In der Generalaussprache zum Bundeshaushalt 2018 am Mittwoch. 4. Juli 2018, haben sich Koalition und Opposition einen knapp vierstündigen, traditionell heftigen Schlagabtausch über politische Grundsatzfragen und den Etatentwurf geliefert. Den Einzelplan 04 des Bundeskanzleramts (19/1700, 19/1701) nahmen die Abgeordneten in der Fassung des Haushaltsausschusses (19/2424, 19/2425, 19/2426) in namentlicher Abstimmung an. Mit Ja stimmten 384 Abgeordnete, 290 Abgeordnete stimmten mit Nein. Einen Änderungsantrag der FDP-Fraktion lehnte der Bundestag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD ab.
AfD: Deutschland ist zum Chaos-Faktor geworden
Dr. Alice Weidel (AfD), die für die größte Oppositionsfraktion die Aussprache eröffnete, forderte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) zum Rücktritt auf. „Sie sind auf ganzer Linie gescheitert“, sagte die AfD-Fraktionsvorsitzende. Deutschland sei unter Merkels Führung vom „Motor und Stabilitätsanker zum Chaos-Faktor geworden“. Das Land werde von seinen Nachbarn inzwischen als „Narrenhaus“ wahrgenommen, sagte Weidel. Die 39-Jährige warf Merkel vor, sich zu weigern, den „Irrweg ihrer Willkommenskultur“ anzuerkennen. Der CSU warf sie mit Blick auf den unionsinternen Kompromiss im Asylstreit vor, die „Herrschaft des Unrechts“ weiterhin mitzutragen.
Die „Dauerkrise“ der aus Weidels Sicht schon gescheiterten Regierung ziehe sich auch durch den Haushalt. Es sei ein Haushalt des „Weiter so“. Den könne sich das Land aber weder finanziell noch gesellschaftlich sowie weder innen- noch außenpolitisch leisten. Der Etat enthalte „auf keine einzige der drängendsten Zukunftsfragen eine Antwort“. Weidel kritisierte, dass die Staatsquote noch immer zu hoch sei. Außerdem hänge die Eurokrise weiterhin wie ein „Damoklesschwert“ über Deutschland. Dem „hoffnungslos überschuldeten“ Griechenland sei eine weitere Kreditlinie eingeräumt worden, kritisierte die AfD-Abgeordnete und prognostizierte, dass demnächst Rufe nach einem weiteren Hilfsprogramm ertönen würden.
Kanzlerin: Drei große Herausforderungen
Bundeskanzlerin Angela Merkel ging in ihrer Rede nicht auf Weidels Anwürfe ein. Die Christdemokratin umriss drei große Herausforderungen, in denen „Richtungsentscheidungen“ getroffen werden müssten: Deutschlands Zukunft sei zum Ersten auf Engste verbunden mit der Zukunft Europas, insbesondere bei der Frage der Migration, zum Zweiten mit der Zukunft der globalen Ordnung und zum Dritten mit dem Umgang mit der Digitalisierung.
Merkel führte aus, dass beim Thema Migration die Interessenlage in Europa sehr unterschiedlich sei. Wesentlich sei aber, dass sich die Staaten darauf geeinigt hätten, dass Migration nicht nur den einzelnen Mitgliedstaat betreffe, sondern als Aufgabe alle angehe. Das sei „eigentlich trivial und eigentlich selbstverständlich“, aber Gegenstand vieler Diskussionen gewesen, da sich die Staaten fragten, was das für sie konkrete bedeute. Die Bundeskanzlerin betonte, es brauche rechtlich sichere, solidarischere, aber auch realistische Antworten auf die Herausforderungen der Migration. Deutschland werde beispielsweise seinen Beitrag leisten, die Grenzschutzagentur Frontex mit mehr Polizei auszustatten.
„Es muss mehr Ordnung in die Migration kommen“
Merkel sagte mit Bezug auf den Unionskompromiss zur sogenannten Sekundärmigration, es müsse mehr Ordnung in alle Arten der Migration kommen. Es könne nicht sein, dass Flüchtlinge bestimmten, wo ein Asylantrag bearbeitet werde. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) werde nun Gespräche führen, um Vereinbarungen mit EU-Ländern zu treffen, diese Migranten zurückzuführen.
