Der Bundestag hat am Donnerstag, 27. Januar 2022, den zweiten Nachtragshaushalt 2021 beschlossen. Für den Gesetzentwurf der Bundesregierung (20/300) in der vom Haushaltsausschuss geänderten Fassung ( 20/400, 20/530, 20/401) stimmten in namentlicher Abstimmung 382 Abgeordnete, 283 lehnten ihn ab. In zweiter Lesung hatten SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP dafür und CDU/CSU, AfD und die Linksfraktion dagegen gestimmt. Jeweils keine Mehrheit fanden drei Entschließungsanträge von CDU/CSU (20/487), AfD (20/488) und der Linken (20/486).
Ausnahme von der Schuldenobergrenze beantragt
Ebenfalls in namentlicher Abstimmung hatte der Bundestag zuvor einen Antrag der Koalitionsfraktionen (20/505) angenommen. Mit der Vorlage wird eine Ausnahme von der Kreditobergrenze der Schuldenregel des Artikels 115 des Grundgesetzes beantragt.
Die Koalitionsfraktionen begründeten den Antrag mit den anhaltenden Folgen der Corona-Pandemie. Für den Antrag stimmten 385 Abgeordnete, 290 lehnten ihn ab.
60 Milliarden Euro in Rücklage überführt
Mit dem zweiten Nachtragshaushalt sollen Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro aus dem Kernhaushalt in eine Rücklage des Energie- und Klimafonds (EKF), einem Sondervermögen des Bundes, übertragen werden. Mit diesen Mitteln will die Bundesregierung in den kommenden Jahren klima- und transformationspolitische Vorhaben finanzieren.
Laut Bundesregierung soll damit zuallererst ein Beitrag zur Bekämpfung der Corona-Pandemie geleistet werden, um beispielsweise private Investitionen anzureizen. Mit ihren Änderungsanträgen im Haushaltsausschuss ergänzten die Koalitionsfraktionen die entsprechenden Titel im Haushalt um verbindliche Erläuterungen zur Verwendung der an den EKF übertragenen Mittel.
Demnach sollen die Mittel unter anderem zur „Stärkung von Investitionen in Maßnahmen der Energieeffizienz und erneuerbarer Energien im Gebäudebereich“ und zur „Stärkung der Nachfrage privater Verbraucher und des gewerblichen Mittelstands durch Abschaffung der EEG-Umlage“ genutzt werden. Teil des Nachtragshaushalts ist zudem eine von den Koalitionsfraktionen im Haushaltsausschuss vorgelegte Personalliste. Sie sieht die Schaffung von 148 neuen Stellen in den Bundesministerien und im Bundestag vor.
Entschließungsantrag der CDU/CSU abgelehnt
Die CDU/CSU hatte in ihrem Entschließungsantrag (20/487) gefordert, auf den Nachtragshaushalt aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken zu verzichten. Das Vorhaben der Koalition rüttle „an den Grundfesten der sogenannten Schuldenbremse“.
Der Antrag wurde bei Zustimmung der Union und der AfD mit den Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt.
Entschließungsantrag der AfD abgelehnt
Ebenfalls abgelehnt wurde mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen der Entschließungsantrag der AfD (20/488).
Die AfD-Fraktion hatte darin argumentiert, dass das zweite Nachtragshaushaltsgesetz „in geradezu offensichtlicher Weise gegen zentrale, verfassungsrechtlich verankerte Grundsätze des Haushaltsrechts“ verstoße. Eine Verfassungsklage gegen das Haushaltsgesetz sei zu begrüßen.
Entschließungsantrag der Linken abgelehnt
Keine Mehrheit fand zudem der Entschließungsantrag der Linken (20/486), die darin gefordert hatte, die Schuldenregel im Artikel 115 des Grundgesetzes zu modifizieren. Alle übrigen Fraktionen stimmten dagegen.
Nach Willen der Fraktion sollte künftig eine Nettokreditaufnahme in der Höhe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen möglich sein („goldene Regel“). Zudem hatte die Fraktion für eine einmalige Vermögensabgabe zur Finanzierung der Corona-Lasten plädiert.
Kontroverse Debatte
In der Debatte im Bundestag verwiesen Vertreter der Regierungskoalition vor allem auf die pandemiebedingte Notwendigkeit von Zukunftsinvestitionen, die sie mit dem Nachtragshaushalt umsetzen wollen.
