Rede zur Ausstellungseröffnung, Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen
Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung „In Zwangsgemeinschaft. Die Arbeitskommandos der Strafgefangenen in Hohenschönhausen“.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär Dr. Torsten Wöhler,
lieber Herr Dr. Helge Heidemeyer,
liebe Frau Kathaina Hochmuth,
lieber Herr Engwert, liebe Frau Dr. Fuchslocher,
und ganz besonders: liebe Zeitzeuginnen und Zeitzeugen,
mich bewegt es persönlich sehr, heute hier zu Ihnen über die Frauen von Hohenschönhausen zu sprechen.
Meine Verhaftungen und Verhöre 1989 führten mich nicht nach Hohenschönhausen. Wenn ich hier heute stehe und sehe was die Menschen in Hohenschönhausen erdulden mussten, wird mir immer wieder bewusst, was für ein unfassbares Glück ich hatte.
Auch wenn ein Besuch in Hohenschönhausen immer wieder bedrückend ist, so ist Hohenschönhausen gleichzeitig für mich auch ein Ort der Hoffnung. In vielen Gesprächen mit ehemaligen Häftlingen erlebe ich immer wieder, wie wichtig die Arbeit der Gedenkstätte für die Opfer ist.
Die Forschung zum Haftalltag, zu den Biografien der Häftlinge und zu den Strukturen des Repressionsapparates und gleichzeitig die Vermittlung in die Gesellschaft.
Oder, wie es ein ehemaliger Gefangener mir gegenüber ausgedrückt hat:
„Dank Hohenschönhausen werden wir nicht vergessen.“.
Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das Thema der Häftlingsarbeit, insbesondere der Frauen, in den Mittelpunkt Ihrer Forschung und der neuen Ausstellung gestellt haben. Für mich sind gerade die Häftlingsarbeit und die politische Inhaftierung von Frauen, Themen, die mehr Aufmerksamkeit verdienen.
Wer aber waren diese Frauen, die hier inhaftiert waren, die hier in Arbeitskommandos eingesetzt wurden?
Für mich bekamen die Frauen von Hohenschönhausen im letzten Jahr ein Gesicht. Im letzten Jahr, als ich – passenderweise zum Weltfrauentag – in Bremen eine dieser Frauen traf, eine politische Gefangene aus Hohenschönhausen, Manuela Morgenstern.
Manuela Morgenstern wuchs mit ihren drei Brüdern vor den Toren Berlins auf. Ihre Kindheit und Jugend beschrieb sie als ein Leben in zwei Realitäten. Das Leben in der Schule, in der FDJ, in der Öffentlichkeit, geprägt von Konformität und Anpassung. Und das Leben in der Familie, den Widerspruch zum System und das Gefühl der Ausweglosigkeit.
Als junge Frau wagte Manuela Morgenstern schließlich mit ihrer Familie die Flucht. Mit Hilfe von Fluchthelfern versuchte die Familie, versteckt in mehreren Autos, die Grenze unbemerkt zu überqueren.
Fast alle schafften es. Nur Manuela, ihr Vater und ihr Onkel wurden wenige Meter vor dem ersehnten Ziel, im Kofferraum eines der Wagen, von den Grenzsoldaten entdeckt.
Ihr Weg führte Manuela Morgenstern nicht in die ersehnte Freiheit, sondern hierher, hier nach Hohenschönhausen. Ihre Haft war geprägt von Erniedrigung und von harter Arbeit. Schließlich wurde sie von Hohenschönhausen in das berüchtigte Frauengefängnis nach Hoheneck verlegt.
Am 25. Juli 1973 kaufte die Bundesrepublik sie frei.
Ich möchte aber die Auseinandersetzung mit den inhaftierten Frauen und ihrer Häftlingsarbeit in einen größeren Kontext stellen. Diese Frauen kamen doch - salopp gesprochen - nicht als politische Häftlinge auf die Welt. Sie sind aufgewachsen in einer Gesellschaft, ein Leben im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Widerspruch.
