„Verronnene Zeit“, Impulsvortrag beim Bundeskongress politisch verfolgter Frauen in der SBZ und DDR, Halle
Sehr geehrte Frau von Biela,
sehr geehrte Bundestagsabgeordnete,
liebe Heike Brehmer, liebe Linda Teuteberg,
liebe Birgit Neumann-Becker, lieber Frank Ebert,
liebe Konstanze Helber, lieber Dieter Dombrowski,
und vor allem:
liebe Teilnehmerinnen des zweiten UOKG-Frauenkongresses,
„Zweiter Bundeskongress politisch verfolgter Frauen in der SBZ und DDR.“
Das hört sich so selbstverständlich an.
„Zweiter Bundeskongress politisch verfolgter Frauen“
Für mich ist dieser Kongress nicht selbstverständlich. Dass die Frauen, die in der Diktatur gelitten haben, sich vernetzen. Dass die Frauen aufstehen und deutlich auf ihre Situation hinweisen. Selbstverständlich ist all dies nicht.
Es erfordert Mut. Und es fordert Entschlossenheit.
Ich bin Ihnen umso dankbarer, dass so viele von Ihnen diesen Mut und diese Stärke aufbringen.
Dass sie über das berichten, was sie in der DDR erlebt haben. Über die Repression. Über das Leben in Angst. Und darüber, wie diese Erfahrungen sie selbst und ihre Familien bis heute begleiten.
Gerade die Gespräche mit Ihnen zeigen mir, dass der Blick auf die Repression und die politische Haft, insbesondere von Frauen, heute noch immer viel zu einseitig ist.
Der Konflikt mit dem Staat.
Die Inhaftierung.
Und schließlich: die Freiheit.
Eine Geschichte mit Happy End.
Die Realität von vielen tausenden Frauen ist bis heute jedoch eine andere.
Als 2011 der damalige Bundespräsident Christian Wulff das Frauenzuchthaus Hoheneck besuchte, berichtete eine ehemalige politische Gefangene ihm von der Beziehung zu ihrem Sohn.
„Nur weil du in den goldenen Westen wolltest, gab es niemanden, der mich im Kinderheim zugedeckt hat, als ich gefroren habe.“
Mir fällt es schwer diese Geschichte zu erzählen, weil sie mich immer wieder trifft. Diese Worte des Sohnes an seine Mutter zeigen uns, wie weit der Schatten der Diktatur reicht.
Wenn wir uns heute mit dem Unrecht in der DDR auseinandersetzen, dann geht es dabei eben nicht um etwas, was lange vergangen ist.
Es geht um Menschen. Menschen, die bis heute unter dem Erlebten leiden.
Ich sehe es als unsere gemeinsame Aufgabe, dass wir als demokratische Gesellschaft diesen Menschen, die in der DDR für Freiheit, Selbstbestimmung und Bürgerrechte gekämpft und damit den Weg zur Friedlichen Revolution geebnet haben, dass wir diese Menschen so unterstützen, dass sie in unserer heutigen Demokratie ein selbstbestimmtes Leben führen können.
Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie beim letzten Frauenkongress in Stollberg aber auch dieses Jahr hier in Halle, Ihre Forderungen an die Politik formulieren.
Ich bin Heike Brehmer und Linda Teuteberg dankbar, dass sie beide heute hier sind. Wenn wir uns der Frage „Was muss für die Opfer geleistet werden?“ nähern, ist es mir besonders wichtig, dass wir eines immer wieder berücksichtigen: Für den Prozess der Aufarbeitung der Diktatur und der Unterstützung der Opfer, gab es kein Vorbild. Es gab keine Blaupause, an der man sich hätte orientieren können.
In den zurückliegenden drei Jahrzehnten wurde viel für die Opfer erreicht. Insbesondere die Rehabilitierungsgesetze sind ein Anker für die Betroffenen. Das Unrecht, das die Diktatur den Opfern zugefügt hat, wird in der Demokratie gelindert.
Bei der letzten Überarbeitung der Gesetze in 2019 wurden mit der Entfristung der Antragstellung, mit der Reduzierung der Mindesthaftzeit zur Gewährung der Opferrente und mit der Einführung der Einmalzahlung für Zersetzungsopfer, wichtige Akzente für die Opfer gesetzt.
