Der Bundestag hat am Dienstag, 7. September 2021, nach einstündiger Aussprache einstimmig dem von den Koalitionsfraktionen initiierten 30-Milliarden-Euro-Aufbaufonds für die vom Juli-Hochwasser betroffenen Gebiete zugestimmt. Der Aufbaufonds ist Teil des Gesetzentwurfs „zur Errichtung eines Sondervermögens ‚Aufbauhilfe 2021' und zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 sowie zur Änderung weiterer Gesetze“ (19/32039). Strittig abgestimmt wurden hingegen vier Artikel des Gesetzentwurfs, die das Covid-19-Pandemiegeschehen zum Gegenstand hatten. Bei der Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf in der vom Haushaltsausschuss geänderten Fassung (19/32275) stimmten fünf Fraktionen zu, die AfD enthielt sich mit Ausnahme von zwei Abgeordneten, die dagegen stimmten.
Gesetzesteile in zweiter Lesung getrennt abgestimmt
In namentlicher Abstimmung lehnten in zweiter Lesung 280 Abgeordnete die Artikel des Gesetzentwurfs mit den Überschriften „Änderung des Infektionsschutzgesetzes“ und „Einschränkung von Grundrechten“ ab, 344 stimmten ihnen zu. Es gab eine Enthaltung.
Den Artikeln 15 und 16 des Gesetzentwurfs mit den Überschriften „Änderung des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie“ sowie „Änderung des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ stimmten alle Fraktionen mit Ausnahme der AfD zu, die dagegen votierte.
Zuvor waren in zweiter Lesung zwei Änderungsanträge der FDP-Fraktion (19/32309, 19/32310) zu dem Gesetzentwurf abgelehnt worden, in denen unter anderem ein beschleunigter Wiederaufbau von Betriebsanlagen der Bahn sowie eine Änderung der Abgabenordung zur Anpassung der Zinsen bei Steuernachforderungen gefordert worden war. Beim ersten Änderungsantrag hatten die Koalitionsfraktionen dagegen gestimmt, während sich AfD, Linksfraktion und Grüne enthielten. Den zweiten Änderungsantrag lehnten die Koalition und die AfD ab, während sich Linksfraktion und Grüne enthielten.
Keine Mehrheit fanden in dritter Beratung Entschließungsanträge der FDP-Fraktion (19/32311) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/32312). Darin hatten die Liberalen eine staatliche Garantie für den Präsenzunterricht an Schulen und die Grünen eine Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) gefordert. Den FDP-Entschließungsantrag lehnten die Koalitionsfraktionen und die AfD ab, während sich Linke und Grüne enthielten. Den Entschließungsantrag der Grünen lehnten die Koalitionsfraktionen, die AfD und die FDP ab, während sich die Linksfraktion enthielt.
Sondervermögen zum Wiederaufbau beschlossen
Um die Schäden durch das Juli-Hochwasser insbesondere in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zu bewältigen, wird ein Sondervermögen „Aufbauhilfe 2021“ errichtet werden. Außerdem wird die Insolvenzantragspflicht in den betroffenen Gebieten ausgesetzt. Der Aufbaufonds wird als Sondervermögen des Bundes errichtet und durch den Bund mit bis zu 30 Milliarden Euro ausgestattet. An der Rückzahlung beteiligen sich die Länder dann hälftig, indem sie bis zum Jahr 2050 Anteile am Umsatzsteueraufkommen an den Bund abtreten. Das Geld soll geschädigten Privathaushalten, Unternehmen und anderen Einrichtungen zugute kommen sowie zur Wiederherstellung der Infrastruktur eingesetzt werden. Der Wiederaufbau von Infrastruktur des Bundes, wie Bundesstraßen, wird gesondert durch den Bund finanziert.
Die Insolvenzantragspflicht wird befristet ausgesetzt, sofern die Zahlungsunfähigkeit auf den Auswirkungen der Starkregenfälle oder des Hochwassers beruht und begründete Aussicht auf Sanierung besteht. Darüber hinaus wurden Änderungen unter anderem beim Pfändungsschutz beschlossen, um Betroffenen mit Finanzengpässen Luft zu verschaffen.
