27.11.2018 | Parlament

Grußwort von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich des Deutschen Afrika-Preises 2018

[Es gilt das gesprochene Wort]

Afrika ist auch unser Schicksal. 
Die Zukunft Deutschlands und Europas wird von der Entwicklung in Afrika wesentlich mitbeeinflusst. Das ist die Realität. Europa kann sich nicht als Solitär begreifen. Im Gegenteil – wir lernen gerade, was Globalisierung auch heißt: In der Welt, die uns umgibt, Verantwortung zu übernehmen. 
Mit dem Prozess der Globalisierung und Digitalisierung verbinden sich bisher ungekannte Freiheiten. Und für Milliarden Menschen auch neue Chancen, um sich aus eigener Kraft eigenen Wohlstand aufzubauen. Aber wir werden zugleich mit komplexen Problemen konfrontiert. Der Zusammenhang zwischen Entwicklung und Migration auf dem afrikanischen Kontinent macht das überdeutlich. Bilder gehen in Echtzeit um den Globus und schüren Erwartungen auf ein besseres Leben fern der eigenen Heimat. Der Wunsch nach Wohlstand steckt in allen Menschen. Er ist eine anthropologische Konstante. 
Wir können uns davor nicht verstecken, uns nicht zurückziehen oder gar abschotten. Wir spüren täglich das kaum auflösbare Dilemma, etwa wenn Menschen den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer suchen. Wir werden die Herausforderungen der Migration sicher nicht allein in Europa lösen. Aber es zwingt uns zu einem veränderten, einem neuen Umgang mit unserem Nachbarkontinent. Diese Aufgabe müssen wir annehmen – national und als Europäer.

Die Väter und Vordenker der europäischen Einigung wussten das – lange, bevor von der Globalisierung überhaupt die Rede war. Das Bekenntnis zur Verantwortung für Afrika gehört mit zum historischen Erbe des europäischen Einigungsprojekts. Angestoßen wurde es 1950 vom französischen Außenminister Robert Schuman. Die Zusammenlegung der deutschen und französischen Kohle- und Stahlproduktion bedeutete eine Zäsur in der Geschichte unseres Kontinents – und einen Meilenstein für die europäische Integration. Aber wissen wir noch, was Schumann damals sagte? Es lohnt, das nachzulesen: „Diese Produktion wird der gesamten Welt ohne Unterschied und Ausnahme zur Verfügung gestellt werden, um zur Hebung des Lebensstandards und zur Förderung der Werke des Friedens beizutragen. Europa wird dann mit vermehrten Mitteln die Verwirklichung einer seiner wesentlichsten Aufgaben verfolgen können: die Entwicklung des afrikanischen Erdteils.“
Fünf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete der Schulterschluss zwischen den einstigen Kriegsgegnern ein politisches Wagnis. Womöglich haben deshalb viele Zuhörer überhört, dass Schuman in seine Vision von einem friedlich geeinten Europa den Nachbarkontinent mit einschloss: Als eine der wesentlichsten Aufgaben für uns Europäer. 
Sicher: Die Zeiten waren damals andere, Frankreich noch Kolonialmacht und herausgefordert von den Unabhängigkeitsbewegungen. Schumans Aussage zielte trotzdem auf etwas anderes, auf eine viel weitere Perspektive: Er wusste, dass der Wunsch nach Stabilität, nach Frieden und nach einem Lebensstandard über dem Existenzminimum kein Privileg der Europäer ist. 

Vielleicht hätte man damals besser zuhören sollen – und afrikanische Staaten schon damals stärker in den Blick nehmen, intensiver kooperieren. 
Aber: Konjunktive, das rückblickende Bedauern helfen nicht weiter. Es braucht Antworten auf die drängenden Herausforderungen im 21. Jahrhundert, auf die enge Verflechtung zwischen Entwicklungen bei uns und in den afrikanischen Staaten. 
Dabei geht es noch immer um akute Hilfe für Menschen in Not. Um die Bekämpfung des Hungers – auch in Flüchtlingslagern, die größer sind als manche Stadt in Europa. 
Es geht vielerorts um die Wiederherstellung und Sicherung des Friedens, um gewaltlose Konfliktlösung und um Versöhnung überall dort, wo die Gewalt zwischen Staaten und Volksgruppen die Bevölkerung traumatisiert hat. Hier braucht es mehr, als die Friedensmissionen der Vereinten Nationen leisten können. Es braucht einen nachhaltigen Beitrag zur Stabilisierung der von Krieg und Konflikten erschütterten Gesellschaften. 
Es geht vor allem um wirtschaftliche Entwicklung, um den Abbau von sozialen Ungleichheiten, mit denen sich wachsende Instabilitäten verbinden. Afrika braucht dringend mehr Investitionen – nicht nur aus China. Perspektivlosigkeit und die Sehnsucht nach einem besseren Leben erhöhen sonst den Problemdruck zusätzlich – nicht zuletzt auf Europa und unser Land.
Und es geht um die langfristige Sicherung der Lebensgrundlagen der Menschheit. Der Kampf für den Erhalt der vielfältigen und einzigartigen Fauna und Flora ist von existentieller Bedeutung, der Schutz der Umwelt eine wirklich globale Aufgabe. 
Sie beide, Herr Bigurube, Herr Razafimalala, Sie haben sich dieser Aufgabe verschrieben, in Tansania und auf Madagaskar. Deshalb ehrt die Deutsche Afrika-Stiftung Sie heute. Sie setzen sich beide für den Naturschutz ein und riskieren dabei persönlich viel. Sie stehen im Weg, unbeirrbar: Denen, die illegal Geschäfte mit kostbarem Rosenholz auf Madagaskar machen. Denen, die für Megaprojekte den sensiblen Lebensraum von Wildtieren und -Pflanzen in Tansania opfern wollen. 

