16.02.2023 | Parlament

Rede beim BMBF Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“

Das Bild zeigt eine Frau die hinter einem Rednerpult steht und zum Publikum spricht.

Evelyn Zupke hält anlässlich der Tagung „Die langen Schatten der Verfolgung: Ausmaße, Auswirkungen und Aufarbeitung politischer Repressionen in der DDR“ ein Grußwort (BMBF-Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“), Bundesstiftung Aufarbeitung. (© DBT / Team Zupke)

Rede anlässlich der Tagung „Die langen Schatten der Verfolgung: Ausmaße, Auswirkungen und Aufarbeitung politischer Repressionen in der DDR.“ (BMBF-Forschungsverbund „Landschaften der Verfolgung“), bei der Bundesstiftung Aufarbeitung.

Sehr geehrter Herr Prof. Baberowski,
liebe Linda Teuteberg,
lieber Andreas Otto,
liebe Anna Kaminsky,
liebe Alexandra Titze,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Forschungsverbundes,
sehr geehrte Gäste,

Anfang Januar besuchte ich als ersten Termin in diesem Jahr das ehemalige Kindergefängnis in Bad Freienwalde in Brandenburg. In den Tagen vor meinem Besuch informierte ich mich über die Debatte, die in den zurückliegenden Jahren um die Einrichtung des dortigen Mahnmals geführt wurde. In einem RBB-Bericht wurden Bürgerinnen und Bürger in der Fußgängerzone über ihre Meinung zum Kindergefängnis und zum geplanten Mahnmal befragt:

„Die Kinder sind da sicherlich nicht umsonst hingekommen, meine Meinung.“, berichtete eine Frau Anfang 60. Eine weitere Frau, die interviewt wurde, war noch entschiedener: „Ich habe einige dieser Kinder kennengelernt, wissen Sie. Die haben kein Mahnmal verdient.“

Im ehemaligen Gefängnis traf ich dann genau diese Kinder. Menschen – heute erwachsen – die als Kinder und Jugendliche Haft, Zwangsarbeit und auch körperliche Gewalt erleben mussten. Menschen, die in jahrelangen Gerichtsprozessen für ihre Rehabilitierung kämpfen mussten und für ein Mahnmal, das an ihr Leid erinnert.

Ein Aufenthalt im Gefängnis einer Diktatur, im Jugendwerkhof oder im Spezialheim, wie in Bad Freienwalde, diese Erfahrung des politisch motivierten Freiheitsentzugs ist keine Episode im Leben eines Menschen. So, als wenn man einen Umweg nimmt, um dann aber auf den normalen Lebensweg zurückzukehren. Es ist eine Weichenstellung, in den meisten Fällen für das gesamte Leben.

Die Frage: „Was wurde und was wird aus den Menschen, die Repression erlebt haben?“, bewegt nicht nur mich als Opferbeauftragte. Auch in mehreren der Forschungsprojekte von „Landschaften der Verfolgung“, wie dem der Charité, steht dieser Aspekt im Mittelpunkt der Arbeit. Die Repressionserfahrungen in der Diktatur prägen das Leben der Betroffenen bis zum heutigen Tag. Dieser Punkt ist nicht abstrakt, sondern er zeigt sich ganz konkret im Alltag dieser Menschen.

Im Jahr 2020 haben die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur und im letzten Jahr der Berliner Beauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hierzu umfangreiche Studien für ihr jeweiliges Bundesland vorgelegt. Die Ergebnisse dieser Studien sind bedrückend. Fast jeder zweite Betroffene von SED-Unrecht in Brandenburg lebt heute an der Grenze zur Armutsgefährdung.

Damit können und damit dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Niemand der im SED-Unrechtsstaat für Freiheit und Selbstbestimmung gekämpft hat, sollte heute, in unserer demokratischen Gesellschaft, ins Abseits geraten. Deswegen werbe ich dafür, dass wir die anstehende Novelle der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze auch dafür nutzen, um die soziale Lage der Opfer zu stabilisieren.

Die Zusage, die das wiedervereinigte Deutschland vor über 30 Jahren im Einigungsvertrag den Opfern der SED-Diktatur gemacht hat, die Zusage aus Artikel 17 des Einigungsvertrags, dass die Opfer des SED-Unrechtsregimes rehabilitiert und entschädigt werden. Sie gilt für mich auch nach über 30 Jahren unverändert.

Was wissen wir als Gesellschaft über die SED-Diktatur?