Ein weiterer Bestandteil des Gesetzentwurfs sind Regelungen für eine bessere Warnung der Bevölkerung bei künftigen ähnlichen Ereignissen. So werden Mobilfunkbetreiber zur Einrichtung eines CB-Systems verpflichtet, mit dem an alle in einer Funkzelle eingebuchten Mobiltelefone eine Mitteilung verschickt werden kann.
Änderungen im Infektionsschutzgesetz zugestimmt
Der angenommene Gesetzentwurf, mit dem auch das Infektionsschutzgesetz mit Blick auf die Corona-Pandemie geändert wurde, beinhaltet eine Verpflichtung, bei der Einreise über einen Test-, Impf- oder Genesungsnachweis zu verfügen. Zudem wird die sogenannte Hospitalisierung, also die Zahl der Corona-Patienten in Krankenhäusern, als neuer, wesentlicher Maßstab für die Corona-Schutzvorkehrungen benannt. Hinzu kommen als weitere Indikatoren die unter anderem nach Alter differenzierte Zahl der Neuinfektionen, die verfügbaren intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten und die Zahl der gegen Covid-19 geimpften Personen.
Ferner ist in bestimmten Einrichtungen eine Auskunftspflicht der Mitarbeiter zu ihrem Impf- oder Serostatus (Genesung) vorgesehen, darunter nach Angaben der Bundesregierung in Kitas, Schulen und Pflegeheimen. Der Status soll über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder die Art und Weise der Beschäftigung entscheiden können. Die Regelung gilt nur bei einer vom Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite.
AfD rügt Verknüpfung von Fluthilfe und Infektionsschutz
Während der Debatte kritisierten die Oppositionsfraktionen die von Unions- und SPD-Fraktion vorgenommene Verknüpfung der Fluthilfe mit den Änderungen des Infektionsschutzgesetzes. Es sei unlauter, aber bedauerlicherweise schon parlamentarische Übung geworden, auf diese Art und Weise die Opposition zu zwingen, „Dinge anzunehmen, die sie gar nicht annehmen will“, sagte Detlev Spangenberg (AfD). In diesem Fall gehe es um das zustimmungsfähige Fluthilfe-Gesetz, in das „schikanöse, grundrechtsfeindliche Änderungen des Infektionsschutzgesetzes eingefügt werden sollen“. Diese lehne seine Fraktion ab.
Sein Fraktionskollege Rüdiger Lucassen sprach mit Blick auf die Flut von einer Jahrhundertkatastrophe. Deren Opfer hätten Anspruch auf die Beantwortung der Frage nach der Verantwortung, sagte der AfD-Abgeordnete. In Nordrhein-Westfalen habe die Flut ein Staatsversagen offengelegt. Warnungen seien ignoriert, Sirenen nicht aktiviert worden. Zu kritisieren sei aber auch der „okkulte Reflex der Politik“, dieses Versagen auf den Klimawandel zu schieben, befand Lucassen.
FDP lehnt Änderungen im Infektionsschutzgesetz ab
Seine Fraktion, so machte Wolfgang Kubicki (FDP) deutlich, stimme den Änderungen des Infektionsschutzgesetzes nicht zu. Die Bundesregierung lasse völlig im Dunkeln, wann und unter welchen Bedingungen der bestehende Ausnahmezustand beendet und die Normalität wiederhergestellt werden wird. „Nach unserer Auffassung lassen sich weitere massive Grundrechtseinschränkungen nicht mehr begründen“, sagte er.
Zustimmung zum Fluthilfe-Fonds gab es von Markus Herbrand (FDP). Allerdings sei viel Zeit vertan worden. Richtig wäre es aus seiner Sicht gewesen, schon früher eine Sondersitzung des Bundestages einzuberufen, wie von seiner Fraktion gefordert. „Jeder Tag früher, an dem Gewissheit darüber herrscht, wie finanziell entschädigt wird, entlastet die Betroffenen von diesbezüglichen Sorgen“, sagte er.
