Im Januar soll es schon in Kraft treten, deshalb war die letzte Sitzungswoche des Bundstages vor Weihnachten auch die letzte Gelegenheit, das Arbeitsschutzkontrollgesetz der Bundesregierung (19/21978, 19/22772) auf den Weg zu bringen. In einer namentlichen Abstimmung votierten am Mittwoch, 16. Dezember 2020, 473 Abgeordnete für das Gesetz in der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales geänderten Fassung (19/25141), 152 stimmten dagegen und fünf Abgeordnete enthielten sich. Erforderlich waren 355 Stimmen: nach Artikel 87 Absatz 3 des Grundgesetzes die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages.
Einen Entschließungsantrag der FDP-Fraktion (19/25275) zu dem Gesetzentwurf lehnte der Bundestag gegen das Votum der FDP bei Enthaltung der AfD ab. Darin hatte die Fraktion gefordert, weiterhin Arbeitnehmerüberlassung (Leiharbeit) in der Fleischverarbeitungsindustrie zuzulassen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Bundesregierung erhofft sich von dem Gesetz, die seit Jahren skandalträchtigen Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachthöfen — durch den massenhaften Einsatz von schlechtbezahlten Werkvertragsbeschäftigten vor allem aus Osteuropa – zu beenden. Neben Verbesserungen der Kontrollen in den Betrieben und der Einführung einer Arbeitszeiterfassung geht es darin im Kern um das Verbot von Werkverträgen im Kernbereich der Fleischindustrie, also bei Schlachtung, Zerlegung und Fleischverarbeitung ab 1. Januar 2021. Ab 1. April kommenden Jahres soll dieses Verbot dann auch auf die Leiharbeit ausgeweitet werden.
Im Zuge der parlamentarischen Beratungen gab es noch Änderungen am Ursprungsentwurf: So wurde unter anderem eine tarifliche Öffnungsklausel für die Leiharbeit eingeführt. Für die Dauer von drei Jahren ist demnach unter bestimmten Bedingungen Leiharbeit möglich: Zum einen muss der Betrieb tarifgebunden sein, es muss für Leiharbeiter vom ersten Tag der gleiche Lohn wie für die Stammbelegschaft gelten, die maximale Verleihdauer darf vier Monate und der Anteil der Leiharbeitskräfte darf nicht mehr als acht Prozent vom Jahresvolumen der Beschäftigten betragen.
Zudem lag die Gegenäußerung der Bundesregierung (19/22772) zur Stellungnahme des Bundesrates vor. Darin lehnt die Regierung den Vorschlag der Länderkammer ab, den Anwendungsbereich des Arbeitsschutzkontrollgesetzes bezüglich der Mitarbeiterzahl zu ändern.
Minister: Wir räumen auf
Bundesarbeits- und sozialminister Hubertus Heil (SPD) begann seine Rede mit einer grundsätzlichen Anmerkung, nämlich dem Hinweis auf Artikel 1 des Grundgesetzes und dem Schutz der Menschenwürde. „Dazu gehört auch das Recht auf Leben und auf Gesundheit. Und deswegen hat der Gesundheitsschutz in dieser Zeit oberste Priorität.“
Jahrelang habe der Arbeitsschutz ein Nischendasein geführt, auch hätten schon viele seiner Amtsvorgänger versucht, mit den miesen Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen aufzuräumen. Doch die Arbeitgeber hätten immer wieder Schlupflöcher gefunden, verschärfte Regelungen zu umgehen. „Damit ist jetzt Schluss! Wir räumen grundsätzlich auf in der Fleischindustrie“, bekräftigte Hubertus Heil.
AfD: Die Arbeitsplätze wandern nun ins Ausland
Uwe Witt (AfD) kritisierte: „Mit Verboten will die Bundesregierung die selbstgemachte Misere vom Tisch wischen.“ Aber Verbote von Werkverträgen und Leiharbeit, das Verbot von unternehmerischen Verbünden, „all das wird das unternehmerische Aus für eine Reihe von mittelständischen Betrieben zur Folge haben“, warnte er.
