16.03.2024 | Parlament

Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas über die Mütter des Grundgesetzes bei der „zeitgeschichtlichen Veranstaltungsreihe“ in Neustadt (Hessen)

[Es gilt das gesprochene Wort]

 

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, 

sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung und die freundliche Begrüßung. 

Ich freue mich, hier in Neustadt zu sein!

Ihre Veranstaltungsreihe ist eine schöne Tradition gemeinsamen Nachdenkens.

Über prägende Persönlichkeiten und wichtige Marksteine unserer Geschichte. 

Seit 15 Jahren gibt es diesen lebendigen Geschichtsunterricht.

Ich finde es beachtlich, wie Sie das Interesse und die Treue der Menschen lebendig halten. 

Ich wünsche mir mehr solcher Begegnungs- und Bildungsformate.

Gerade auf der kommunalen Ebene. 

Wo die Menschen ihren Alltag leben, wo sie wohnen und arbeiten. Wo sie Politik unmittelbar erleben. Und unmittelbar gestalten können.

Ganz im Sinne unseres Grundgesetzes, das Johannes Rau einmal einen permanenten „Aufruf zur Teilhabe“ nannte.

Die Kommunen sind das Rückgrat unserer Demokratie. 

Nicht umsonst heißt es: Starke Kommunen – starke Demokratie. 

Auch deswegen bin ich gerne zu Ihnen nach Neustadt gekommen.

Meine Damen und Herren,

schon die erste Veranstaltung Ihrer Reihe war dem Grundgesetz gewidmet – zum 60. Jubiläum seiner Verabschiedung. 

Nun wird das Grundgesetz 75. 

Es ist wunderbar, dass Sie diesen Geburtstag unsere Demokratie feiern.

Das Grundgesetz verdient es.

Es ist die Grundlage unseres Staates. Die Grundlage für Rechtssicherheit, Freiheit und Pluralismus. Es gehört zu unserer Identität und Identifikation. 

In den vergangenen Monaten haben Bürgerinnen und Bürger überall in unserem Land gezeigt, dass sie für unsere Verfassung einstehen. 

Sie gehen für die Werte des Grundgesetzes auf die Straße.

Auch hier in Neustadt kamen am 24. Februar rund 450 Menschen zur Kundgebung „Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ zusammen. 

Wir alle zeigen damit auch: Unsere Demokratie ermöglicht uns ein Leben in Freiheit, geschützt durch Rechte. Das ist eine besondere Errungenschaft. 

Unsere Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit! Das wussten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates vor 75 Jahren ganz genau. 

Sie hatten das Scheitern der Weimarer Republik erlebt. Sie hatten gesehen, wohin es führen kann, wenn die Demokratie nicht rechtzeitig verteidigt wird. 

Der Parlamentarische Rat sollte auf den Trümmern der Nazi-Diktatur die Grundlage für eine demokratische Ordnung schaffen. In nur wenigen Monaten. Eine Herkulesaufgabe. 

Nur vier Frauen waren dabei – sechs Prozent der Mitglieder im Parlamentarischen Rat. 

Erstaunlich wenig, wenn man sich die gesellschaftlichen Bedingungen nach dem Krieg anschaut. 

Schon rein demografisch – Frauen bildeten damals die klare Mehrheit der Gesellschaft. Es gab sieben Millionen Frauen mehr als Männer in den vier Besatzungszonen. 

In Berlin kamen auf 100 Männer sogar 170 Frauen, in Sachsen war die Differenz noch größer – zwei Millionen Männer gegenüber drei Millionen Frauen.

Die Frauen hatten ein neues Selbstbewusstsein. Im Krieg und danach bewiesen sie, dass sie alles meistern können. 

Mindestens genauso gut wie Männer. 

Meine Damen und Herren,

während der Parlamentarische Rat tagte, war Deutschland noch schwer vom Krieg gezeichnet. 

In den zerbombten Städten herrschte Wohnungsnot. Rund 16 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge mussten versorgt werden. 

Hunger gehörte zum Alltag. Genauso wie Traumata. 