Linke: In Krisen sorgfältig mit Datenschutz umgehen
„Völlig überstürzt“ wolle die Bundesregierung mit dem Auskunftsanspruch der Arbeitgeber über den Impfstatus die Verhältnisse zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber über den Haufen werfen, kritisierte Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke). Arbeitsrecht und Datenschutz seien aber nicht nur für schönes Wetter. Gerade in Krisen müsse damit sorgfältig umgegangen werden. „Alles andere zerstört Vertrauen“, sagte sie. Ihre Fraktion mache dabei nicht mit. Damit es beim Impfen vorangehe, brauche es eine niedrigschwelligen Zugang, Vertrauen und Anreize. Um eine Pandemie zu bekämpfen brauche es aber auch weltweite Solidarität, sagte die Linken-Abgeordnete und sprach sich für die Freigabe der Impfstoffpatente aus.
Unterstützung gebe es von ihrer Fraktion für die Aufbauhilfen, betonte Lötzsch. Ihr Dank gehe an alle Helfer und Spender für die Region. Es habe sich gezeigt, dass es in Deutschland viel Solidarität gibt.
Grüne fordern besseren Katastrophenschutz
Sven-Christian Kindler (Bündnis 90/Die Grünen) nannte den Aufbaufonds richtig und wichtig. Es gelte aber auch, aus der Katastrophe zu lernen, fügte er hinzu. „Wir müssen einen verbesserten Katastrophenschutz aufbauen“, so Kindler. Extreme Wetterereignisse, wie sie in diesem Jahr vermehrt zu beobachten gewesen seien, hätten aber auch viel mit der Klimakrise zu tun, sagte der Grünen-Abgeordnete. „Die nächste Bundesregierung muss endlich ernst machen mit Klimaschutz“, forderte er.
Union und SPD hätten in den letzten 16 Jahren die erneuerbaren Energien rasiert, fossile Subventionen „mit Milliarden gepampert“ und neue Autobahnen gebaut, aber nichts für den Klimaschutz getan. Die Kanzlerkandidaten von Union und SPD, Armin Laschet und Olaf Scholz, wollten aber auch in Zukunft die Klimakrise befeuern, sagte Kindler.
CDU/CSU verteidigt Auskunftsrecht des Arbeitgebers
Für die Unionsfraktion verteidigte Stephan Stracke (CDU/CSU) das geplante „Auskunftsrecht des Arbeitgebers“. Schon seit längerer Zeit gebe es im Infektionsschutzgesetz für den Gesundheits- und Pflegebereich eine Regelung, derartiges abzufragen. Das sei für die Arbeitsorganisation wichtig und für den Schutz der Menschen entscheidend, sagte er.
Sein Fraktionskollege Andreas Jung sprach sich für eine möglichst unbürokratische Auszahlung der Fluthilfen aus. Gleichzeitig gelte es zu schauen, „wo wir besser werden können“, sagte der Unionsabgeordnete. Es brauche grenzüberschreitende Risikoanalysen und Vorsorgen – ebenso wie mehr Tempo beim Klimaschutz. Dazu seien in dieser Legislaturperiode die gesetzlich verbindlichen Klimazielen festgeschrieben worden, betonte Jung.
SPD: Inzidenz bleibt ein wichtiger Frühindikator
Ausgewogen, notwendig und richtig sei es, künftig bei den Corona-Schutzmaßnahmen stärker auf die Hospitalisierungsrate abzustellen, sagte Sabine Dittmar (SPD). Gleichwohl bleibe die Inzidenz ein wichtiger Frühindikator. Um sicher durch Herbst und Winter zu kommen, müssten sich aber noch mehr Menschen impfen lassen, forderte sie.
In der nächsten Legislaturperiode gelte es ganz genau zu prüfen, welche Konsequenzen aus der Hochwasser-Katastrophe zu ziehen sind, sagte Dr. Johannes Fechner (SPD). Klar sei, dass die zur Verfügung gestellten 30 Milliarden Euro für die Betroffenen eine sehr wichtige Hilfe seien. Auch rechtspolitisch werde einiges getan, um Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu unterstützen. „Wer sein Hab und Gut verloren hat, soll sich nicht auch noch Sorgen um seinen Arbeitsplatz oder seinen Betrieb machen müssen“, sagte der SPD-Abgeordnete. Daher sei bis August 2022 die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt worden.
