Mit 392 Stimmen hat der Bundestag am Freitag, 15. Dezember 2023, den Entwurf der Bundesregierung für ein Nachtragshaushaltsgesetz 2023 (20/9500) gebilligt. Der namentlichen Abstimmung lag eine Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses (20/9600) zugrunde. 274 Abgeordnete stimmten gegen das Gesetz, mit dem die Bundesregierung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 15. November 2023 reagiert.
Schwerpunktmäßig will die Ampel damit die Finanzierung des Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds sowie des Sondervermögens „Aufbauhilfe 2021“ für das Ahrtal sicherstellen.
Antrag zur Feststellung einer Notlage
Die bisherige Finanzierungsmodalität war durch das Verfassungsgerichtsurteil in Frage gestellt worden. Um die Finanzierung zu sichern, hat der Bundestag eine Ausnahme von der Schuldenregel des Grundgesetzes beschlossen. Ein entsprechender Antrag der Koalitionsfraktionen (20/9501) wurde am Freitag namentlich mit 414 Stimmen gebilligt. 242 Abgeordnete stimmten gegen den im Haushaltsausschuss zuvor noch modifizierten Antrag (20/9676). Es gab neun Enthaltungen. Ursprünglich lag dem Entwurf zufolge die für die Schuldenregel relevante Kreditaufnahme bei 70,61 Milliarden Euro und damit 44,8 Milliarden Euro über der zulässigen Kreditaufnahme.
Beschlossen wurde auch das von der Bundesregierung eingebrachte Haushaltfinanzierungsgesetz (20/8298, 20/8765, 20/8962 Nr. 8). Für das Gesetz stimmten die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP. CDU/CSU und AfD votierten dagegen. Der Abstimmung zugrunde lagen zwei Beschlussempfehlungen des Haushaltsausschusses (20/9666, 20/9792) zu unterschiedlichen Teilen des Gesetzentwurfs.
Begonnen hatte die zweite und dritte Lesung der Haushaltsgesetze ohne die Anwesenheit eines Bundesministers. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) war erkrankt. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) sagte dazu während der Debatte: „Ich erwarte schon auch noch eine Ministerin oder einen Minister.“ Florian Oßner (CDU/CSU) kritisierte später in seiner Rede, dass erst nach 25 Minuten ein Minister anwesend war. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) war zu diesem Zeitpunkt auf der Regierungsbank eingetroffen.
FDP: Man kriegt nicht immer, was man will
Dass es sich bei den Haushaltsgesetzen der Ampel-Koalition um einen Kompromiss handelte, bei dem alle drei Koalitionsfraktionen Abstriche an ihren politischen Vorstellungen machen mussten, machte Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, deutlich. Er schloss seine Rede mit einem Rolling-Stones-Zitat: „You can´t always get what you want“, man kriegt nicht immer alles, was man will.
Fricke betonte, dass die Ampelkoalition nun die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts umsetze. „Das ist die Aufgabe, die wir haben, und die nehmen wir heute auch wahr“, sagte er. Mit dem Haushaltsfinanzierungsgesetz verbunden seien die Abwicklung des Sondervermögens des Wirtschaftsstabilisierungsfonds sowie neue Regelungen bei den Steuerzuschüssen zur Renten- und Pflegeversicherung. Außerdem kehre die Ampel-Regierung zurück auf den Pfad zur Erhöhung des CO2-Preises, den seinerzeit die Große Koalition beschlossen hatte. Fricke wies darauf hin, dass die Union auch in ihrem Grundsatzprogramm höhere CO2-Preise befürworte.
Union zweifelt an Verfassungskonformität des Nachtrags
Darauf ging Dr. Mathias Middelberg in seiner Rede für die CDU/CSU-Fraktion ein. „Hauptbestandteil ihres Pakets sind Steuererhöhungen, dickster Punkt ist der CO2-Preis“, warf er der Koalition vor. Wenn Fricke sage, dass die Ampel nur auf den Pfad der früheren Regierung von Angela Merkel zurückkehre, dann sei das „nur zur Hälfte richtig“. Middelberg sagte: „Den Ausgleich, das Klimageld, den nehmen Sie nicht vor. Das wäre ein sozialer Ausgleich.“
Middelberg stellte auch infrage, dass der neue Nachtragshaushalt 2023 der Ampel-Koalition verfassungskonform sei. Der Grund: Die Ampel-Koalition habe immer noch nicht alle Sondervermögen in den Kernhaushalt übernommen.
SPD in Richtung Union: Ihr Populismus ist gescheitert!
