10.12.2018 | Parlament

Rede von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble als Schirmherr des Deutschen Studienpreises der Körber-Stiftung

[Es gilt das gesprochene Wort]

In Zeiten von Fake news und Verschwörungstheorien muss es bisweilen betont werden: Die Wahrheit ist mächtig. 

„Und sie bewegt sich doch“ – Galileo Galilei soll diese Worte gesagt haben, als er den Gerichtssaal der Heiligen Inquisition verließ. Der florentinische Hofmathematiker, Philosoph und Astronom musste dem kopernikanischen Weltbild öffentlich abschwören. Wider besseres Wissen. Dennoch: Er hielt an seiner Einsicht fest. Am wissenschaftlichen Beweis. 

Galileis Ausspruch ist zum Synonym geworden: Wissenschaft und Erkenntnis lassen sich auf Dauer nicht unterdrücken. Die Erde kreist um die Sonne – und irgendwann wissen das alle. Die Zeit der Aufklärung trägt nicht zufällig diesen Namen. Die Nebel haben sich gelichtet. Der legendäre Satz von Galileo löst den Wahrheitsanspruch übrigens selbst nicht ein. Dank der historischen Forschung können wir sicher sein – so wie in der Überlieferung hat sich die Szene im 17. Jahrhundert gar nicht zugetragen.  

Unstrittig ist: eine Zeitenwende hatte begonnen, zumindest im Kopf der Gelehrten, deren Beweise die klerikale Autorität ins Wanken brachten. Kopernikus und Galileo erlebten eine Zeit des Wandels. Auch wir erleben, wie Welt sich dreht, sich fortwährend verändert. Angesichts von Globalisierung und Digitalisierung in rasantem Tempo. Unwissenheit hemmt Entwicklungen, soviel ist immerhin über die Jahrhunderte gleich geblieben. Wissen veraltet heute rasch, Entwicklungen beschleunigen sich und verlangen immer schneller nach immer mehr Innovation. Wie groß die Komplexität heute ist und wie weit das Feld, auf dem wissenschaftliche – und zugleich praktisch handhabbare – Erkenntnis entwickelt wird, spiegelt sich in der thematischen Vielfalt der wissenschaftlichen Arbeiten, um die es heute Abend geht. 

Die für den Deutschen Studienpreis nominierten und die heute zu prämierenden Arbeiten zeigen eindrucksvoll, wie anregend detaillierte Antworten auf hochkomplexe Fragestellungen sein können! Wie kreativ die Forschungsfragen, die Sie gestellt haben. Wie hoch der praktische Nutzen ihrer  Befunde. Wie weit das Neuland reicht, das Sie mit Ihrer Forschung erschlossen haben: 
Wie tragen Literatur und Film zur Bewältigung von Amokläufen an Schulen bei? 
Wie wird der Ladevorgang von Lithium-Ionen Batterien sichtbar gemacht? 
Wie können benachteiligte Schüler besser gefördert werden? 
– um nur die Themen der drei bestplatzierten Forschungsarbeiten zu nennen. 

Ein wichtiges Merkmal eint alle eingereichten Untersuchungen – so unterschiedlich sie sind: Sie adressieren gesellschaftlich relevante Fragestellungen. Es ist ein Verdienst der Körber-Stiftung, den Deutschen Studienpreis an dieses wichtige Kriterium zu knüpfen.  

Sie alle, liebe Preisträgerinnen und Preisträger, haben nicht nur exzellente Forschung betrieben, sondern Sie haben Ihre Erkenntnis auch noch so vermittelt, dass wir eine Chance haben, zu verstehen, worum es geht. Das ist nicht selbstverständlich. Aber notwendig. Für die Breite schreiben. Es mag Akademiker geben, denen das widerstrebt. Aber es gehört dazu. 

Die Wissenschaft genießt in unserem Land die Forschungsfreiheit. Sie ist grundgesetzlich geschützt. Zugleich forschen Sie nicht im luftleeren Raum. Es gibt eine Erwartung der Gesellschaft an die Forschung, eine hohe Erwartung. 

Wir haben – auch außerhalb der akademischen Welt – mit einer nicht mehr einzudämmenden Flut an Information zu tun. Das Zuviel an Information gepaart mit der zunehmenden Spezialisierung führt zu Überforderung, macht vielen Menschen sogar Angst. Aber aufhalten lassen sich komplexe Informationen ebenso wenig wie komplexe Entwicklungen. Darum braucht es von Seiten der Wissenschaft verständliches Wissen, nachvollziehbare Erklärungen und anschauliche Lösungsansätze.  

Neugierige und experimentierfreudige Wissenschaftler wie Sie können diese liefern: mit klugen Forschungsfragen und einer besonnenen Forschungsethik. Denn nicht alles, was machbar ist, ist wünschenswert. 