Hunderttausende von Vätern, Söhnen und Brüdern waren noch in Kriegsgefangenschaft. 

Die Hauptlast des Alltags lag auf den Schultern der Frauen. 

Sie organisierten das soziale Leben, sie kümmerten sich um Waisen, Alte, Kriegsversehrte und Hilfsbedürftige. 

Sie stellten Suppenküchen auf die Beine, eröffneten Kleiderkammern, leisteten medizinische Hilfe, weil viele Einrichtungen zerstört waren. 

Sie räumten Trümmer auf und leisteten Schwerstarbeit. 

Sie übernahmen Verantwortung – in Familie genauso wie in Beruf und Gesellschaft. 

In allen größeren Städten entstanden Frauenbüros, Frauenausschüsse, Frauenverbände. 

Hier sammelte die Gründerinnengeneration der Nachkriegszeit wichtiges Wissen.  

Hier lernten spätere Parlamentarierinnen die Politik kennen und brachten ihre Erfahrungen aus der Weimarer Republik ein. 

Doch das große Engagement der Frauen änderte nichts an ihrer rechtlichen Stellung in der Nachkriegsgesellschaft. 

Und die Väter des Grundgesetzes sahen auch keinen Bedarf, das zu ändern. Aus ihrer Sicht gab es andere drängende rechtsstaatliche Probleme zu lösen. Frauenrechte gehörten nicht dazu. 

Die Frauen im Rat sahen das anders. Sie wollten die Gleichberechtigung voranbringen.

Nur über das „Wie“ waren sich Helene Weber, Elisabeth Selbert, Friederike Nadig und Helene Wessel nicht immer einig. 

Sie stammten aus verschiedenen politischen Lagern. Ihre Lebensgeschichten unterschieden sich. 

Doch vieles hatten sie auch gemeinsam: Alle vier Mütter des Grundgesetzes waren starke Persönlichkeiten - klug und beharrlich, zielstrebig und unabhängig. 

Bequem waren sie nicht, schon gar nicht stromlinienförmig.

Alle vier erlebten die großen Umbrüche der deutschen Geschichte: den Ersten Weltkrieg, den Zusammenbruch des Kaiserreichs und die Novemberrevolution.

Sie erlebten die Einführung des Frauenwahlrechts, die Weimarer Republik und ihr Scheitern. 

Sie erlebten den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg, die Befreiung und Besatzung Deutschlands. 

Alle vier waren erfahrene Parlamentarierinnen. Schon vor dem Krieg waren sie in Politik und Beruf erfolgreich. Das machte sie zu Ausnahmen. 

Die Gesellschaft sah den Platz der Frau im trauten Heim.

Die Vier wussten aus eigenem Erleben um die Benachteiligungen der Frauen im öffentlichen wie privaten Raum.

Die älteste von ihnen, Helene Weber, war als Lehrerin noch vom sogenannten „Lehrerinnenzölibat“ betroffen.

Meine Damen und Herren, 

jetzt sehe ich hier das eine oder andere Fragezeichen in Ihren Gesichtern. Aber keine Sorge: Sie sind nicht allein. Bei Vielen ist diese Regelung in Vergessenheit geraten. 

„Lehrerinnenzölibat“ bedeutete: Wenn eine Lehrerin heiratete, verlor sie ihre Stellung – und jeglichen Anspruch auf ein Ruhegehalt. 

Erst 1919 wurde diese Regelung abgeschafft. Helene Weber war damals 38 Jahre alt.

Sie stritt ihr Leben lang für die Rechte von Frauen – in der katholischen Frauenbewegung und in den Parlamenten: Im Reichstag und im Preußischen Landtag.

Und im Deutschen Bundestag, dem sie von 1949 bis zu ihrem Tod 1962 angehörte.

Sie hatte bereits an der Weimarer Verfassung mitgearbeitet. Sie war die erste Ministerialrätin in der deutschen Geschichte.

Sie setzte sich in der Zentrumspartei bis zuletzt dafür ein, Hitlers Ermächtigungsgesetz zu verhindern. 

Als eine von wenigen.