Dem widersprach Dennis Rohde als Vertreter der SPD-Fraktion. Die öffentliche Anhörung des Haushaltsausschusses habe gezeigt, dass selbst Sachverständige, die die Unionsfraktion geladen hatte, das Vorgehen der Ampel-Koalition als verfassungskonform beurteilt hätten. Rohde warf den Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion vor, dass sie lediglich versucht hätten, die Ampel „kaputtzureden.“ Rohde: „Ihr destruktiver Populismus ist gescheitert!“
Die Gaspreispreisbremse, die Strompreisbremse und die Hilfe für die Opfer der Flutkatastrophe im Ahrtal seien richtig gewesen, befand Rohde und schlussfolgerte, dass es deswegen auch richtig sei, dem Nachtragshaushalt zuzustimmen.
AfD: Es liegt keine Notsituation vor
Genauso wie die Unionsfraktion beurteilte Dr. Peter Boehringer (AfD) die Verfassungsmäßigkeit des Nachtragshaushalts 2023. Auch er kritisierte, dass die Ampel nur bei zwei Sondervermögen Konsequenzen aus dem Verfassungsgerichtsurteil gezogen habe. „Der Haushalt 2023 ist weiter verfassungswidrig“, sagte Boehringer. Er ging aber über die Kritik der Unionsfraktion hinaus. Die Regierung erkläre nachträglich für 2023 eine Notsituation. Die liege aber gar nicht vor.
Der AfD-Abgeordnete bezweifelte unter anderem, dass die Energiepreiskrise sich der Kontrolle des Staates entziehe. „Ganz im Gegenteil“, sagte er und kritisierte die Energiepolitik der Ampel-Koalition, insbesondere die Erhöhung des CO2-Preises.
Grüne verteidigen CO2-Preis-Erhöhung
Sven Christian Kindler (Bündnis 90/Die Grünen) wies die Kritik zurück. Die Regierungsfraktionen stellten die Strom- und Gaspreisbremse nun „auf ein gesichertes Fundament“. Kindler sagte weiter: „Die Menschen im Ahrtal brauchen Klarheit. Ich bedaure sehr, dass die Union nicht zustimmt.“ Die Notlage begründet die Ampel-Koalition unter anderem auch mit den Hilfen für den Wiederaufbau im Ahrtal. Auch die Erhöhung des CO2-Preises verteidigte Kindler: „Preise sollen die ökologische Wahrheit sagen.“ Außerdem gingen 85 Prozent der Einnahmen zurück an die Bürger, etwa durch die Abschaffung der EEG-Umlage.
„Es ist richtig, dass wir jetzt klimaschädliche Subventionen abbauen. Das reduziert Marktverzerrungen. Wir werden wieder auf den Pfad der Merkel-Regierung zurückkehren“, sagte Kindler. Beim Ausblick auf das kommende Jahr wies er darauf hin, dass CDU-Ministerpräsidenten für dieses und nächstes Jahr Notlagen erklärt hätten. Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte zuvor mit einer neuen Klage gedroht, falls die Koalition versuchen sollte, für den Bund die Schuldenbremse 2024 mit Verweis auf eine Notlage erneut auszusetzen.
Ausgaben von 461,21 Milliarden Euro vorgesehen
Laut Nachtragshaushaltsentwurf sind für 2023 nunmehr Ausgaben in Höhe von 461,21 Milliarden Euro vorgesehen. Bisher lag das Soll bei 476,29 Milliarden Euro. Gestrichen wurden im Etat unter anderem die Ausgaben für das „verzinsliche Darlehen für den Aufbau eines Kapitalstocks zur Stabilisierung der Beitragssatzentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung“ in Höhe von zehn Milliarden Euro. Die Einnahmen – ohne Kredite und Entnahme aus der Rücklage – fallen mit 389,74 Milliarden Euro um 178,7 Millionen Euro geringer aus als bisher geplant. Das liegt unter anderem an geringer ausfallenden Steuereinnahmen.
Die bisher vorgesehene Entnahme aus der Rücklage wird von 40,51 Milliarden Euro auf 43,81 Milliarden Euro erhöht. Deutlich geringer fällt nunmehr die geplante Nettokreditaufnahme im Kernhaushalt aus. Sie soll 27,41 Milliarden Euro betragen. Das sind 18,2 Milliarden Euro weniger als bisher geplant. Sie liegt über der nach der Schuldenregel zulässigen Höhe. Diese ist im Entwurf mit 25,81 Milliarden Euro angegeben. Die Überschreitung entspricht der Zuweisung aus dem Haushalt an das Sondervermögen „Aufbauhilfe 2021“.