Aber wie ist denn heute unser Bild von Frauen in der DDR?
Wie deutlich die Sichtweisen in unserer heutigen Gesellschaft hier auseinandergehen, merke ich jedes Jahr wieder im Vorfeld des Frauentages. Da lese ich in den Zeitungen von manchen Politikerinnen und Politikern bis hin zu Ministerpräsidentinnen und –präsidenten, die sagen: Die DDR sollte Vorbild für uns sein, für die Gleichberechtigung von Frauen. Die DDR als Vorbild? Wenn ich sowas höre, frage ich mich: Wird dort von dem Land gesprochen, in dem ich gelebt habe?
Viele Frauen in der DDR haben keine Gleichberechtigung erlebt, sondern Zwang. Individualität war nicht erwünscht, sondern Konformität und zwingende Bereitschaft, sich dem Kollektiv unterzuordnen. Ich denke dabei ganz besonders auch an Einrichtungen, wie die Wochenkrippen, in denen die Kinder von Schichtarbeiterinnen, mitunter nur sechs Wochen alt, von Montag bis Freitag oder Sonnabend 24 Stunden, Tag und Nacht, ohne Kontakt zu Mutter oder Vater, betreut wurden.
Die Entscheidung, wie viel Zeit die Frauen für die Arbeit oder die Familie einsetzen wollten, wurde oft einfach durch das System getroffen. Gleichzeitig wurden die Frauen, die sich dem System nicht fügen wollten, mit unerbittlicher Härte verfolgt und bestraft. Hier gab es sie tatsächlich, die beschworene Gleichberechtigung der Geschlechter. Oder wie es der sowjetische Autor Wassili Grossman in seiner Erzählung „Alles fließt“ von 1964 beschreibt:
„Die Gleichberechtigung der Frau ist nicht an den Lehrstühlen und nicht in den Werken der Soziologen verankert worden…. (doch) in Ewigkeit verankert durch das Leid in Lagern, Transportzügen und Gefängnissen.“
Gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass wir, wenn wir uns mit Frauen in der DDR auseinandersetzen, den Blick ganz besonders auch auf die Frauen richten, deren Menschenrechte verletzt wurden.
Sie sind bis heute viel zu häufig im Schatten der öffentlichen Wahrnehmung. Und sie leiden bis heute unter den Spätfolgen von Inhaftierung und Zwangsarbeit. Aber das Leid erstreckte sich eben nicht nur auf die Frauen selbst, sondern betraf meist die gesamte Familie.
Als 2011 der damalige Bundespräsident Christian Wulff das Frauenzuchthaus Hoheneck besuchte, berichtete eine ehemalige politische Gefangene von der Beziehung zu ihrem Sohn. „Nur weil du in den goldenen Westen wolltest, gab es niemanden der mich im Kinderheim zugedeckt hat, als ich gefroren habe.“ Diese Worte des Sohnes an seine Mutter zeigen uns, wie weit der Schatten der Diktatur reicht. Die Weitergabe der Traumata zwischen den Generationen ist ein Thema, welches bisher viel zu wenig Wahrnehmung gefunden hat.
Mir ist es daher wichtig, dass gerade die politisch verfolgten Frauen und ihre Kinder eine stärkere Lobby in unserer Gesellschaft erhalten. Mit Ihrer neuen Ausstellung klären Sie auf über die Hintergründe der Arbeitskommandos und des Haftalltags. Sie geben mit Ihrer neuen Ausstellung den Frauen ein Gesicht und eine Stimme.
Als SED-Opferbeauftragte des Deutschen Bundestages bin ich davon überzeugt, dass gerade mit dieser Arbeit den Opfern ein Stück Würde zurückgegeben wird. Würde, die die Diktatur ihnen genommen hat.
Vielen Dank dafür!