16.09.2022 | Parlament

Eröffnung durch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas: G7-Konferenz der Parlamentspräsidentinnen und Parlamentspräsidenten

[Es gilt das gesprochene Wort]

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 
auch heute begrüße ich Sie sehr herzlich 
– hier im Deutschen Bundestag. 

Schon unser gemeinsamer Abend gestern hat viel Gelegenheit geboten, Gedanken auszutauschen. 

Ich hatte gestern darüber gesprochen: 
Viele Orte unserer Hauptstadt erzählen von den Themen, denen sich unsere Konferenz widmet. 

Für das Reichstagsgebäude, gilt das ganz besonders. 
Sein Wahrzeichen ist die Kuppel. 
Gefertigt aus Glas und Stahl 
– ein Symbol für Offenheit, Transparenz und Stabilität. 
Das wünschen wir uns auch für die Demokratie, die wir in diesem Land aufgebaut haben. 

Wir werden heute Nachmittag darüber sprechen, welche Rolle politische Bildung spielt, um Demokratien ein solides Fundament zu sichern. 

Zuvor geht es um eine ganz andere Form von Architektur: 
Die Sicherheitsarchitektur Europas und der Welt. 
Der russische Überfall auf die Ukraine hat vieles niedergerissen, was wir in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben. 
Oder wie Politikwissenschaftler Professor Herfried Münkler schrieb. 
Er hat die „europäische Friedensordnung nicht nur erschüttert, sondern buchstäblich zertrümmert“.
Zitat Ende. 

Der Angriff auf die Ukraine hat die deutsche G7-Präsidentschaft überschattet und geprägt. 
Er ist zugleich ein Angriff auf unsere gemeinsamen Werte und unsere Vorstellungen von freiheitlichen Gesellschaften.  

Mit dem Ausschluss Russlands aus diesem Kreis haben wir bereits nach der Annexion der Krim 2014 ein Zeichen gesetzt. Dieser Schnitt war zweifelsohne richtig, wenn auch wohl sehr spät.
Warnzeichen gab es schon früher: 
Schritt für Schritt hat sich Russland unter Putin von den Prinzipien der Demokratie abgewandt.

Macht wurde monopolisiert, 
die Presse- und Meinungsfreiheit massiv beschnitten, 
Menschenrechte systematisch verletzt. 

Tschetschenien, Georgien oder Syrien wurden zu Sinnbildern für Putins kompromisslose Bereitschaft, seine Ziele mit Gewalt zu verfolgen. 

Ich sage selbstkritisch: 
Gerade wir in Deutschland haben zu lange gebraucht, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. 
Wir unterlagen zu lange dem Trugschluss, Russland durch wirtschaftliche Verflechtung einbinden zu können. 

Und wir haben denen zu wenig zugehört, die uns gewarnt haben. 

Die Schreckensbilder der Bombardements in der Ukraine und aus Butscha, Irpin und anderen Orten zeugen von der unmenschlichen Kriegsführung der russischen Armee. 
Russlands Präsident bricht mit allen Regeln des Völkerrechts. 

Für ihn ist Freiheit eine Bedrohung, 
Toleranz ein Makel, 
Empathie eine Schwäche. 

Aber: Putin hat nicht mit unserer Geschlossenheit und nicht mit unserer Entschlossenheit gerechnet. 

Unsere Regierungschefs haben in Elmau ein klares Signal ausgesendet: Dieser Gipfel war Ausdruck unserer festen Solidarität mit der Ukraine. 

Diese Solidarität heißt konkret: 
Weitere harte Sanktionen gegenüber Russland, konkrete finanzielle und militärische Hilfe 
sowie politische Unterstützung für die Ukraine. 

Ich bin überzeugt: Die ukrainische Zukunft liegt in der Europäischen Union. 
Wir müssen das Land auf dem Weg dorthin nach Kräften unterstützen.
Im Deutschen Bundestag haben wir erhebliche Mittel mobilisiert: 
Um die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf zu stärken. 
Um das Leid der Menschen zu lindern. 
Und die internationalen Auswirkungen des Kriegs abzufedern.

Die Kriegsfolgen treffen sehr viele Menschen hart – überall auf der Welt. 
Oft gerade die Menschen, die ohnehin mit großen Problemen zu kämpfen haben. 

Für über 800 Millionen weltweit hungernde Menschen, ist durch den Krieg Getreide unerschwinglich geworden. 

Eine lebensbedrohliche Entwicklung.
Bei uns zeigen sich die Auswirkungen des Konflikts momentan vor allem in steigenden Preisen. 
Und auch hier trifft dieses Problem am härtesten diejenigen, die schon lange auf vieles verzichten müssen. Die weder hohe Einkommen noch große Ersparnisse haben. 

Trotzdem stehen die Deutschen in ihrer überwiegenden Mehrheit dazu, die Ukraine zu unterstützen. 
Und nehmen dafür auch persönliche Einbußen in Kauf. 

Weil es richtig ist, zu helfen. 

Die Menschen in der Ukraine kämpfen nicht nur um ihr Leben, sondern um die Souveränität ihres Landes. 

Sie haben Freiheit und Demokratie gewählt. 
Wir dürfen sie in diesem Kampf nicht alleine lassen. 

Täglich wächst die Zahl der Toten und Verwundeten, das Ausmaß der Zerstörung. 
Die Zahl der Geflüchteten wird auf mehr als 10 Millionen geschätzt. 

Der Widerstand der Ukrainerinnen und Ukrainer ist mehr als beeindruckend. Er zeigt gerade in den vergangenen Tagen große Erfolge. Insgesamt bleibt die militärische Offensive Russlands weit hinter den Zielen ihrer Planer zurück. 
Auch, weil sich die Ukraine auf die Hilfe ihrer internationalen Partner verlassen kann. Auf uns. 