Und wir? Wir tun noch immer zu wenig. Wir müssen uns erst noch als fähig erweisen, das, was wir selbst an Stabilität brauchen, aus unserem Wohlstand heraus den Regionen, die uns umgeben, zu vermitteln. Mehr Perspektiven zu ermöglichen. Weil wir nur so dafür arbeiten können, dass es auch uns in der Zukunft weiter gut geht.
Immerhin: International wird längst nicht mehr nur über Afrika gesprochen, sondern mit Repräsentanten aus den afrikanischen Staaten – mit Vertretern der Zivilgesellschaft und der Politik. Wenn es um akute Hilfe für Bürgerkriegsgebiete geht. Oder um lokale Projekte. Die Bemühungen um den Migrationspakt zeigen es.
Unter der deutschen G20-Präsidentschaft hat im vergangenen Jahr die wirtschaftliche Zukunft Afrikas im Mittelpunkt gestanden. Das war nicht unumstritten. Aber notwendig. Denn wir brauchen eine Entwicklung, die nachhaltig wirkt, die Selbstständigkeit stärkt und dauerhafte Lebensperspektiven eröffnet. 
Der Kontinent entwickelt sich zur Weltregion mit dem größten Arbeitskräftepotenzial. Die immensen ökonomischen Wachstumsmöglichkeiten Afrikas werden allerdings nicht dadurch gestärkt, dass es die Tüchtigsten, diejenigen, die gut ausgebildet sind, nach Europa zieht. Darum braucht es den neuen Migrationspakt. Darum der „Compact with Africa“ der G20. Darum der „Marshall-Plan mit Afrika“, mit dem das deutsche Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit partnerschaftlich neu aufgestellt wurde – bei der Handels- und Wirtschaftspolitik, der Energie- und Klimapolitik.
„Compact with Africa“ begründete 2017 einen völlig neuen Ansatz in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Neben öffentlichen braucht es vor allem auch private Institutionen. Dazu müssen afrikanische Länder selbst die Voraussetzungen schaffen. Hier setzt die Compact-Initiative an: Die afrikanischen Staaten arbeiten mit internationalen Organisationen und bilateralen Partnern gemeinsam daran, die Rahmenbedingungen für private Investitionen zu verbessern. Mit der G20-Afrika-Konferenz wurde den afrikanischen Ländern eine Plattform geboten, um auf Investoren zuzugehen und das Engagement des privaten Sektors in Afrika zu steigern. Mit einem Investitionsfonds für kleine und mittlere europäische und afrikanische Unternehmen will die Bundesregierung zusätzliche Impulse setzen, um private Investitionen anzukurbeln.
Dieses verstärkte Engagement hat auch mit der globalen Konkurrenz zu tun. Die Invasoren von heute sind vielfach Investoren, ihr Druckmittel ist Geld. Das kann dem Guten dienen und zum steigenden Wohlstand in Afrika beitragen – aber garantiert ist das nicht. Good Governance zu fördern, ist daher weiter eines unserer wichtigsten Ziele. Denn größte Hemmnisse für Investitionen in vielen afrikanischen Staaten sind neben dem Fachkräftemangel immer noch Rechtsunsicherheit und Korruption.
Aber was auch immer wir auf bilateraler oder multilateraler Ebene vereinbaren: Die Zusammenarbeit kann nur gelingen, wenn wir mehr Verständnis füreinander aufbringen. Das funktioniert nur, wenn die Menschen in reichen und in den weniger wohlhabenden Ländern Europas begreifen, dass wir miteinander verbunden sind und füreinander Verantwortung tragen. 
Das gilt andersherum ebenso: Auch die Menschen in den afrikanischen Staaten brauchen Wissen über Europa – auch bei uns ist nicht alles Gold, was glänzt. Auch hier gibt es Grenzen des Machbaren, die deutlich unterhalb der Grenze des Wünschbaren liegen. Und auch hier funktioniert das Gemeinwesen nur, wenn sich alle an Regeln halten, den Rechtsstaat akzeptieren. 
Die Weltordnung im 21. Jahrhundert ist in Bewegung. Das ist für die afrikanischen Staaten eine Chance. Es wird einen langen Atem brauchen. Viel Vernunft wird nötig sein, um unvernünftigen Entwicklungen Einhalt zu gebieten. Aber wir können uns nicht erlauben, aufzugeben, nur weil uns die Probleme so groß erscheinen. Keine Resignation! 
Das können wir von den beiden Preisträgern lernen. Sie zeigen uns mit Ihrem Einsatz, mit Ihrem unbeugsamen Eintreten für den Erhalt des gefährdeten ökologischen Gleichgewichts in ihrer Heimat, was möglich ist. Preisträger sind immer auch Vorbilder: Sie gönnen sich keine Ruhe. Und sie erinnern uns daran, dass Afrika auch unser Schicksal ist. 
 

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