Und sie drängte Konrad Adenauer 1961 energisch und erfolgreich, mit Elisabeth Schwarzhaupt endlich eine Frau ins Kabinett zu berufen. Adenauer wusste um ihre Qualitäten. Sie habe „mehr Politik im kleinen Finger als mancher Mann in der ganzen Hand“, wurde er zitiert.  

Die Sozialdemokratin Elisabeth Selbert war 15 Jahre jünger. Auch sie wollte Lehrerin werden – ihre Eltern konnten aber die Ausbildungskosten nicht stemmen.

Noch im hohen Alter empfand sie es als „ein bitteres Unrecht“, dass sie die Realschule ohne Zeugnis und mittlere Reife verlassen musste. Im Lehrplan der Mädchenschule fehlten die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer. 

Sie legte das Abitur extern ab. Als fast 30-jährige Mutter zweier Kleinkinder. Nach nur einem Jahr Vorbereitungszeit! 

Anschließend schaffte sie das Jurastudium in sechs Semestern und promovierte 1930 zum Thema „Ehezerrüttung als Scheidungsgrund“. 

Sie war ihrer Zeit weit voraus. Erst 1977 wurde das Zerrüttungsprinzip im Scheidungsrecht Wirklichkeit in der Bundesrepublik. 

Nach dem Krieg arbeitete sie an der hessischen Landesverfassung mit und war zwölf Jahre Abgeordnete im Landtag von Hessen. Die geringe Beteiligung von Frauen in öffentlichen Ämtern verurteilte sie als „Verfassungsbruch in Permanenz“

Vor allem Ihrer Hartnäckigkeit ist der Gleichberechtigungsartikel im Grundgesetz zu verdanken! 

Gleichzeitig war sie überzeugt, ich zitiere: „Es ist die Sache der Frauen, für Gleichberechtigung zu sorgen.“  

Die dritte im Bunde war Friederike Nadig. 

Auch sie war schon in jungen Jahren berufstätig und aktiv in der SPD. 

Als ausgebildete Jugendfürsorgerin leitete sie die Arbeiterwohlfahrt in Ostwestfalen. 

Bis zur Parlamentsauflösung 1933 war sie Abgeordnete im Westfälischen Provinzlandtag. 

Während des Nationalsozialismus mit Berufsverbot belegt, arbeitete sie als Gesundheitspflegerin. 

Nach dem Krieg war sie Abgeordnete im Landtag von Nordrhein-Westfalen. 

Und von 1949 bis 1961 Bundestagsabgeordnete. 

Ihr besonderes Anliegen im Parlamentarischen Rat war unter anderem die gesetzliche Gleichstellung unehelicher mit ehelichen Kindern.

Die jüngste in diesem Frauengespann war Helene Wessel. Sie war 50 Jahre alt, als der Parlamentarische Rat startete. 

„Frauen müssen sich in die staatsbürgerlichen Aufgaben bewusst und freudig einmischen“ war ihr Lebensmotto. 

Auch sie war berufstätig und arbeitete als Wohlfahrtspflegerin. 

Mit 19 war sie Mitglied der Zentrumspartei. Schon sieben Jahre später gehörte sie zum Parteivorstand. Mit 30 Jahren saß sie als jüngste Abgeordnete im Preußischen Landtag. 

1933 als „politisch unzuverlässig“ eingestuft, arbeitete sie beim Katholischen Fürsorgeverein. 

1949 wurde sie Vorsitzende der Zentrumspartei und damit erste Parteichefin der deutschen Geschichte! 

Ihre endgültige politische Heimat fand sie in der SPD, für die sie 1957 ein Bundestagsmandat errang.

Bis 1969 gehörte sie dem Bundestag an. Sie leitete den Petitionsausschuss, plädierte für Volksentscheide und transparente Parteienfinanzierung.

Meine Damen und Herren,

diese vier starken Frauen mussten sich im Parlamentarischen Rat mit ihrer Lebenserfahrung nicht verstecken. 