Hinsichtlich der Herausforderungen der globalen Ordnung betonte Merkel die Bedeutung multilateraler Abkommen und Organisationen. Angesichts der von den USA schon eingeführten Zölle auf Stahl und Aluminium und drohender Zölle auf Autos lohne sich jede Mühe, diesen Konflikt zu entschärfen. Dazu gehörten aber zwei Seiten, mahnte Merkel.
FDP vermisst Schwerpunkte und Ideen
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner warf der Bundesregierung vor, zahlreiche Themen in den vergangenen Jahren nicht angegangen zu haben. Als Beispiele nannte er den Umgang mit der Dieselaffäre, den Mangel an bezahlbaren Wohnraum, die Energiewende und den Bildungsbereich. Auch das Flüchtlingsthema, das seit 2015 alles überlagere, sei bisher nicht gelöst worden. Er selbst habe nach dem Abbruch der Jamaika-Verhandlungen gesagt, es sei besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren. „Wir hätten uns nicht vorstellen können, dass beides gleichzeitig geht“, sagte Lindner über die Politik der Bundesregierung.
Dem Haushalt fehle es an Schwerpunktsetzungen und Ideen. Trotz steigender Staatseinnahmen steige weder die Investitionsquote noch würden die Bürger entlastet. Europapolitisch komme die Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion nicht voran, außer beim sogenannten „Common Backstop“ (Letztabsicherung). Damit drohe, dass die europäischen Steuerzahler als letzte Haftungsinstanz für die Abwicklung privater Banken herangezogen werden, kritisierte der Liberale.
SPD: Kein schlechter Start in die Regierung
Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles stellte sich gegen die Kritik der Opposition, dass die Bundesregierung nicht arbeite. So habe die Koalition beispielsweise die Parität bei den Krankenversicherungsbeiträgen auf den Weg gebracht. Dies entspreche eine Entlastung von sieben Milliarden Euro. Zudem sei ein Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit durchgesetzt worden. Damit werde vor allem Frauen geholfen.
Auch die Abschaffung des Schulgeldes für die Pflegeausbildung und die Einführung der „Einer-für-alle-Klagen“ hob die Sozialdemokratin hervor. „Eigentlich kein schlechter Start in die Regierung“, meinte Nahles. In den vergangenen Wochen sei der Regierungsmotor aber ins Stocken geraten und einige Gesetzentwürfe seien verzögert worden. Ihre Fraktion erwarte, dass es nun wieder vorangehe.
In Richtung Unionsfraktion stellte die Fraktionschefin klar, dass sich die SPD gegen „geschlossene Lager“ und „nationale Alleingänge“ stelle. Es brauche keine „Masterpläne“, „wir brauchen gutes Handwerk“, sagte die Sozialdemokratin. Basis dafür sei der Koalitionsvertrag. Darüber hinausgehende Vorschläge müssten zunächst abgestimmt werden. „Humanität und Realismus gehen zusammen“, betonte Nahles.
Linke: Der Demokratie schweren Schaden zugefügt
Dr. Dietmar Bartsch (Die Linke) warf insbesondere der Union vor, mit ihrem Streit der Demokratie „schweren Schaden“ zugefügt zu haben. Die Auseinandersetzungen seien „würdelos“ und „unverantwortlich“ gewesen, „wie ich das bei Konservativen nicht für möglich gehalten habe“, sagte der 60-Jährige. In der Diskussion um Zurückweisung an der Grenze gehe es nur um Macht und Rechtbehalten, die Humanität bleibe auf der Strecke.
Der CSU unterstellte Bartsch, sich beinah stündlich „mit mehr oder weniger menschenverachtender Rhetorik“ zu radikalisieren. Mit Blick auf den Umgang mit Flüchtlingen wollten Seehofer und Merkel allerdings dasselbe, meinte der Linken-Fraktionschef. Die auf dem „Gipfel der Inhumanität“ vereinbarten Maßnahmen seien keine Lösungen, sondern „menschenverachtend“, unrechtlich und teils nicht durchsetzbar. Deutschland trage zudem durch Waffenexporte dazu bei, dass Menschen flüchteten, sagte der Linken-Fraktionsvorsitzende.
Bartsch warf der Bundesregierung zudem vor, die Verantwortung für die Spaltung in Europa sowie in Deutschland zu tragen. So habe sich in Deutschland einerseits die Zahl der Millionäre verdoppelt, andererseits die Zahl der in Armut lebenden Kinder. Diese „radikale Umverteilung von unten nach oben“ sei einer der Gründe für die sozial, kulturell und mental tiefe Spaltung im Land. Die „rüde Sparpolitik“ zerstöre das Gemeinwesen, kritisierte Bartsch.