Umso wichtiger ist es, nicht nur unsere Unterstützung, sondern auch die Sanktionen gegenüber Russland aufrechtzuerhalten. 
Sie zeigen Wirkung. 

Dennoch müssen wir uns fragen, 
wie wir sie noch treffsicherer ausgestalten können. 
Und wie wir die Kollateralschäden minimieren, die uns selbst treffen.

Es gilt zugleich vorauszudenken. 
An die Zeit, wenn die Waffen hoffentlich irgendwann wieder schweigen. 

Die Ukraine muss wiederaufgebaut werden. Planvoll, konsequent, nachhaltig. 
Auch dabei braucht sie unsere Hilfe. 

Was folgt aus dem Krieg für unsere Staatenwelt? Und wie können wir uns im Kreise der demokratischen Mächte für das Kommende wappnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
den von Putin entfesselten Krieg spürt die ganze Welt. 
Er hat Krisen hervorgebracht, bestehende Gefahrenlagen verschärft. 
Er raubt uns Kraft für wichtige Aufgaben, die keinen Aufschub dulden. 

Wir stehen vor einer weltweiten Zwillingskrise:  Sicherheitspolitik einerseits – Klima- und Umweltpolitik andererseits. 

Nur mit großer Entschlossenheit, Geschlossenheit und langem Atem werden wir sie bewältigen. 

Wir brauchen eine souveräne Ukraine und eine stabile globale Sicherheitsordnung. 

Auf dieser Basis können wir uns wieder auf die Weltrisiken konzentrieren, die uns bedrohen: 

Den Raubbau an unserem Planeten, mit all seinen Folgen – Extremwetter und Artensterben, Hunger und Missernten. 

Neue Pandemien drohen, neue Ressourcenkonflikte zeichnen sich ab: 
Um Trinkwasser, Rohstoffe und Energie. 
Mit Folgen für die globale Dynamik von Flucht, Migration – und Krieg. 

Der Ausgang dieses Krieges wird entscheiden: 
Wie viele Autokraten schrecken wir davon ab, mit militärischem Einsatz auf politischen Gewinn zu spielen?

Es liegt an uns, Autokraten wie Putin in ihre Schranken zu weisen. Die Kraft dazu haben wir: ökonomisch, militärisch, politisch. 

Und wir müssen zusammenstehen, gemeinsame Perspektiven und Positionen entwickeln und verfechten. 
Wir müssen uns besinnen: Auf den besonderen Wert unserer Wertegemeinschaft. 
Darauf, dass sie zugleich eine Schicksalsgemeinschaft ist. 
Die beweisen muss, dass Demokratien die Mittel und die Kraft haben, die Zukunft zu meistern. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Demokratie als Staatsform hat im Jahr 2022 keinen einfachen Stand. 

Die Hoffnung auf ihren unaufhaltsamen Siegeszug hat sich nicht erfüllt. 
In Teilen scheint sie sogar auf dem Rückzug zu sein. 

Die jüngere Vergangenheit hat uns gelehrt: Demokratie ist kein Selbstläufer. 
Sie lässt sich nicht aufzwingen. 
Sie stellt sich nicht einfach so ein, wo Handel blüht. 

Trotzdem hat sie eine Kraft, die ihren Gegnern Furcht einjagt. Darum haben sie ihr den Kampf angesagt – nicht zuletzt mit Manipulation, Desinformation und Propaganda.

Online und offline säen die Feinde der Demokratie Angst und Zwietracht. 
Sie verbreiten Lügen, Vorurteile und Verschwörungsmythen. 
Auch dem müssen wir uns entgegenstellen. 
Mit Fakten und Argumenten. 
Mit den Mitteln des Rechtsstaats, der Wissenschaft und – selbstverständlich –  der politischen Bildungsarbeit. 

Als Demokratien müssen wir die Menschen in unseren Ländern auf diesem Weg mitnehmen. Als Parlamente haben wir dazu viele Möglichkeiten.

Indem wir den Dialog suchen. 
Indem wir polarisierende Kräfte zusammenführen,  
gesellschaftlicher Spaltung entgegenwirken, indem wir integrieren und deeskalieren. 

Aber auch klar widersprechen, wenn es notwendig ist.

Indem wir gemeinsam Strategien gegen Populismus, Demagogie und Extremismus suchen. Längst nicht nur im Angesicht dieses Krieges. 

Wir müssen dafür sorgen, dass die Stimme der Vernunft im öffentlichen Diskurs hörbar bleibt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in vielerlei Hinsicht sind wir als G7 wieder da, wo wir in den 70er Jahren aufgebrochen sind: 

Wir sind konfrontiert mit einer großen, vielschichtigen Krise – zu groß, als dass wir als einzelne Nationen einen Ausweg finden können. 

Wir sind konfrontiert mit den Grenzen des Wachstums, die uns der Club of Rome bereits vor einem halben Jahrhundert aufgezeigt hat. 

Wir sind konfrontiert mit der Notwendigkeit eines sicherheitspolitischen Umdenkens, das damals in Form des KSZE-Prozesses seinen Niederschlag fand.

Wir haben damals viele Weichen gestellt, die Dinge zum Guten zu wenden. 
Aber auf die Fragen der Gegenwart brauchen wir neue Antworten. 

Ich bin überzeugt, dass wir auch diesmal kluge Antworten finden. 
Und ich freue mich darauf, die Suche gemeinsam mit Ihnen und den Abgeordneten Ihrer Parlamente anzugehen. 

Mit großer Entschlossenheit, 
mit großer Geschlossenheit 
und mit langem Atem.

Herzlichen Dank!
 

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