Bei gewissen Produktionsabläufen gebe es nun einmal saisonale Schwankungen, wie in der Fleischindustrie während der Grillsaison. „Diese Schwankungen müssen durch den begrenzten Einsatz von Werkverträgen und Leiharbeit abgefedert werden“, sagte Witt. Die Produktion werde sich nun in größerem Umfang ins Ausland verlagern, prognostizierte er.
CDU/CSU: Ein guter Tag für faire Arbeitsbedingungen
Hermann Gröhe (CDU/CSU) bezeichnete den 16. Dezember 2020 als „guten Tag für faire Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie“. Denn das Gesetz räume auf in einem Teil des Arbeitsmarktes, der seit Jahren durch skandalöse Zustände auf sich aufmerksam gemacht habe. Natürlich hätten Werkverträge in einer arbeitsteiligen Wirtschaft ihren Platz, so Gröhe, „aber sie wurden hier gezielt missbraucht, um unternehmerische Verantwortung zu verweigern“.
Auch andere Umgehungsstrategien gelte es zu verhindern, zum Beispiel durch das installierte Inhaberprinzip, das keine künstliche Zerlegung einheitlich vorgegebener Produktionsabläufe mehr ermögliche.
FDP: Zu wenig Kontrollen, zu viel Verbote bei der Leiharbeit
Carl-Julius Cronenberg (FDP) unterstützte zwar das Ziel, für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu sorgen. Die Umsetzung durch das Gesetz sei jedoch enttäuschend: „Zu wenig bei den Kontrollen, zu viel Verbote bei der Leiharbeit.“
Natürlich gebe es im Bereich der Werkverträge organisierte Verantwortungslosigkeit. Aber zur Wahrheit gehöre auch: „Der Staat hat jahrelang weggeschaut und ist damit Teil dieser Verantwortungslosigkeit. Wir haben zuallererst keinen Mangel an Regulierung, sondern einen Mangel an Rechtsdurchsetzung“, kritisierte Cronenberg.
Linke: Die Grillsaison wird nicht von Leiharbeit gerettet
Jutta Krellmann (Die Linke) betonte, sie sei froh, dass der Bundestag dieses Gesetz beschließe und dadurch „dem ganzen Schmierentheater ein Ende setzt“. Deutliche Kritik übte sie jedoch an den Öffnungsklauseln bei der Leiharbeit. „Die Fleischindustrie hat erreicht, was sie wollte. Unverschämt ist das“, ärgerte sie sich.
Denn nun liege der Ball bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. „Sie muss nun hinkriegen, was die Bundesregierung nicht geschafft hat“, sagte Krellmann. Es sei Unsinn, dass nur durch den Einsatz von Leiharbeit die Grillsaison gerettet werden könne.
Grüne: Die Union ist vor der Fleischlobby eingeknickt
Beate Müller-Gemmeke (Bündnis 90/Die Grünen) warf der Unionsfraktion vor, das Gesetz seit der ersten Lesung drei Monate blockiert zu haben, „weil sie wieder einmal vor der Fleischlobby in die Knie gegangen ist“. Leiharbeit dürfe es nach den Änderungen weiterhin geben, auch wenn die Voraussetzungen anspruchsvoll seien.
„So entstehen wieder Schlupflöcher und Abgrenzungsprobleme. Das wird die Kontrollen wieder erschweren“, warnte die Grünen-Politikerin. Nun gelte es, den Missbrauch von Werkverträgen auch in anderen Branchen wie der Landwirtschaft in den Blick zu nehmen, forderte sie.
