03.11.2021 | Parlament

„Die Forschung zu gesundheitlichen Langzeitfolgen ist essentiell“

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Wanderwitz,
liebe Birgit Neumann-Becker,
lieber Dieter Dombrowski,
lieber Herr Prof. Frommer, sehr geehrte Mitglieder des Forschungsverbundes,
liebe Kolleginnen und Kollegen Landesbeauftragte,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

es ist vollbracht. Der Forschungsverbund zur Erforschung der gesundheitlichen Langzeitfolgen von SED-Unrecht nimmt mit dem heutigen Tag seine Arbeit auf.

Ich möchte mich bei Birgit Neumann-Becker für ihr jahrelanges Engagement für dieses Thema bedanken. Ohne ihren Einsatz und der ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter würden wir heute hier nicht stehen und den Startschuss für dieses wichtige Projekt geben.
Ebenso herzlich gilt mein Dank Marco Wanderwitz.

Als Ostbeauftragter haben SIE die Weichen in der Politik dafür gestellt, dass der Bund dieses wichtige Projekt in den nächsten drei Jahren fördert. Als Mensch haben sie immer wieder ein offenes Ohr für die Opfer und ihre Anliegen.
Lieber Dieter Dombrowski, als Vorsitzender der UOKG habe sie viele Jahre für dieses Projekt geworben. Sie haben viele, viele Klinken hierfür in der Politik geputzt. Auch ohne SIE würde es diesen Forschungsverbund heute nicht geben. Vielen Dank für ihre jahrelange Hartnäckigkeit.

Lieber Herr Prof. Frommer, liebe Forscherinnen und Forscher im Forschungsverbund. Ich bin ihnen dankbar, dass sie ihre Kompetenz und ihre Erfahrungen in den kommenden drei Jahren in den Dienst unserer gemeinsamen Sache stellen. Vielen Dank dafür. Ich möchte alle Opfer, alle Betroffenen, ermutigen, dieses wichtige Forschungsprojekt zu unterstützen. Sei es durch die Teilnahme an Studien, an Interviews und an Fragebogenaktionen. Der Erfolg dieses Forschungsverbundes liegt maßgeblich auch in ihren Händen. Die Forschung zu den gesundheitlichen Langzeitfolgen von SED-Unrecht ist essentiell. Aber wir müssen das Thema immer wieder auch in die breite Öffentlichkeit tragen. In den Gesprächen mit vielen Betroffenen erlebe ich, wie Scham besetzt dieses Thema noch immer ist. Auch in den Familien. Durchbrechen wir diese Wand des Schweigens. Ermutigen wir die Betroffenen dazu, über das zu sprechen, was sie erlebt haben. Und: Ermutigen wir sie dazu, sich Hilfe und Unterstützung zu suchen.

31 Jahre nach der Wiedervereinigung stehen wir heute an einem neuralgischen Punkt. Immer mehr Menschen, die unter Repressionen in der DDR gelitten haben, scheiden aus dem Arbeitsleben aus. Da ihre beruflichen Biografien in vielfacher Hinsicht gebrochen sind, haben sie in der Regel nur Anspruch auf eine niedrige Rente. Im letzten Jahr hat die Brandenburger Landesbeauftragte eine Studie zur sozialen Lage der Opfer veröffentlicht. Diese Studie zeigt nachdrücklich, dass neben der schlechten finanziellen Lage vor allem der schlechte Gesundheitszustand der Opfer besorgniserregend ist. Ich werbe in der Politik dafür, dass wir die SED-Opfer im Alter endlich besser unterstützen. 

Niemand, der im SED-Unrechtsstaat für Freiheit und Selbstbestimmung gekämpft hat, sollte heute in unserer demokratischen Gesellschaft ins Abseits geraten.

Als einer meiner ersten Termine nach Amtsantritt besuchte ich im August den Frauenkongress der UOKG in Hoheneck. Eine Frau berichtete mir, wie sie nach ihrer menschenunwürdigen Haft in Hoheneck schließlich freigekauft wurde. Endlich frei, studierte sie Zahnmedizin und arbeitete viele Jahre in Bayern erfolgreich als Kieferorthopädin mit eigener Praxis. Über das, was sie erlebt hatte, sprach sie mit niemandem. Vor ein paar Jahren holten sie die Erlebnisse von Hoheneck wieder ein: Schlafstörungen, Angstzustände, körperliche Leiden wurden zu Begleitern ihres täglichen Lebens. In der Folge musste sie ihre Praxis aufgeben. Zu den körperlichen und seelischen Leiden kamen schließlich Schulden hinzu. Bis heute bemüht sie sich um die Anerkennung ihrer gesundheitlichen Folgeschäden. Bis heute ohne Erfolg.

Mit diesem Problem steht sie nicht allein. Im Durchschnitt scheitern neun von zehn Betroffenen aktuell bei der Anerkennung ihrer gesundheitlichen Schädigung. Ohne diese Anerkennung erhalten sie keinen Zugang zu dringend benötigter Unterstützung. Viele Opfer sind so frustriert und abgeschreckt, dass sie erst gar keinen Antrag stellen.

Damit können und damit dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Wir müssen die Verfahren zur Anerkennung von Gesundheitsschäden endlich stärker im Sinne der Betroffenen gestalten. Die Landesbeauftragten haben hier in den letzten Jahren viel geleistet, auf dass wir aufbauen können. Dies ist ohne Frage eine Mammutaufgabe. Aber ihre Erfüllung ist entscheidend, um den Opfern dauerhaft und nachhaltig zu helfen.

Ich bin mir sicher: Mit seinen Forschungsergebnissen wird der Forschungsverbund auf diesem Weg einen wichtigen Beitrag leisten. Mit dem Forschungsverbund, für den wir heute den Startschuss geben, legen wir ein Fundament. Ein Fundament für eine systematischere Erforschung der gesundheitlichen Folgen von SED-Unrecht. Für diese wichtige Aufgabe sind jedoch aus meiner Sicht drei Jahre zu kurz.

Ich werbe daher dafür, dass wir in den kommenden Jahren die Weichen für ein dauerhaftes nationales Kompetenzzentrum zur Begutachtung und Behandlung von Langzeitfolgen bei SED-Opfern errichten.

Vielen Dank!

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