auf Schutzgründe beruft.
Entschließungsantrag der FDP abgelehnt
Mit 577 Nein-Stimmen bei 73 Ja-Stimmen und drei Enthaltungen scheiterte auch die FDP mit ihrem Entschließungsantrag. Die Liberalen wollten die Bundesregierung auffordern, bis zu einer Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zum Regelverfahren unter der sogenannten Dublin-III-Verordnung zurückzukehren: Schutzsuchenden, die bereits in einem anderen EU-Staat oder in einem sicheren Nicht-EU-Staat als schutzsuchend registriert sind, sollte die Einreise verweigert werden müssen.
Die Regierung sollte sich ebenso dafür einsetzen, dass die Gewährung internationalen Schutzes als gemeinsame Aufgabe aller EU-Mitgliedstaaten begriffen wird. Für Schutzsuchende müssten legale Wege gefunden werden, etwa, indem die Zusammenarbeit mit den europäischen Anrainerstaaten intensiviert wird und dort in vorgelagerten Anerkennungszentren Asylanträge geprüft und innerhalb der EU verteilt werden.
FDP wollte Nachzug weiter aussetzen
Der abgelehnte Gesetzentwurf der FDP-Fraktion sah vor, den Familiennachzug zu subsidiär schutzberechtigten Flüchtlingen für weitere zwei Jahre auszusetzen, aber zugleich für verschiedene Ausnahmen wieder zuzulassen. Dabei sollten Ausnahmen für solche Fälle vorgesehen werden, „in denen eine weitere Verzögerung der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft aus Gründen nicht gerechtfertigt ist“, die sowohl in der Person des Nachzugsberechtigten als auch in der Person in Deutschland liegen können, zu der der Zuzug erfolgen soll.
Zugleich betont die Fraktion in der Vorlage, dass es sich bei der Aussetzung des Familiennachzugs nur um eine Übergangslösung handeln könne, „bis der Gesetzgeber das Aufenthalts- und Asylrecht in einem Einwanderungsgesetzbuch neu geregelt hat“.
Linke wollte Aussetzung sofort aufheben
Nach dem Willen der Fraktion Die Linke sollte die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten „aus verfassungsrechtlichen, humanitären und integrationspolitischen Gründen“ mit sofortiger Wirkung aufgehoben werden.
Das Recht auf Familienleben für international Schutzberechtigte müsse wieder uneingeschränkt gelten, forderten die Abgeordneten in ihrer abgelehnten Vorlage. (hau/15.06.2018)