SPD: Wir haben Kurs gehalten
Katja Mast (SPD) setzte dieser Kritik eine ganz andere Interpretation entgegen: „Wir haben Kurs gehalten. Die Lobbyisten der Fleischindustrie konnten uns nicht von unserem Kurs abhalten.“ Das Gesetz beende nun die beschämenden Zustände in Schlachthöfen und Sammelunterkünften und trage dazu bei, den Wert und die Würde der Arbeit dort wieder herzustellen.
Deutliche Kritik übte sie an der schwarz-grünen Landesregierung in Baden-Württemberg, die das Projekt in keiner Weise unterstützt habe. Dies zeige: „Das Gesetz gibt es nur, weil die SPD Teil der Bundesregierung ist“, sagte Mast.
Antrag der AfD abgelehnt
Mit den Stimmen der übrigen Fraktionen lehnte der Bundestag einen Antrag der AfD-Fraktion (19/22923) ab, wonach der Einsatz von Fremdpersonal durch Werkverträge und Leiharbeit auf 15 Prozent der im jeweiligen Betrieb Beschäftigten begrenzt werden sollte. Für Leiharbeiter sollte das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ bereits ab dem ersten Arbeitstag gelten.
Außerdem forderte die Fraktion eine bessere Zusammenarbeit der zuständigen Behörden hinsichtlich Arbeitsschutz und sonstigen Arbeitsbedingungen sowie mehr Personal bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit.
Antrag der Linken abgelehnt
Die Fraktion Die Linke verlangte in einem Antrag (19/22488), das Arbeitsschutzkontrollgesetz nachzubessern. Notwendige Maßnahmen wie die Eindämmung des Mietwuchers bei Unterkünften für die meist osteuropäischen Arbeitskräfte würden überhaupt nicht angegangen, kritisierten die Abgeordneten. Die Linke stimmte für ihren Antrag, die Grünen enthielten sich, die übrigen Fraktionen lehnten ihn ab.
Die Fraktion forderte unter anderem eine Erhöhung der Mindestbesichtigungsquote von Betrieben von fünf auf zehn Prozent, eine bundeseinheitliche Definition des Gefährdungspotenzials einzelner Branchen und die Möglichkeit der Stilllegung eines Betriebs bei „eklatanten Verstößen“ gegen den Arbeitsschutz. Nach den Vorstellungen der Linken sollten auch nicht Betriebe mit bis zu 49 Beschäftigten, sondern Handwerksbetriebe mit bis zu zehn Beschäftigten von dem Verbot der Werkverträge ausgenommen werden. Die Leiharbeit sollte gleichzeitig mit den Werkverträgen ab 1. Januar 2021 verboten werden und nicht erst ab 1. April 2021. Die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland sollte transparenter gestaltet werden, verlangte die Fraktion
Antrag der Grünen abgelehnt
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen drang darauf, „den Gesundheitsschutz jetzt in der Corona-Pandemie für die Beschäftigten in der Fleischbranche und für die Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft unverzüglich sicherzustellen“. Dazu sollten nach ihrem Willen die örtlichen Gesundheitsämter vor der Einreise die Hygienepläne der Arbeitgeber überprüfen und den Gesundheitscheck an den Flughäfen durchführen, wie aus einem Antrag der Fraktion (19/19551) hervorgeht.
Auch fordert sie darin, dass „das Infektionsrisiko am Arbeitsplatz und auf Wegen von und zum Arbeitsplatz nach den Standards der Richtlinien des Robert-Koch-Instituts weitestgehend minimiert wird und die Beschäftigten regelmäßig auf Covid-19 getestet werden“. Ferner soll es der Vorlage zufolge unter anderem in arbeitgeberseitig gestellten beziehungsweise vermittelten Unterkünften keine Mehrfachbelegung von Zimmern geben dürfen, „außer es handelt sich dabei um Familien und Paare“. Die Linke stimmte mit den Grünen für diesen Antrag, die übrigen Fraktionen lehnten ihn ab. (che/sto/sas/16.12.2020)