Für sie alle war selbstverständlich, dass die neue Verfassung die Stellung der Frauen im Staat und im Gemeinwesen heben muss – auf Augenhöhe mit den Männern. 

Die treibende Kraft dahinter war Elisabeth Selbert. 

Sie prägte den entscheidenden Satz, der noch heute unverändert im Grundgesetz steht. Eine schlichte Feststellung:

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ 

Als erfahrene Juristin wusste sie: Es kommt auf jedes Wort an. Die Formulierung muss unmissverständlich sein. Darf keine Interpretationen zulassen. 

Die Weimarer Verfassung war in dieser Hinsicht lehrreich. 

Elisabeth Selbert wusste um die Sprengkraft der Formulierung.

Und musste zuerst ihre Mitstreiterinnen dafür gewinnen. 

Ihre Parteifreundin, Friederike Nadig, befürchtete rechtliches Chaos: 

„Du kannst doch nicht das ganze Familienrecht außer Kraft setzen.“ 

Die staatsrechtlichen Konsequenzen der Formulierung brachte Thomas Dehler von der FDP auf den Punkt: 

„Dann ist das Bürgerliche Gesetzbuch verfassungswidrig.“ 

Und darum ging es Elisabeth Selbert eigentlich – um die Modernisierung der Familiengesetzgebung. 

Immer noch galt der so genannte Gehorsamsparagraph des BGB aus der Kaiserzeit. 

Er lautete: 

„Dem Manne steht die Entscheidung

in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu.“

Was das für Frauen bedeutete, wusste Elisabeth Selbert aus ihrer langen anwaltlichen Erfahrung. 

Die Ehefrau war verpflichtet, den Haushalt zu führen. Der Ehemann war das Oberhaupt der Familie, das in allen ehelichen Angelegenheiten entschied. So bestimmte der Mann über den Wohnort und die Erziehung der Kinder. Er bestimmte über das Vermögen der Frau und ihren Arbeitsplatz, den er gegen den Willen und ohne das Wissen der Frau kündigen durfte. 

Wir müssen uns das wirklich konkret bewusst machen: Die weiblichen Abgeordneten des Bundestages brauchten in den ersten Wahlperioden die Zustimmung ihres Mannes, um das Mandat anzunehmen! 

Es war höchste Zeit, die Frauen aus der Bevormundung zu befreien! 

Allerdings stieß Selbert auf erheblichen Widerstand im Parlamentarischen Rat. 

Sie gab aber nicht auf. Und initiierte einen breiten öffentlichen Frauenprotest. 

Der Parlamentarische Rat bekam Post: von überparteilichen Frauenverbänden, Berufsverbänden der Lehrerinnen und Juristinnen, Kommunalpolitikerinnen, weiblichen Betriebsbelegschaften, Frauenarbeitskreisen, weiblichen Abgeordneten der Landtage oder einzelnen Privatfrauen.  

Eine echte Frauenbewegung für echte Gleichstellung brandete auf. 

Und zeigte Wirkung. 

Bei der dritten Abstimmung im Januar 1949 nahm der Parlamentarische Rat den Gleichberechtigungsartikel an. 

Einstimmig. 

Damit war der Weg frei zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in der Bundesrepublik. Innerhalb von vier Jahren sollten die verschiedenen Gesetzestexte in Einklang mit der Verfassung gebracht werden. 

Die tatsächliche Umsetzung ließ jedoch auf sich warten – und musste Schritt für Schritt durchgefochten werden:

  • Erst 1957 wurde das Gleichberechtigungsgesetz vom 2. Bundestag beschlossen. 
  • 1958 wurde das Letztentscheidungsrecht des Ehemannes in Fragen der Erziehung vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben.
  • 1963 hob das Bundesverfassungsgericht den Vorrang der männlichen Erben auf Bauernhöfen auf. 
  • 1969 wurden verheiratete Frauen als voll geschäftsfähig anerkannt.
  • Erst 1977 erfolgte die Reform des Ehe- und Familienrechts; Frauen sind seitdem zum Beispiel nicht mehr verpflichtet, das sogenannte „gemeinsame Hauswesen“ zu leiten. 
  • 1980 trat das Gesetz über die Gleichstellung am Arbeitsplatz in Kraft.
  • 1994 wurden Frauen im Namensrecht gleichgestellt.
  • Und erst 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt.