Vertreter von CDU/CSU und AfD zweifelten hingegen an der Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs, während von Seiten der Linksfraktion eine Abkehr von der Schuldenbremse gefordert wurde.
FDP: Internationale Wettbewerbsfähigkeit stärken
Christoph Meyer (FDP) betonte, dass die Pandemie noch nicht vorbei sei und die Wachstumserwartungen deutlich nach unten korrigiert worden seien. „Wir kommen nicht so schnell aus der Pandemiedelle wie wir müssten, um unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit zu halten“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Liberalen. Er verwies – wie auch andere Redner der Koalitionsfraktionen – darauf, dass auch die unionsgeführte Bundesregierung im zweiten Nachtragshaushalt für das Jahr 2020 Milliarden in die Rücklage des EKF transferiert hatte.
Im Gegensatz dazu setze die Koalition nun auf Zweckbindung der Mittel und wolle sie kurz- und mittelfristig nutzen, betonte Meyer. Mit dem Nachtragshaushalt werde ein Signal zur Überwindung der pandemischen Notlage gesetzt und Planungssicherheit für privatwirtschaftliche Investitionen geschaffen. „So bringen wir Krisenbekämpfung, Nachhaltigkeit und Zukunftsgestaltung zusammen“, schloss Meyer.
CDU/CSU: Keine verfassungsmäßige Haushaltsführung
Für die Unionsfraktion übte Dr. Mathias Middelberg scharfe Kritik an dem Nachtragshaushaltsgesetz. „Wir müssen den Nachtragshaushalt ablehnen, wenn wir unsere Verfassung ernst nehmen“, sagte der Christdemokrat. Ziel der Koalition sei es tatsächlich, die Schuldenbremse des Grundgesetzes zu umgehen und sich „die Taschen voller Geld zu laden“. Das vorgegebene Ziel, die Pandemie zu bekämpfen, sei eine Ausrede, tatsächlich sollten damit klimapolitische und andere Vorhaben umgesetzt werden. „Das hat mit solider, das hat mit verfassungsmäßiger Haushaltsführung nichts zu tun“, meinte Middelberg.
Konkret kritisierte der Abgeordnete, dass mit den geplanten Investitionen in die Gebäudeeffizienz Investitionen in die Bauwirtschaft gehen würden. „Wenn wir mal nach einer Branche fragen, die nun wirklich nicht gelitten hat unter Corona, dann war das die Bauwirtschaft“, beschied Middelberg.
SPD: Long-Covid für die deutsche Wirtschaft verhindern
Für die SPD-Fraktion betonte Dennis Rohde, dass Prognosen in Pandemiezeiten nicht wie gewohnt funktionierten. Der vorgelegte Nachtragshaushalt sei bereits der vierte Nachtragshaushalt in den vergangenen beiden Jahren. Während es in den ersten drei Nachtragshaushalten darum gegangen sei, vor allem kurzfristig Mittel zu mobilisieren, gehe es mit dem vierten Nachtragshaushalt darum, diese Pandemie nachhaltig zu verlassen. „Wir wollen ein Long-Covid für die deutsche Wirtschaft verhindern“, sagte Rohde.
Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion warf der Union mangelnde Aufrichtigkeit vor. Mit dem zweiten Nachtragshaushalt 2020 seien ebenfalls Mittel für mittel- und langfristige Projekte wie die Förderung der Quantentechnologie, der Künstlichen Intelligenz, der Wasserstoffstrategie und ein Bauprogramm für Energieeffizienz bereitgestellt worden. „Das war damals richtig, dass wir das gemacht haben, weil es die Wirtschaft gestützt hat, weil es Arbeitsplätze gerettet hat, und es ist heute richtig, dass wir das machen“, sagte Rohde.
AfD: Absurdester Nachtragshaushalt der Geschichte
Für die AfD-Fraktion wies Wolfgang Wiehle ebenfalls auf verfassungsrechtliche Bedenken hin und zitierte umfänglich aus der Stellungnahme des Bundesrechnungshofs zu dem Entwurf. Der Hof hatte diesen als „verfassungsrechtlich zweifelhaft“ bezeichnet. Es sei der „absurdester Nachtragshaushalt in der Geschichte dieser Republik“, meinte Wiehle mit Verweis darauf, dass der Nachtrag für 2021 Ende Januar 2022 beschlossen wird. Es sei ein „Trickbetrug am Wähler“, um sich widersprechende Vorstellungen zweier Koalitionspartner, die der Grünen und die der FDP, zueinander zu bringen.
