Der Bundestag hat am Freitag, 3. Juni 2022, nach einer zweistündigen Debatte dem Einzelplan 11 des Haushaltsgesetzes 2022 (20/1000, 20/1002) einschließlich des Ergänzungshaushalts (20/1200, 20/1201), also dem Haushalt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales von Minister Hubertus Heil (SPD), in der Ausschussfassung zugestimmt. Für den Einzelplan votierten die Koalitionsfraktionen, dagegen stimmte die Opposition. Ein Änderungsantrag der Unionsfraktion (20/2052) fand hingegen keine Mehrheit. Gegen die Stimmen der CDU/CSU und der AfD wies der Bundestag die Vorlage zurück.
Mehrheitlich sprach sich der Bundestag darüber hinaus für eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro je Stunde ab Oktober 2022 aus. Für den Gesetzentwurf der Bundesregierung (20/1408; 20/1916) zur Erhöhung des Schutzes durch den gesetzlichen Mindestlohn und zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung stimmten die Koalitionsfraktionen und Die Linke. Die CDU/CSU-Fraktion und die AfD-Fraktion enthielten sich. Auf Antrag der Linken wurde über Artikel 7 des Gesetzentwurfs, die von der Linken heftig kritisierten Änderungen bei den Minijobs, in namentlicher Abstimmung separat abgestimmt. Für den Artikel 7 stimmten dabei 398 Abgeordnete, dagegen 41 und 248 der insgesamt abgegebenen Stimmen waren Enthaltungen. Zur Abstimmung des Gesetzentwurfs hatte der Ausschuss für Arbeit und Soziales eine Beschlussempfehlung (20/1916) vorgelegt. Einen Entschließungsantrag der CDU/CSU (20/2057) wies der Bundestag bei Enthaltung der AfD mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen zurück. Darin kritisierte die Unionsfraktion die beabsichtigte politische Festlegung der Mindestlohnhöhe und forderte zukünftig eine Festlegung durch die Mindestlohnkommission.
Gegen die Stimmen der Antragsteller wurde zudem eine Vorlage der Linksfraktion mit dem Titel „Ausweitung der Minijobs konterkariert Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns“ (20/1503) abgelehnt. Dazu hatten der Ausschuss für Arbeit und Soziales eine Beschlussempfehlung (20/1916) und der Haushaltsausschuss einen Bericht gemäß Paragraf 96 der Geschäftsordnung des Bundestages zur Finanzierbarkeit (20/1917) vorgelegt. Einen erstmals beratenen Antrag der Linksfraktion mit dem Titel „12 Euro Mindestlohn sicherstellen – Kontrollen unterstützen und ausbauen“ (20/2058) überwiesen die Abgeordneten zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales.
Bundesregierung: Es geht auch um sozialen Fortschritt
Bundesarbeits- und sozialminister Hubertus Heil (SPD) betonte die Besonderheiten des Etats und der damit verbundenen Aufgaben: „Es geht darum, in diesen schwierigen Zeiten den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu organisieren.“ Ein robuster Arbeitsmarkt, gute Löhne und sichere Renten sowie ein funktionierender Sozialstaat sicherten diesen Zusammenhalt ab.
Mit Blick auf das geplante Bürgergeld sagte er: „Der Sozialstaat muss funktionieren. Dabei geht es nicht nur um sozialen Ausgleich, sondern auch um sozialen Fortschritt.“
AfD: Die Regierung rechnet sich die Welt schön
Ulrike Schielke-Ziesing (AfD) warf der Regierung vor, sich die Welt schönzurechnen. Dies habe sie bereits vor Beginn des Ukraine-Krieges getan, nur so sei zu erklären, warum der Etat trotz der damals schon steigenden Inflation um knapp fünf Milliarden Euro gekürzt wurde
Einmalzahlungen, bei denen die große Gruppe der Rentner zudem vergessen worden sei, reichten bei weitem nicht aus, um die Preissteigerungen auszugleichen, kritisierte die Abgeordnete.
Grüne: Wir bieten Chancen und Perspektiven
Andreas Audretsch (Bündnis 90/Die Grünen) verteidigte die Einmalzahlungen und verwies auf den kommenden Herbst, in dem man mit einem dramatischen Anstieg der Gas- und Lebensmittelpreise rechnen müsse. Auch dann müsse die Regierung mit Entlastungsmaßnahmen reagieren, wenn es nötig sei.
