19.05.2022 | Parlament

Viele Betroffene leiden bis heute an den körperlichen und seelischen Folgen des DDR-Zwangsdopings - Bericht im Sportausschuss

Das Bild zeigt einen runden übergroßen Tisch, an dem viele Menschen sitzen.

Der Sportausschuss - Blick in den Saal. (© DBT / Tobias Koch)

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
meine Damen und Herren,

ich bin dankbar, dass ich als SED-Opferbeauftragte heute hier bei Ihnen im Sportausschuss als Sachverständige eingeladen bin.

Ich bin überzeugt davon, dass der Blick in die Vergangenheit uns dabei helfen kann, dass wir Gegenwart und Zukunft besser gestalten. Wenn es um das Thema Doping in der DDR geht, werde ich immer wieder gefragt: „Naja Frau Zupke, welches Land hat denn nicht gedopt? Messen wir hier nicht wieder einmal, wenn es um die DDR geht, mit zweierlei Maß?“.

Ich erkläre den Menschen dann, was das Doping in der DDR ausgemacht hat. Das Doping in der DDR war keine Privatangelegenheit von Ärzten, Trainern oder Athleten. Das Doping in der DDR war staatlich geplant und staatlich organisiert. Um der weltweiten Einführung der Doping-Kontrollen entgegenzuwirken, verabschiedete im Jahr 1974 das Zentralkomitee der SED einen Staatsplan. Das übergeordnete Ziel war es, um es mit den Worten Erich Mielkes ausdrücken: „Die Überlegenheit des Sozialismus auch auf sportlichem Gebiet zu demonstrieren“.

Gedopt wurden Erwachsene, Jugendliche und Kinder -häufig ohne das Wissen der Betroffenen. Unser Blick fällt viel zu häufig nur auf die Olympiasieger. Das DDR Sportsystem hat jedoch eben nicht nur Medaillen und Weltmeister produziert. Das DDR-Sportsystem ist ebenso verantwortlich für tausende Menschen, die bis heute an den körperlichen und seelischen Folgen des Zwangsdopings leiden. Nach aktuellen Schätzungen kann man von 12.000 bis 15.000 gedopten Athletinnen und Athleten ausgehen. Ein beträchtlicher Teil davon war minderjährig.

Das Doping in der DDR zielte nicht nur auf die Sport-Elite. Mittlerweile wissen wir auch, dass Freizeitsportlerinnen und Freizeitsportler zu Testzwecken gedopt wurden, sozusagen als Versuchskaninchen für den Spitzensport. Dies ist ein Kapitel der Sportgeschichte, das bis heute nicht richtig aufgearbeitet ist.

Bis zu 15.000 gedopte Athleten, die heute an den Spätfolgen leiden!

Diese Zahl wirkt so anonym. Wir müssen uns aber bewusst machen, dass hinter jeder dieser Zahl ein einzelner Mensch steht. Es sind Menschen, die für den Medaillenhunger des SED-Regimes, mit ihrer Gesundheit bezahlen mussten. Es sind Menschen, wie Dörte Thümmler.

Dörte Thümler war Turnerin. Dörte Thümler wurde ab dem Alter von elf Jahren gedopt. Medikamente für den Kraftaufbau und gleichzeitig Wachstumshemmer, damit sie nicht zu groß wird. Erst Jahrzehnte später erfuhr sie aus den Akten, was ihr, Trainer, Funktionäre und Ärzte damals angetan hatten. Ihr wurde, wie vielen anderen Kindern, das Doping untergeschoben. Getarnt in Pralinen und Kaugummi. 1988 holte Dörte Thümmler als Sechszehnjährige bei den Olympischen Spielen in Seoul Bronze für die DDR. Kurz darauf spielte ihr Körper nicht mehr mit. Unendliche Schmerzen. Auf die körperlichen Schäden, folgten tiefe psychische Probleme, die sie bis heute begleiten.

In den zurückliegenden Jahren hat die Politik sich immer wieder für die Doping-Opfer eingesetzt. Hierfür bin ich ausgesprochen dankbar! Mit Blick darauf, wie sehr viele Doping-Opfer bis heute an den körperlichen und seelischen Folgen des Dopings leiden, sehe ich noch immer Handlungsbedarf:

Für die Opfer der SED-Diktatur wurde mit den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen eigens ein Instrument geschaffen, um sie zu rehabilitieren und zu unterstützen. Hilfe ermöglichen diese Gesetze jedoch nur den Betroffenen von SED-Unrecht, die in den Gesetzen adäquat berücksichtigt sind. Dies sind beispielsweise ehemaligen Häftlinge, verfolgte Schüler oder auch die Opfer von Zersetzungsmaßnahme. Wer rehabilitiert wird, hat die Möglichkeit Unterstützungsleistungen zu erhalten und seine gesundheitlichen Schäden anerkennen zu lassen. Die Doping-Opfer sind von diesen Gesetzen nicht erfasst.

Daher ist bis heute nur wenigen Doping-Opfern eine erfolgreiche Rehabilitierung gelungen. Damit der Erfolg einer Rehabilitierung von Doping-Opfern nicht am Ermessen des jeweiligen Sachbearbeiters scheitert, werbe ich dafür, dass der Gesetzgeber hier für Klarheit sorgt. Klarheit dadurch, dass die Doping-Opfer bei der kommenden Novelle der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze als Opfergruppe namentlich im verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz erwähnt werden.

Es gibt ein Thema, welches mir und ich denke auch Ihnen auf dem Herzen liegt. In den letzten Monaten wurde viel geschrieben und gesprochen über eine mögliche Beteiligung des Sportausschussvorsitzendem am System des DDR-Zwangsdopings. Mir ist es bei diesem Thema besonders wichtig gewesen, dass man mit und nicht nur über einander spricht. Ich habe vor Wochen mit Frank Ullrich gesprochen. Ich habe Frank Ullrich vorgeschlagen ein unabhängiges Gutachten zu beauftragten. Hierfür habe ich ihm sowohl eine geeignete Gutachterin als auch Leitfragen für das Gutachten empfohlen. Jetzt liegt der Ball in seinem Feld.

Als SED-Opferbeauftragte habe ich beim Bundesarchiv einen Antrag auf Einsicht in die Stasi-Unterlagen gestellt. Ich wollte mehr erfahren über die Strukturen des Dopings im Umfeld der DDR-Biathlon-Nationalmannschaft. Die Stasi-Unterlagen zeigen eindrücklich, wie in einer Vielzahl von Fällen, Doping-Mittel mit dem Ziel der Leistungssteigerung im Biathlon eingesetzt wurde.

Hier reden wir nicht von Einzelfällen, sondern von einem System. Gerade vor diesem Hintergrund ist aus meiner Sicht die Klärung der Rolle von Frank Ullrich, sowohl in seiner Zeit als Sportler als auch als Trainer, von zentraler Bedeutung. Wann habe ich hingeschaut und wann habe ich weggesehen? Zu diesen Fragen warten nicht nur die Doping-Opfer auf Antworten. Ich sage es ganz offen: Ich hätte mir gewünscht, dass der Schritt zur konsequenten Aufklärung früher gegangen worden wäre. Man muss nicht erst zum Sportausschussvorsitzenden des Bundestages gewählt werden, um sich auch mit diesem Teil der eigenen Biografie tiefer auseinander zu setzen.

Ich wünsche mir für Frank Ullrich und auch für die Sportpolitik und die Doping-Opfer, dass er diese Chance jetzt nutzt.

Vielen Dank!

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