Der Nachtragshaushalt „sprengt die Grenzen des Grundgesetzes“: Die geplanten Maßnahmen stünden in keinerlei Zusammenhang mit der ins Feld geführten Notlage, meinte Wiehle. Der Nachtragshaushalt sei auch „politisch jenseits jeder Vernunft“. Die von der Union angekündigte Verfassungsklage begrüßte Wiehle, warf der Unionsfraktion aber eine „kaum zu übertreffende Wendigkeit“ vor. Diese habe seinerzeit „exakt dieselbe Täuschung vollzogen“, kritisierte der AfD-Abgeordnete.
Grüne: Grundimmunisierung der Volkswirtschaft
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen betonte Sven-Christian Kindler, dass die Koalition eine Politik umsetze, „die sich an der konkreten Realität dieser Pandemie und ihrer Folgen orientiert“. Kindler verwies auf die reduzierten Wachstumsprognosen, massive Unsicherheiten und geringe Investitionen. Mit dem Nachtragshaushalt und den geplanten Investitionen solle eine „Grundimmunisierung der Volkswirtschaft“ erreicht werden. Nirgendwo in der Verfassung stehe, dass man diese notwendigen Ausgaben nicht mit Klimaschutz und Transformation verbinden dürfe, sagte der haushaltspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion.
Kindler führte an, dass, wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz sowie das Pariser Klimaabkommen ernst nehme, diese Dinge verbunden werden müssten. Der Nachtragshaushalt sei „verfassungsfest und ökonomisch sinnvoll“, schloss der Grünen-Abgeordnete.
Linke: Versündigung an der Zukunft
Für die Fraktion Die Linke kritisierte Janine Wissler, dass die Ampel nichts gegen die ungerechte Verteilung von Vermögen unternehme, die sich während der Pandemie noch verschärft habe. „Wer die sogenannte Schuldenbremse für heilig erklärt und sich weigert, hohe Einkommen und Vermögen angemessen zu besteuern, der versündigt sich an der Zukunft“, sagte die Co-Parteivorsitzende in ihrer ersten Rede im Bundestag. Sie vermutete mit Bezug auf die Verschiebung der Kreditermächtigungen in den EKF, dass Finanzminister Lindner gemerkt habe, dass es ohne Kredite nicht gehe und dabei über seine eigene Ideologie gestolpert sei.
„Es ist immer erhellend, wenn das Weltbild der FDP auf die Wirklichkeit trifft – und dabei in der Regel den Kürzeren zieht“, frotzelte Wissler. Die vom Nachtragshaushalt umfassten 60 Milliarden Euro seien nur ein Bruchteil dessen, was benötigt werde, monierte die Linken-Abgeordnete. Der Etatplan beantworte zudem nicht, „wie wir den sozial-ökologischen Umbau in Zukunft finanzieren“, sagte Wissler.
Vorläufiger Haushaltsabschluss
Nach dem Entwurf des zweiten Nachtragshaushalts waren im vergangenen Jahr Gesamtausgaben in Höhe von 572,726 Milliarden Euro vorgesehen. Die Nettokreditaufnahme sollte demnach 240,176 Milliarden Euro betragen. Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums von Mitte Januar lagen nach dem vorläufigen Haushaltsabschluss 2021 die Ausgaben tatsächlich bei 557,1 Milliarden Euro (Abweichung: minus 15,6 Milliarden Euro).
Die Nettokreditaufnahme betrug demnach 215,4 Milliarden Euro (minus 24,8 Milliarden Euro). Laut Ministerium ist im vorläufigen Haushaltsabschluss ein planmäßiger Vollzug des zweiten Nachtragshaushalts berücksichtigt. Im Jahr 2020 hatten die Ausgaben des Bundes bei 443,4 Milliarden Euro gelegen, die Nettokreditaufnahme bei 130,5 Milliarden Euro. (scr/27.01.2022)