Anträge der AfD abgelehnt
Die AfD forderte in einem ersten Antrag „Unterstützung für die Betroffenen der Hochwasserkatastrophe“ (19/32089). Dazu lag eine Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses vor (19/32275). Die Bundesregierung sollte demnach sicherstellen, dass aus dem EU-Solidaritätsfonds ein „signifikanter Beitrag“ zum Wiederaufbau geleistet wird. Auch müsse dafür gesorgt werden, dass die Mittel des Sondervermögens „allein für den Wiederaufbau in den deutschen Flutgebieten“ verwendet werden „und nicht etwa für den sogenannten Klimaschutz zweckentfremdet werden“, hieß es. Nicht genutzte Mittel sollten in den Bundeshaushalt zurückfließen.
Ein zweiter Antrag forderte mit Blick auf die Hilfe für Flutopfer Änderungen im Baurecht (19/32088). Dazu lag eine Beschlussempfehlung des Bauausschusses (19/32258) vor. So sollten die baurechtlichen Sonderregelungen für die erleichterte Errichtung baulicher Anlagen, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbewerbern dienen, auch für den Bau von Unterkünften für die Flutopfer angewendet werden können, hieß es.
Ein dritter Antrag war mit „Bevölkerungsschutz statt Klimaschutz“ (19/32084) überschrieben. Dazu hatte der Innenausschuss eine Beschlussempfehlung (19/32273) vorgelegt. Darin forderten die Abgeordneten den Aufbau eines Geoinformationssystems für Extremwetterereignisse beziehungsweise Naturkatastrophen wie Hochwasser, Sturmfluten, Stürme, Hang- und Erdrutsche, Flächenfeuer oder Trockenheit. Alle drei Anträge wurden mit den Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt.
Initiativen der FDP abgelehnt
Ein Antrag der FDP mit dem Titel „10 Punkte für Klimaresilienz und Katastrophenmanagement“ (19/32080) war federführend im Innenausschuss beraten worden (19/32273). Zu den zehn Punkten zählen neben der Sicherstellung einer „schnellen“ finanziellen Aufbauhilfe unter anderem eine Verbesserung der Risiko- und Krisenkommunikation oder die Ernennung eines „gemeinsamen Sonderbeauftragten für den Wiederaufbau auf Bundesebene“. Die übrigen Fraktionen lehnten diesen Antrag ab.
Darüber hinaus lag dem Parlament ein Gesetzentwurf der Liberalen zur Änderung des Aufbauhilfefonds-Errichtungsgesetzes (19/31715) vor, zu dem eine Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses vorlag (19/32276). Mit dem Gesetz über das Sondervermögen bestünden bereits ein rechtlicher Rahmen, bewährte Finanzierungsmechanismen und eine Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern, hieß es darin. Der Fonds sollte aus dem vorhandenen Haushaltstitel „Allgemeine Rücklage“ aufgefüllt werden, die Länder könnten ihren Anteil dann in jährlichen Raten bis 2042 zurückzahlen. Der Gesetzentwurf sah weiterhin vor, einen Wiederaufbaustab unter Federführung des Bundesinnenministeriums einzurichten, der in enger Abstimmung mit dem Finanzministerium „die Soforthilfe sowie den mittelfristigen Aufbau über die Länder für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Kommunen“ koordiniert und steuert. Nur die AfD unterstützte diese Initiative der Liberalen, die übrigen Fraktionen lehnten sie ab.
Antrag der Grünen abgelehnt
Mit einer Reihe von Maßnahmen wollte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Katastrophen- und Hochwasserschutz stärken. Vor dem Hintergrund der jüngsten Flutkatastrophe schlug sie in ihrem Antrag (19/32043) unter anderem vor, eine Bund-Länder-Kommission einzusetzen, die aufgrund der Erfahrungen aus den Hochwassergebieten den Bevölkerungsschutz stärken sollte. Weiter forderten die Antragsteller, jährlich zehn Prozent der Gelder aus dem Energie- und Klimafonds in ein Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ zu investieren.
In den vom Hochwasser betroffenen Gemeinden sollte der Wiederaufbau dem Antrag zufolge „hochwasser- und klimaangepasst“ erfolgen, und generell sollten die Renaturierung von Bächen und die Wiedervernässung von Mooren vorangetrieben werden. Schließlich sollten auch Privathaushalte durch ein Förderprogramm bei der privaten Klimavorsorge unterstützt werden. Zu dem Antrag lag eine Beschlussempfehlung des Haushaltausschusses vor (19/32275). (src/vom/pst/ste/07.09.2021)