Um das deutlich zu betonen: Erst im Jahr 1997, vor 27 Jahren. 

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben viel erreicht auf dem Weg zu echter Gleichstellung.

Als Bundestagspräsidentin betone ich immer gerne: Im Präsidium des Deutschen Bundestages sind die Frauen klar in der Mehrheit. Mit 5 zu 1. 

Wir können auch selbstbewusst feststellen, dass zwölf von 16 Landesparlamenten von Frauen geleitet werden. 

Beharrlichkeit zahlt sich aus. 

Diesen Weg haben uns die Mütter 

des Grundgesetzes gewiesen. 

Doch am Ziel sind wir noch lange nicht. 

Als Bundestagspräsidentin ist mir auch wichtig, dass wir selbstkritisch auf den Frauenanteil im Deutschen Bundestag schauen. Der stagniert seit Ende der 90er Jahre bei rund einem Drittel. 

Es ist Zeit für ein paritätisch-besetztes Parlament. 

Parität kommt aber nicht von allein. 

Deshalb müssen wir weg von freiwilligen Quoten, hin zum verbindlichen Fifty-fifty! 

Ich halte es hier mit Elisabeth Selbert, die forderte: 

„In die Parlamente müssen die Frauen! Dort müssen sie durchsetzen, was ihnen zusteht.“ 

Wir müssen nach Wegen suchen, die den verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung tragen. 

Der Blick ins Ausland zeigt, was möglich ist. Frankreich oder Spanien machen zum Beispiel gute Erfahrungen mit Paritätsgesetzen. In Norwegen bedurfte es nicht einmal einer gesetzlichen Grundlage dafür. 

Es geht also! 

Deshalb ist der Austausch mit anderen Parlamentspräsidentinnen sehr wichtig.  

Erst vor wenigen Tagen haben wir uns in Paris getroffen – mit den Präsidentinnen der Unterhäuser aus aller Welt. 

Und auch in der EU haben wir ein Frauenformat eingeführt. 

Es braucht den Zusammenschluss der engagierten Frauen.

Das zeigt die Geschichte der Frauenrechtsbewegung. 

Und die des Grundgesetzes. 

Die vereinten Anstrengungen über die politischen Lager hinweg ermöglichten das Frauenwahlrecht, den Artikel 3 im Grundgesetz und die rechtlichen und faktischen Fortschritte bei der Gleichberechtigung. 

Frauen mussten sich diese Fortschritte selbst erkämpfen. Und sie müssen es heute weiter tun. Sie verdienen endlich dieselben Chancen auf Teilhabe an der Macht. 

Männliche Mitstreiter in diesem Kampf sind selbstverständlich willkommen. Übrigens profitieren auch die Männer von echter Gleichstellung! 

Auch und gerade in der kommunalen Politik mangelt es an Frauen. Ich bin gespannt, gleich mehr von Ihnen zur Lage in Neustadt zu hören. 

Die Statistik spricht eine klare Sprache: Frauen stellen in den kommunalen Vertretungen nicht einmal ein Drittel. Und nur etwa zehn Prozent der Rathäuser und Landratsämter sind in Frauenhand.

Trotz Frauenquote haben wir auch in der Wirtschaft noch zu wenige Frauen in Führungspositionen, die als Vorbilder so wichtig sind. 

Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit, um Kinderbetreuung oder Pflege unter einen Hut zu bringen. 

Auch deshalb sind sie häufiger von Altersarmut betroffen und haben im Alter knapp 30% weniger Geld. 

Dabei würden berufstätige Mütter gerne mehr arbeiten, wie Umfragen zeigen.

Auch die Care-Arbeit ist immer noch eine Frauendomäne. 

Das Statistische Bundesamt hat die sogenannte „Sorgearbeitslücke“ gerade konkret beziffert: Frauen leisten im Schnitt knapp 30 Stunden pro Woche unbezahlte Arbeit, Männer knapp 21 Stunden. 