Finanzierung von Strom- und Gaspreisbremse
Hinzu tritt die geplante Kreditaufnahme im Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds (WSF) in Höhe von 43,20 Milliarden Euro. Aus dem WSF werden unter anderem die Strom- und Gaspreisbremse finanziert. Bisher war als Finanzierung vorgesehen, auf in 2022 an den WSF übertragene und verbuchte Kreditermächtigungen zurückzugreifen. Nunmehr soll der WSF in die Lage versetzt werden, in 2023 eigene Kredite aufzunehmen. Sie sind auf die Schuldenregel anzurechnen. Der Wirtschaftsplan des WSF, der dem Einzelplan 60 als Anhang beigefügt ist, ist im Entwurf entsprechend aktualisiert worden.
Zur Abstimmung über das Gesetz hatten die AfD- (20/9775) und die CDU/CSU-Fraktion (20/9776) Entschließungsanträge eingebracht. Beide Fraktionen äußerten darin Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Nachtragsgesetzes. Beide Vorlagen wurden mehrheitlich abgelehnt. Über den Antrag der AfD wurde namentlich entschieden. Ergebnis: 67 Ja- zu 570 Nein-Stimmen.
Regelungen zum Elterngeld beschlossen
Das im Übrigen beschlossene Haushaltsfinanzierungsgesetz (20/8298) sieht unter anderem vor, dass die Einkommensgrenze, bis zu der ein Anspruch auf Elterngeld besteht, sinkt. Entsprechende Regelungen wurden in einer Sitzung des Haushaltsausschusses am Donnerstag beschlossen. Konkret sollen künftig Personen mit gemeinsamen Elterngeldanspruch ab einem Einkommen von mehr als 175 000 Euro kein Elterngeld mehr erhalten, für Alleinerziehende wird die Einkommensgrenze auf 150.000 Euro reduziert. Nicht mehr möglich wird dem Gesetzentwurf zufolge bis auf Ausnahmen sein, dass beide Elternteile gleichzeitig nach dem 12. Lebensmonat des Kindes das Basiselterngeld beziehen.
Stärker als bisher geplant erhöht wird der CO2-Preis, also der Aufschlag auf Sprit, Heizöl und fossiles Gas. Dieser auf jede emittierte Tonne CO2 anfallende Preis soll nun von derzeit 30 Euro auf 45 Euro im Jahr 2024 steigen. Das entspricht dem ursprünglichen Erhöhungsplan der Großen Koalition von Union und SPD aus der vergangenen Wahlperiode. Die Ampel-Koalition wollte den Erhöhungspfad angesichts hoher Energiepreise verlangsamen und hatte bisher für 2024 einen Preis von 40 Euro vorgesehen. 2025 soll der Preis dann auf 55 statt wie bisher geplant 45 Euro steigen. Bleiben soll es bei der im November von der Bundesregierung angekündigten Senkung der Stromsteuer auf den EU-Mindeststeuersatz von 0,50 Euro je Megawattstunde. Die Koalitionsfraktionen gehen davon aus, dass die Änderungen bei der Stromsteuer insgesamt den Bundeshaushalt mit 3,25 Milliarden Euro belasten. Entlastungen beim Strompreis soll es befristet auch für Unternehmen geben. Der Spitzenausgleich läuft Ende des Jahres aus.
Änderungen in Sozialgesetzbüchern
SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP stimmten ferner für Änderungen des Zweiten, Dritten und Neunten Buches Sozialgesetzbuchs. Dies soll den Bundeshaushalt ab 2025 um 900 Millionen Euro jährlich entlasten, zulasten der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die Beitragssatzstabilität bei der BA sei jedoch nicht gefährdet, schrieben die Koalitionsfraktionen. Künftig sollen für die Beratung, Bewilligung und Finanzierung sowie die Förderung der beruflichen Weiterbildung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nicht mehr die Jobcenter zuständig sein, sondern die Arbeitsagenturen. Auch die Bewilligungs- und Finanzierungsverantwortung für Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit der BA als Rehabilitationsträger soll dem Gesetzentwurf zufolge von den Jobcentern auf die Agenturen für Arbeit übergehen. Aufgelöst werden soll das Sondervermögen Digitale Infrastruktur, Stichtag dafür ist der 30. März 2024. Das vorhandene Vermögen soll in den Bundeshaushalt 2024 fließen. Für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) wird als Zweck neben dem Klimaschutz auch ausdrücklich die Mikroelektronik und die Schiene genannt.
Das Haushaltsfinanzierungsgesetz sieht ferner vor, dass es künftig der Zustimmung des Haushaltsausschusses bedarf, wenn es in Ressorts zu über- und außerplanmäßigen Ausgaben von mehr als 100 Millionen Euro kommt. Außerdem sind neue Regeln für die Beteiligung der Haushaltspolitiker bei Entscheidungen zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) im Gesetzentwurf enthalten, ebenso für Zuwendungen an Kommunen bis sechs Millionen Euro. (bal/scr/hau/ste/15.12.2023)