Audretsch hob die Entfristung des Programms für den sozialen Arbeitsmarkt hervor. Künftig stünden 200 Millionen Euro zusätzlich zu Verfügung, um langzeitarbeitslose Menschen auf dem Weg zurück in Beschäftigung zu unterstützen. „Wir bieten damit Chancen und Perspektiven“, sagte er.
Linke: Ein Mietendeckel wäre eine echte Entlastung
Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke) attestierte der Bundesregierung dagegen, nicht genug für die Entlastung der Bürger zu sorgen und nicht energisch genug der Inflation gegenzusteuern. So wäre es beispielsweise kurzfristig möglich, einen bundesweiten Mietendeckel zu beschließen. „Das wäre eine echte Entlastung“, betonte sie.
Sie kritisierte außerdem, dass Rentner nicht die Energiepauschale von 300 Euro erhalten und forderte einen Energiepreisdeckel.
FDP: Zur Schuldenbremse zurückkehren
Claudia Raffelhüschen (FDP) bezeichnete den Etat als „den“ Zukunftsetat des Bundeshaushaltes und begründete dies mit den großen Reformprojekten der Einführung des Bürgergeldes und der kapitalgedeckten Rente.
Sie würdigte unter anderem den noch nachträglich beschlossenen Zuschuss für die Künstlersozialkasse, ohne den die Beiträge drastisch steigen müssten. Gleichzeitig forderte sie aber eine solide Finanzplanung für die Zukunft, zu der auch gehöre, zur Schuldenbremse zurückzukehren.
Union: Bundesagentur braucht Zuschüsse und kein Darlehen
Hermann Gröhe (CDU/CSU) betonte, der Sozialstaat habe in den vergangenen zwei Jahren einen einmaligen Stresstest erlebt und bestanden. „Darauf können wir stolz sein“, sagte er unter Verweis auf die aktuelle Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit (BA).
Gröhe kritisierte in diesem Zusammenhang, dass der Haushalt zusätzliche Mittel für die BA nicht über einen festen Zuschuss, sondern nur über ein Darlehen regele. Dies werde den kommenden Aufgaben der BA nicht gerecht.
SPD: Rentenniveau über 2025 sichern
Dr. Martin Rosemann (SPD) verwies auf die Folgen von Inflation und Krieg und betonte: „Die Koalition handelt. Wir konzentrieren uns auf diejenigen, bei denen das Geld vorher schon knapp war.“ Der Sofortzuschlag für Kinder in Höhe von 20 Euro sei der erste Schritt zur Kindergrundsicherung.
Respekt und sozialer Fortschritt seien die zentralen Versprechen der Ampel-Koalition. „Daran halten wir uns“, sagte er. Dazu gehöre, das Rentenniveau über 2025 hinaus zu sichern sowie die Kindergrundsicherung und das Bürgergeld einzuführen.
Etat des Ministeriums für Arbeit und Soziales
Der Einzelplan 11 des Haushaltsgesetzes 2022 (20/1000, 20/1002) einschließlich des Ergänzungshaushalts (20/1200, 20/1201) umfasst Ausgaben von 161,1 Milliarden Euro und ist damit der mit Abstand größte Einzelplan des Bundeshaushalt. Der Haushaltsausschuss hatte den Regierungsentwurf von Minister Hubertus Heil (SPD) in seinen Beratungen (20/1611, 20/1626) um weitere 962,75 Millionen Euro aufgestockt. Im vergangenen Jahr beliefen sich die Ausgaben des Ministeriums auf 164,92 Milliarden Euro.
Die Aufstockungen entfallen mit 630 Millionen Euro vor allem auf den zusätzlichen Zuschuss des Bundes an die allgemeine Rentenversicherung. Um jeweils 100 Millionen Euro steigen die Ausgaben für das Arbeitslosengeld II) und für die Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung der Bezieher von Grundsicherung.