Grüne: Unverantwortliches Schauerspiel
Dr. Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) griff die CSU ebenfalls direkt an. Sie habe ein „Schauerspiel“ uraufgeführt, das „beispiellos in seiner Unverantwortlichkeit“ gewesen sei und in Deutschland und Europa massive Verunsicherung ausgelöst habe. Die CSU hofiere zudem Viktor Orban und habe in Bayern ein Polizeiaufgabengesetz verabschiedet, das einem „Überwachungswahn“ entsprungen sei. Das sei autoritär und habe mit Freiheit nichts zu tun, sagte Hofreiter. In Bezug auf die sogenannten „Transitzentren“, die im Mittelpunkt des Unionskompromisses stehen, sprach Hofreiter von „Inhaftierungslagern“ und einem „Dammbruch der Unmenschlichkeit“.
Der Bundesregierung attestierte Hofreiter einen „völlig verantwortungslosen Umgang mit dem Regierungsauftrag“. Die globalen Herausforderungen seien groß, und die Politik müsste deshalb umso stärker zeigen, dass „sie diese Probleme lösen will und kann“. Die Bundesregierung zeige aber, dass sie die Probleme nicht lösen könne und teils gar nicht lösen wolle. Selbst in Feldern, in denen die Koalition handeln wolle, werde nicht entsprechend umgesetzt, kritisierte Hofreiter etwa mit Verweis auf den Breitbandausbau. „Wenn Sie es nicht können, dann lassen Sie es doch einfach sein und lassen Sie andere ran“, schloss der 48-Jährige.
CDU/CSU weist Kritik an Transitzentren zurück
Volker Kauder (CDU/CSU) wies den Vorwurf der Handlungsunfähigkeit entschieden zurück. Diese zeige sich schon darin, dass nun der Haushalt zu Verabschiedung anstehe. Der Etat biete die „richtigen Antworten auf die Herausforderungen der Zeit“. Der Unions-Fraktionsvorsitzende verwies etwa auf die Vorhaben der Koalition im Wohnungs- und Baubereich wie beispielsweise das Baukindergeld und die Förderung des sozialen Wohnungsbaus.
Kauder wies Kritik an den „Transitzentren“ zurück und verwahrte sich dagegen, zu behaupten, es würden „Lager mit Stacheldraht“ aufgebaut. Dies sei eine „üble Verleumdung“. Die vergangenen Wochen seien für die Union „nicht einfach“ gewesen, man habe aber gezeigt, „dass wir auch hier zusammenbleiben und zu Lösungen kommen“. Die Kritik von Grünen und Linken an der Debatte wies der Christdemokrat mit Verweis auf deren innerparteilichen Diskussionen zurück. Ein jeder solle vor seiner eigenen Tür kehren. „Wir brauchen da keine Belehrungen“, sagte Kauder.
Etatansatz um 118 Millionen Euro aufgestockt
Der aus zwölf Kapiteln bestehende Einzelplan sieht in diesem Jahr nach Abschluss der Haushaltsberatungen Ausgaben von 3,04 Milliarden Euro vor (19/2424, 19/2425, 19/2426). Der Regierungsentwurf hatte noch 2,92 Milliarden Euro vorgesehen), 122,41 Millionen Euro mehr als 2017 (2,8 Milliarden Euro).
Dem stehen wie 2017 Einnahmen von 2,89 Millionen Euro entgegen. Der Haushaltsausschuss hatte die Ansätze um insgesamt 118 Millionen Euro erhöht, darunter um 29 Millionen Euro bei den Zuschüssen für investive Kulturmaßnahmen inländischer Einrichtungen.
Änderungsantrag der FDP abgelehnt
Der Bundestag lehnte mit Koalitionsmehrheit bei Enthaltung der Grünen einen Änderungsantrag der FDP (19/3176) ab, die im sogenannten Sofortprogramm Personal vorgesehenen 209 Planstellen und Stellen zu sperren bis das jeweilige Bundesministerium eine Personalbedarfsanalyse durchgeführt hat, der Personalmehrbedarf unabweisbar ist und die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien und die Grundsätze der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder zur Verwaltungsorganisation beachtet sind.
Von der Sperre ausgenommen werden sollten Planstellen und Stellen, die einem unabweisbaren Bedarf dienen und die im Einvernehmen mit dem Bundesrechnungshof begründet sind. (scr/nal/04.07.2018)