Damit liegt der sogenannte Gender-Care-Gap bei knapp 44 Prozent.

Erfreulicherweise ist die Lücke zwischen Frauen und Männern bei der unbezahlten Arbeit kleiner geworden. Sie ist aber nach wie vor beträchtlich. 

Ein weiteres Problem: Frauen verdienen weniger als Männer – im Schnitt rund 18 Prozent. Bei vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Lebensläufen liegt der Unterschied immer noch bei durchschnittlich etwa sechs Prozent. 

Immerhin gilt seit 2017 das Entgelttransparenzgesetz mit klarem Ziel: „Gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“. 

Helene Weber und Friederike Nadig haben es schon vor 75 Jahren gefordert. Leider konnten sie die Lohngleichheit im Grundgesetz nicht durchsetzen.

Eine aktuelle Studie zum Rollenverhalten in der Berufswelt zeigt: Die Spaltung in frauen- und männerdominierte Berufe hält sich hartnäckig. Frauendominierte Berufe werden durchschnittlich schlechter entlohnt als sogenannte Männerberufe. 

Das alles bedeutet im Klartext: Wir müssen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessern.

Als Chefin der Bundestagsverwaltung kann ich einen kleinen Beitrag leisten: Deshalb haben wir Frauen in Führungspositionen gestärkt, setzen die „Charta der Vielfalt“ um und sind seit Mittwoch auch zertifiziert ein „familienfreundlicher Arbeitgeber“ – Dank des Audits „berufundfamilie“. 

Die Vereinbarkeit wird übrigens immer noch zu sehr als Frauenproblem wahrgenommen. 

Stereotype führen dazu, dass Talente brach liegen. 

Schon früh wird Mädchen in den Naturwissenschaften weniger zugetraut. 

Wir sollten das Potential der Frauen stärker heben. 

In der Politik genauso wie in Wirtschaft, Wissenschaft oder Kultur. 

Auch angesichts des Fachkräftemangels. Es gibt genügend leistungsstarke und hoch qualifizierte Frauen in Deutschland. Wir können uns gar nicht leisten, auf sie zu verzichten.

Mein Fazit: Eine geschlechtergerechte Gesellschaft sind wir noch lange nicht, aber wir machen Fortschritte. 

Daran mitzuarbeiten, ist mir ein großes Anliegen. 

Echte Gleichstellung ist auch eine Demokratiefrage. Und eine Frage der Gerechtigkeit. 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Frauenrechte sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind das Ergebnis eines langen Kampfes. 

Oft wird vergessen: Frauen haben die Demokratiegeschichte aktiv mitgeschrieben. Aber sind oft unsichtbar geblieben.

Gut, dass sich das endlich ändert.

Es ist mir wichtig, an Helene Weber, Elisabeth Selbert, Friederike Nadig und Helene Wessel zu erinnern.

Deshalb hat der Deutsche Bundestag vor wenigen Jahren zwei seiner Gebäude unter das Patronat von Elisabeth Selbert und Helene Weber gestellt. 

Ich denke auch an die deutsche Revolution von 1848/49, an die wir in diesem Jahr ebenfalls erinnern. 

Etwa an Emma Herwegh – eine frühe Vorkämpferin der Frauenrechtsbewegung. 

Oder an Louise Otto-Peters, die bereits 1849 das Frauenwahlrecht forderte. 

Meine Damen und Herren,

wir leben in einer stabilen Demokratie, um die uns so manche beneiden. 

Das verdanken wir auch unserem Grundgesetz – und den vier klugen Frauen, an die wir heute erinnern. 

Die Mütter des Grundgesetzes haben den Weg für die modernen Frauen mitgeebnet. Und damit die Gesellschaft gerechter gemacht. 

Wir haben ihnen viel zu verdanken.

Umso wichtiger ist es, dass Sie hier in Neustadt mit Ihrer „zeitgeschichtlichen Veranstaltungsreihe“ diese Frauen in den Mittelpunkt stellen. 

Vielen Dank.

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