Rentenversicherung und Grundsicherung
Die größten Ausgabenposten sind Kosten für die Rentenversicherung und die Zuschüsse des Bundes für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung: Dafür sieht der Entwurf insgesamt 116,78 Milliarden Euro (2021: 114,67 Milliarden Euro) vor. Diese Summe setzt sich zusammen aus den Leistungen an die Rentenversicherung von 108,3 Milliarden Euro (2021: 106,23 Milliarden Euro). Für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gibt der Bund 8,35 Milliarden Euro (2021: 8,3 Milliarden Euro) aus.
Ebenfalls ein Schwergewicht im Haushaltsplan sind die Kosten für arbeitsmarktpolitische Leistungen und Programme: Dafür plant der Bund einschließlich eines Darlehens an die Bundesagentur für Arbeit – zusätzlich zu den Mitteln der Bundesagentur für Arbeit – 42,2 Milliarden Euro ein und damit deutlich weniger als 2021 (48,8 Milliarden Euro). 40,8 Milliarden Euro (2021: 45,03 Milliarden Euro) entfallen auf die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Dazu gehören wiederum Leistungen in Höhe von 21,1 Milliarden Euro (2021: 23,7 Milliarden Euro) für das Arbeitslosengeld II. Für die Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung sind 9,8 Milliarden Euro und damit deutlich weniger als im Vorjahr eingeplant (2021: 11,2 Milliarden Euro).
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Das Mindestlohnerhöhungsgesetz sieht vor, den für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geltenden Mindestlohn zum 1. Oktober 2022 einmalig auf einen Bruttostundenlohn von zwölf Euro zu erhöhen. Zudem soll sich künftig die Geringfügigkeitsgrenze an einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden zu Mindestlohnbedingungen orientieren. Mit der Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns soll sie auf 520 Euro monatlich erhöht und dynamisch ausgestaltet werden.
Außerdem will die Bundesregierung Maßnahmen treffen, die die Aufnahme einer sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigung fördern und verhindern helfen, „dass Minijobs als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht werden“. Dazu werde die Möglichkeit eines zulässigen unvorhersehbaren Überschreitens der Entgeltgrenze für eine geringfügig entlohnte Beschäftigung gesetzlich geregelt. Die Höchstgrenze für eine Beschäftigung im Übergangsbereich soll von monatlich 1.300 Euro auf 1.600 Euro angehoben werden.
Abgelehnter Antrag der Linken
Die Fraktion Die Linke kritisierte in ihrem abzustimmenden Antrag (20/1503) die geplanten Änderungen bei den Minijobs im Zuge der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro je Stunde. Dass zeitgleich geringfügige Beschäftigungsverhältnisse (sogenannte Minijobs) ausgeweitet, dynamisiert und als Zukunftsmodell zementiert werden sollen, sei fatal, schrieb die Fraktion. Denn Minijobs stünden sinnbildlich für prekäre und nicht existenzsichernde Arbeit.
Die Abgeordneten forderten deshalb Änderungen an dem Gesetzentwurf der Bundesregierung. So solle unter anderem jede abhängige Beschäftigung ab dem ersten Euro der vollen Sozialversicherungspflicht unterliegen und damit geringfügige Beschäftigung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überführt werden. Ferner solle ein verlässliches, objektives und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem verpflichtend eingeführt werden. Der Schwellenwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns solle als Untergrenze für die jährliche Anpassung der Mindestlohnhöhe durch die Mindestlohnkommission vorgeschrieben werden. Ausnahmen von der Geltung des Mindestlohns sollte es nach dem Willen der Linken nicht mehr geben.
Neuer Antrag der Linken
In ihrem Antrag fordert die Linksfraktion (20/2058), den Mindestlohn von 12 Euro durch verstärkte Kontrollen sicherzustellen. Die Bundesregierung soll einen Gesetzentwurf vorlegen, der unter anderem eine tagesaktuelle, elektronische Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit festschreibt. Außerdem soll eine Beweislastumkehr im Mindestlohngesetz eingeführt werden, wonach nicht die Beschäftigten, sondern künftig die Arbeitgeber nachweisen müssen, wie lange die Beschäftigten tatsächlich gearbeitet haben.
Ferner soll der Bund darauf hinwirken, dass die Länder durch Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften und besondere Zuständigkeiten der Gerichte bei Verstößen gegen Mindestarbeitsbedingungen und gegen Schwarzarbeit dafür sorgen, dass die Ermittlungen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit nicht ins Leere laufen. (che/03.06.2022)