In unseren Kreisen – wie heute Abend hier - sind wir doch meist fast ausschließlich umgeben von Menschen, die sich seit Jahren mit der SED-Diktatur auseinandersetzen oder zumindest ein Grundverständnis über das Wirken des Unrechtsregimes haben. In meiner Arbeit als Ombudsfrau für SED-Opfer erlebe ich jedoch häufig auch ein anderes Bild.

In den letzten Monaten habe ich mit meinem Team einen Mann begleitet, der sich an mich gewandt hatte. In den 80er-Jahren wurde er hier in Berlin über viele Jahre durch die Staatssicherheit überwacht. Es blieb jedoch nicht „nur“ bei der Überwachung. Als Mittel der Einschüchterung wurde er über die Jahre drei Mal festgenommen. Sein Versuch, sich rehabilitieren zu lassen, scheiterte.

Das Gericht führte in seinem Urteil aus: „Es sei unter dem DDR-Regime nicht unüblich gewesen, Opfer von Beobachtungen und Abhörmaßnahmen zu werden“. Und weiter: Das Erlebte stellt „kein drastisches Sonderopfer dar, ein großer Teil der Bevölkerung war diesen Maßnahmen ausgesetzt.“ Es werde damit die „Erheblichkeitsschwelle“ nicht überschritten.

Welches Verständnis der SED-Diktatur und dem Leben in der DDR liegt dieser Beurteilung und dieser Wortwahl zugrunde? Die mehrmalige Verhaftung als ein „Normalschicksal“ eines DDR-Bürgers? Auf welchem Wissen um die Hintergründe und die Folgen der Repression fußt eine solche Einordnung?

Die Ergebnisse des Teilprojekts der Europa-Universität Viadrina zeigen uns, wie unterschiedlich Behörden und Gerichte in den zurückliegenden Jahrzehnten entschieden und geurteilt haben. Wie kann es sein, dass Betroffenen in dem einen Bundesland für die erlebte Repression eine Rehabilitierung zuerkannt bekommen und Betroffene mit gleichem Schicksal in einem anderen Land scheitern?

Oder um es in Zahlen auszudrücken: Wie kann es sein, dass in Thüringen rund 60 Prozent der Betroffenen eine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung erhalten, hingegen in Brandenburg lediglich 16 Prozent?

Wir müssen sicherstellen, dass im Handeln der Behörden und Gerichte die Wirkungsweisen der repressiven Instrumente der SED-Diktatur stärker wahrgenommen werden und ebenso ihre bis heute andauernden Folgen für die Betroffenen. Weg von der isolierten Betrachtung von einzelnen Phänomenen, hin zum stärkeren Erkennen von Zusammenhängen und ihren Auswirkungen!

Der Transfer des Wissens aus Forschung in die Praxis hat daher aus meiner Sicht höchste Priorität.

Dieser Wissenstransfer muss mehr sein, als ein Nebenprodukt von Forschung. Ich bin Ihnen daher dankbar, dass Sie bei „Landschaften der Verfolgung“ hier einen besonderen Schwerpunkt gerade mit Blick auf die Gedenkstättenarbeit setzen. Wir brauchen ebenso eine Stärkung des Themas in der Aus- und Fortbildung von Richterinnen und Richtern. Und wir brauchen eine größere Sensibilisierung von Behördenmitarbeitenden.

Der Deutsche Bundestag hat Mittel für eine zweite Förderphase der BMBF-Verbünde bereitgestellt. In Zeiten eines sinkenden Forschungsetats ist dies ein wichtiges Signal! Um die Forschung zu SED-Unrecht auf Dauer in ihrer Breite zu sichern, sind jedoch weitere Schritte notwendig.

Es bedarf aus meiner Sicht einer Stärkung in der Hochschullandschaft, einer Stärkung in Forschung und Lehre. Mein Blick richtet sich daher auch in Richtung der Länder. Dass es bis heute keinen Lehrstuhl für DDR-Geschichte gibt, wird der Bedeutung dieses Themas für unsere Gesellschaft nicht gerecht. Hier sollten wir dringend handeln.

Wir brauchen die Forschung, um unser Wissen zum SED-Unrecht zu vertiefen und um die Vermittlungsarbeit zu stärken.

Wir brauchen die Forschung als Grundlage für die Entscheidungen von Behörden und Gerichten und für die Weiterentwicklung unserer Gesetze und Verordnungen.

Und: Wir brauchen die Forschung als Grundlage für Verbesserungen bei der Beratung und Begleitung der Betroffenen.

Für all das stehen Sie mit Ihrer Forschung bei „Landschaften der Verfolgung“.

Und dafür bin ich Ihnen dankbar!


Vielen Dank!