Das führen uns dieser Tage die Eingriffe in die menschliche Keimbahn vor Augen. Die klinische Anwendung des Genome-Editings an menschlichen Embryonen ist nicht nur umstritten – solche Manipulationen wurden bisher abgelehnt. Von Medizinern, Gentechnikern und Ethikern. Nun wurde dieser Konsens – mutmaßlich von einem Einzelgänger in China – offenbar gebrochen. Das Beispiel zeigt: Wissenschaft, Politik und Gesellschaft müssen sich über das Machbare und die Grenzen verständigen. Wie weit darf in menschliches Erbgut eingegriffen werden? Nur eines von vielen wissenschaftlichen Problemen, das an ethische Standards rührt. Der Diskussion über ethische Grenzen und rechtliche Regeln kann sich niemand entziehen. Es ist an uns, ein Mitspracherecht einzufordern. Es braucht eine politische Rahmensetzung – denn es geht eben nicht mehr zu wie zu Zeiten der Heiligen Inquisition. 

Die Debatte, die das Bekanntwerden der Zwillingsgeburt in China ausgelöst hat, zeigt: Die Wissenschaft darf sich nicht in eine Ecke zurückziehen und hinter verschlossenen Türen beliebig herumexperimentieren. Schon gar nicht mit menschlichem Erbgut. Natürlich war es für Forscher von jeher reizvoll, zu Expeditionen in neue Sphären aufzubrechen. Wenn diese unseren Normen aber eklatant verletzten, muss dem Einhalt geboten werden.  

Wie auf allen Feldern des Zusammenlebens braucht es in der Wissenschaft Verantwortung, um Veränderungen zu gestalten, um aus dem diffusen globalen Wandel sichtbaren Fortschritt zu machen. Maßvoll. Zum Wohl der Menschen. Nicht allein zum Ruhm oder Vorteil Einzelner. 

Gerade die anwendungsorientierte Forschung verfolgt auch ökonomische Ziele. Wir Europäer wollen in Forschung und Entwicklung unsere Spitzenstellung verteidigen. Da reicht es nicht, auf Bewährtes zu setzen und sich treiben zu lassen. Deutsche und andere europäische Wissenschaftler sind an der Entwicklung von Zukunftstechnologien beteiligt – Sie, liebe Anwesende, liefern den Beweis. Sie erschließen auf vielen Feldern in den Naturwissenschaften, den Geistes- sowie den Sozial¬wissenschaften neue Gedankenwelten, entwickeln Theorien und praktische Lösungen für globale Probleme. Das ist Sache der Wissenschaft und der Forschungsabteilungen der Unternehmen. Es dient der Gesellschaft insgesamt, kann Debatten auslösen oder befördern und politische Entscheidungen erleichtern. Die kann die Wissenschaft der Politik allerdings nicht abnehmen. Wo sich Wissenschaftler für die besseren Politiker halten – oder gar umgekehrt – läuft etwas schief. 

Im ausgehenden 17. Jahrhundert war das anders. Gottfried Wilhelm Leibniz war beides: raffinierter Diplomat und geachteter Gelehrter. Er sei der Letzte gewesen, der noch universelles Wissen und einen Überblick über die Wissenschaften und das Weltgeschehen gehabt habe, heißt es. Ich bin nicht sicher, ob es unter Ihnen oder in Ihren Fakultäten heute noch Wissenschaftler gibt, die mit gutem Gewissen von sich behaupten könnten, auch nur die Verästelung der eigenen Disziplin komplett im Blick zu halten. Ob der Status des „Universalgelehrten“ für Sie überhaupt erstrebenswert wäre.
 
Ich bin allerdings davon überzeugt, dass fachliche Expertise nicht darunter leidet, wenn man sich bisweilen auch auf fachfremden Feldern umschaut. Nach meiner Erfahrung schadet es nicht, sich mit Fragen zu befassen, die außerhalb der eigenen Spezialisierung liegen. Ab und an auch das Große und Ganze in den Blick zu nehmen. Das hilft – zumindest im politischen Raum. Und jedem Einzelnen persönlich sei es ohnehin empfohlen. 

Ihre Lebensläufe zeigen, dass Sie selbstverständlich über den eigenen Tellerrand blicken, Ihnen die Welt offensteht und Internationalität für Sie kein Experiment mehr ist! Als Schirmherr des Deutschen Studienpreises beglückwünsche ich Sie herzlich zum Deutschen Studienpreis. Ich ermutige Sie, die Preisträger sowie alle, die am diesjährigen Wettbewerb teilgenommen haben: Erhalten Sie sich Ihre Neugier, Ihre Phantasie und Ihren Forschungseifer. Lassen Sie uns teilhaben an dem, was Sie bewegt. 

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