06.09.2022 | Parlament

Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zur Eröffnung der Ausstellung „70 Jahre Luxemburger Abkommen zwischen Deutschland, Israel und der Jewish Claims Conference“

[Es gilt das gesprochene Wort]

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin!
Sehr geehrter Herr Schneider!
Sehr geehrter Herr Dr. Fuksman-Shal!
Liebe Frau Szepesi!
Liebe Frau Schwarz!
Lieber Herr Mahlo!
Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete!
Liebe Gäste!

Herzlich willkommen im Deutschen Bundestag!

Wir eröffnen heute die Ausstellung „70 Jahre Luxemburger Abkommen“. Ich hätte diese Ausstellung gern mit dem israelischen Präsidenten Isaac Herzog eröffnet, der heute im Plenum eine eindrucksvolle Rede gehalten hat. Er musste sich allerdings direkt im Anschluss auf den Weg zur Gedenkstätte Bergen-Belsen machen. 

Ich freue mich aber sehr, dass wir im Vorfeld einen gemeinsamen Rundgang durch die Ausstellung machen konnten. Das war uns beiden sehr wichtig. 

Sehr geehrte Damen und Herren, 
Wiedergutmachung?! Das Wort ist eine Zumutung. So schrieb vor kurzem die Jüdische Allgemeine. Kann es für das Menschheitsverbrechen der Shoa Wiedergutmachung geben? Eine rhetorische Frage. Mit einer klaren Antwort: Selbstverständlich nicht. Wofür kann das so genannte Wiedergutmachungsabkommen dann gut sein? Die Ausstellung stellt diese Frage in den Mittelpunkt. 

Für die Opfer der Shoa war es eine Zumutung, Geld aus dem Land der Mörder anzunehmen. Nahum Goldmann, der für die neugegründete Claims Conference die Verhandlungen mit Deutschland führte, musste sich als Verräter beschimpfen lassen. Er konnte sich nur unter Personenschutz bewegen. In der Knesset gab es emotionale Debatten. Auf den Straßen Tel Avis heftige Tumulte. In der Ausstellung sehen Sie Bilder davon. 

Auch Konrad Adenauer musste für das Abkommen kämpfen. Gegen starke Widerstände in der Politik und in der Gesellschaft. Einer Umfrage zufolge unterstützten damals nur elf Prozent der Deutschen das Abkommen ohne Vorbehalte. Auch deshalb wurde das Luxemburger Abkommen auf Bitten Deutschlands schweigend unterzeichnet. Dieses Schweigen ist heute unvorstellbar.

Sehr geehrte Damen und Herren, 
vor 70 Jahren war es unvorstellbar – und doch hat das Abkommen im Laufe der Jahre zur Annäherung zwischen Deutschland und der jüdischen Welt beigetragen. Mit Israel verbindet Deutschland mittlerweile eine enge Freundschaft. Das ist ein unverhofftes Geschenk. 

Im Namen des Deutschen Bundestags sage ich: Es war mir eine große Ehre, Präsident Herzog zu empfangen. Für uns Deutsche ist es ein Geschenk, dass heute wieder Jüdinnen und Juden selbstbewusst in Deutschland leben. Ich betone ausdrücklich, was ich heute vor dem Plenum gesagt habe: Jüdisches Leben zu fördern und seine Sicherheit zu garantieren ist eine Verpflichtung unseres Staates. Und eine Aufgabe unserer Gesellschaft. Wir alle müssen entschieden gegen jede Form von Antisemitismus vorgehen. 

Für die Annäherung Deutschlands an das Judentum war und ist es wichtig, dass wir Deutschen uns der Wahrheit stellen. Anders als 1952. Wir können nicht wiedergutmachen, was nicht wiedergutzumachen ist. Leid lässt sich nicht aufwiegen. Aber wir können seine Folgen lindern und Verantwortung für die Opfer übernehmen. 

Die Zahlungen aus Deutschland waren und sind für die Überlebenden ein wichtiges Symbol. Das ihnen zugefügte Unrecht wird anerkannt – nicht abstrakt, sondern gegenüber jeder und jedem Einzelnen. Oft ist das Geld auch eine wichtige Hilfe im Alltag.

Doch der Antragsprozess ist auch zwiespältig. Wenn die Opfer als Bittsteller ihr Leid minutiös beweisen müssen. Immer wieder werden Fälle erst vor Gericht entschieden. Das unfassbare Unrecht der Shoa lässt sich aber nicht in juristische Kategorien pressen.  Es bleibt ein Widerspruch. Wir können diesen Widerspruch nicht auflösen. Aber wir sollten ihn erträglicher machen. Mit Respekt für die Opfer. Das gehört zu unserer historischen Verantwortung. 

Das persönlich erlittene Unrecht, die Qualen und Leiden verjähren nicht. Viele Überlebende finden erst im hohen Alter die Kraft, einen Antrag auf Leistungen zu stellen, oder erstmals öffentlich über ihre Erlebnisse zu sprechen. So wie Eva Szepesi, die wir nachher im Gespräch mit ihrer Enkelin Celina Schwarz hören werden.
Frau Szepesi, Frau Schwarz, ich danke Ihnen herzlich, dass Sie heute hierher zu uns in den Deutschen Bundestag gekommen sind. 

Die Verantwortung für das Menschheitsverbrechen Shoa endet nicht. Viele Opfer von einst leiden noch heute unter den Folgen der Misshandlungen. Sie sind auf Pflege angewiesen und brauchen medizinische Unterstützung. Selbst im 21. Jahrhundert ist die Shoa noch gegenwärtig. Auch davon erzählt die Ausstellung. 

Diese Ausstellung wird präsentiert vom Bundesfinanzministerium, das in diesem Jahr mit mehreren Veranstaltungen an den Abschluss des Luxemburger Abkommens erinnert. Die Jewish Claims Conference hat die Ausstellung inhaltlich konzipiert, gemeinsam mit dem Knesset-Museum. Allen Beteiligten sage ich im Namen des gesamten Deutschen Bundestags: Herzlichen Dank!
Dieser Dank geht nicht zuletzt an die Beschäftigten der Bundestagsverwaltung, die diese Ausstellung innerhalb kürzester Zeit nach dem Tag der Ein- und Ausblicke aufgebaut haben.

Wir hören jetzt einen Musikbeitrag zweier französischer Künstlerinnen mit einem Lied, das in einem Konzentrationslager entstanden ist. Ich danke auch den Musikerinnen. 

Und ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
 

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