Der Bundestag hat am Freitag, 15. März 2019, in namentlicher Abstimmung mit 345 Ja-Stimmen ohne Gegenstimmen bei 240 Enthaltungen für die Einführung eines inklusiven Wahlrechts gestimmt. Damit wurde ein Antrag der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD (19/8261) angenommen. Der Aussprache lagen darüberhinaus ein Gesetzentwurf der FDP (19/3171) sowie ein gemeinsam verfasster Gesetzentwurf von Linken und Grünen (19/4568) zugrunde. Die FDP-Vorlage wurde abgelehnt mit 345 Stimmen gegen 170 Stimmen bei 68 Enthaltungen. Der Entwurf von Linken und Grünen fand ebenfalls keine Mehrheit gegen die Stimmen von 347 Abgeordneten, bei 170 Befürwortern und 64 Enthaltungen. Der Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat (19/8177) zugrunde.
Antrag von CDU/CSU und SPD
Union und SPD stellen in ihrem Antrag fest, dass durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Januar 2019 Änderungen am Bundeswahlgesetz und am Europawahlgesetz notwendig geworden sind. Die dort verankerten Wahlrechtsausschlüsse müssten aufgehoben werden. Der Bundestag werde zeitnah eine Änderung des Wahlrechts verabschieden. Beschlossen werden solle eine Regelung mit den Eckpunkten inklusives Wahlrecht, Wahlrechtsassistenz, Konturierung der Wahlfälschung und Inkrafttreten.
Die in den Paragrafen 13 Nr. 2 und 3 des Bundeswahlgesetzes und 6a Absatz 1 Nr. 2 und Nr. 3 des Europawahlgesetzes bestehenden Wahlrechtsausschlüsse sollen aufgehoben werden (inklusives Wahlrecht). Nach den Paragrafen 14 Absatz 5 des Bundeswahlgesetzes und 6 Absatz 4a Satz 3 des Europawahlgesetzes sei eine Hilfeleistung unzulässig, die unter missbräuchlicher Einflussnahme erfolgt, die selbstbestimmte Willensbildung oder Entscheidung des Wahlberechtigten ersetzt oder verändert oder wenn ein Interessenskonflikt der Hilfsperson besteht (Wahlrechtsassistenz).
Kein Inkrafttreten vor der Europawahl vorgesehen
Die Strafvorschrift des Paragrafen 107a des Strafgesetzbuches solle dahingehend konkretisiert werden, dass auch derjenige unbefugt wählt, der im Rahmen zulässiger Assistenz entgegen der Wahlentscheidung des Wahlberechtigten oder ohne eine geäußerte Wahlentscheidung des Wahlberechtigten eine Stimme abgibt (Konturierung der Wahlfälschung). Aus praktischen Gründen sei eine Umsetzung im Hinblick auf die Europawahl am 26. Mai 2019 nicht mehr möglich. Es sei aber beabsichtigt, die Änderungen bereits zum 1. Juli 2019 in Kraft treten zu lassen (Inkrafttreten), heißt es in dem Antrag.
FDP: Menschen mit Behinderung nicht ausschließen
Die Teilnahme an Wahlen sei für viele Menschen mit Behinderungen „ein wichtiges Element ihrer Selbstbestimmtheit und ihrer Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben“, schreibt die FDP-Fraktion. Zwar knüpften die Wahlrechtsausschlüsse im Paragrafen 13 des Bundeswahlgesetzes nicht an das Merkmal einer Behinderung an, doch würden in der Folge überwiegend Behinderte von Wahlen zum Bundestag und zum Europaparlament ausgeschlossen.
Dem Gesetzentwurf zufolge sollen zudem Menschen, die aufgrund einer im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Straftat in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, nicht mehr vom Wahlrecht ausgeschlossen werden. Diese Gruppe sei derzeit gegenüber Menschen mit Behinderungen benachteiligt, die in geschlossenen Einrichtungen leben und ihr Wahlrecht ausüben können, heißt es in der Begründung.
Grüne und Linke: Wahlrecht steht jedem Bürger zu
Grüne und Linke verweisen in ihrem gemeinsamen Gesetzentwurf darauf, dass das aktive und passive Wahlrecht grundsätzlich jedem Bürger zusteht. Nach dem Bundes- und dem Europawahlgesetz seien allerdings „all jene Menschen pauschal vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen, für die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten ein Betreuer“ bestellt ist. Ebenfalls ausgeschlossen seien Menschen, die eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben und aufgrund dessen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind.
Eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen aus dem Jahr 2016 habe gezeigt, dass auf diese Weise knapp 85.000 Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen werden, heißt es in der Vorlage weiter. Nach „geltenden menschenrechtlichen Standards“ seien diese Ausschlusstatbestände nicht zu rechtfertigen, argumentieren die beiden Fraktionen. Ihr Gesetzentwurf sieht vor, diese Ausschlusstatbestände im Bundes- und im Europawahlgesetz ersatzlos zu streichen. Sie stünden im Widerspruch zu den Zielen der Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Behinderten, die seit 2009 in Deutschland geltendes Recht sei.
Karlsruhe hält aktuelle Regelung für verfassungswidrig
Unterstützt werden die Bemühungen der Fraktionen durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Januar 2019, das die Regelungen der Wahlrechtsausschlüsse für oben genannten Personenkreis im Bundeswahlgesetz für verfassungswidrig erklärt hat.
Menschen, die auf eine gerichtlich bestellte Betreuung in allen Angelegenheiten angewiesen sind, sowie wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Straftäter dürften nicht pauschal von Wahlen ausgeschlossen werden, hatten die Karlsruher Richter geurteilt. (hau/15.03.2019)