Aber all das Erreichte darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir auch heute noch vor großen Herausforderungen stehen. Herausforderungen, die vor zwanzig oder dreißig Jahren eben nicht vorhersehbar waren. Herausforderungen, für die unsere bisherigen Instrumente zur Unterstützung der Opfer leider nicht geeignet sind.
Ich möchte daher sehr gerne einen Punkt ganz besonders aufgreifen. Einen Punkt, der mich in meiner Arbeit als Opferbeauftragte des Bundestages tagtäglich begleitet.
Die gesundheitliche Situation vieler Frauen, die unter Repression leiden mussten, ist heute mehr als beunruhigend. Frau Maslahati von der Charité wird uns aus ihrer aktuellen Forschung hierzu morgen noch Genaueres berichten.
Die traumatischen Erlebnisse von Haft und Erniedrigung. Von Kindesentzug und Zwangsarbeit. Sei es in Hoheneck, in Hohenleuben, im Roten Ochsen oder an vielen weiteren Orten der Repression. Diese Erlebnisse holen die Frauen oft erst nach Jahrzehnten wieder ein: Schlafstörungen, Angstzustände, körperliche Leiden. All das wird zu Begleitern des täglichen Lebens.
Diese Frauen brauchen Hilfe.
Und diese Frauen suchen Hilfe.
Die meisten von ihnen jedoch scheitern auf ihrem Weg der Anerkennung ihrer Gesundheitsschäden.
Ohne Anerkennung keine Hilfe.
Wie es sich für die Opfer anfühlt, im jetzigen Anerkennungssystem zu scheitern, durfte ich bei einer Betroffenen aus Baden-Württemberg erleben.
Als junge Frau entschied sie sich nach langem Ringen, die DDR zu verlassen und stellte einen Ausreiseantrag. Dass sie einer Freundin im Westen von ihrem Wunsch berichtete, wurde ihr zum Verhängnis. Für „Ungesetzliche Verbindungsaufnahme“ wurde sie zu 20 Monaten Haft verurteilt.
Einschüchterungen, Zwangsarbeit, Demütigungen, ja sogar Zwangsuntersuchungen durch einen Frauenarzt musste sie auf ihrem Leidensweg durch die DDR-Gefängnisse ertragen. Schließlich wurde sie aus dem Gefängnis entlassen und konnte ein halbes Jahr später ausreisen.
Angekommen im Westen, ließen sie die traumatischen Erlebnisse aus der Haft nicht los. Mit den Jahren wurde es sogar immer schlimmer. Panikattacken, Schlaflosigkeit und Angstzustände. Jeden Tag aufs Neue.
2006 stellt sie ihren ersten Antrag auf Anerkennung eines Haftfolgeschadens - und scheiterte.
Über Jahre kämpfte sie weiter und zog vor die Gerichte. Nach 8 Jahren, 2014, gab es endlich Licht am Ende des Tunnels. Im Rahmen eines Vergleiches wurde ihr schließlich ein niedriger Grad der Schädigung zugesprochen und damit der Zugang zu Leistungen gewährt.
Endlich ein Teilsieg für die Betroffene, würde man denken.
Drei Jahre später, 2017 jedoch, bekam sie erneut Post vom Amt. Bei erneuter Überprüfung des Schädigungsgrades habe man festgestellt, hieß es in dem Schreiben, dass andere, aktuellere Ereignisse in ihrem Leben sich negativ auf ihre Psyche ausgewirkt haben müssten. Ihre Scheidung und der Verkauf des Eigenheims seien die Hauptursache für ihre psychischen Probleme und nicht die Monate in den Gefängnissen einer Diktatur. Der Grad der Schädigung wurde wieder auf null gesetzt und der Zugang zu den Leistungen verwehrt.
Seitdem kämpft die Betroffene weiter.
Sie kämpft nicht nur darum, dringend benötigte Leistungen zu erhalten.
Sondern sie kämpft vor allem um Gerechtigkeit und auch um ihre Glaubwürdigkeit.
Für mich ist dieses Beispiel symptomatisch. Über Jahre schon kämpfen die Opferverbände, die Landesbeauftragten und viele in der Politik dafür, dass die Anerkennungsquoten bei den Anträgen von SED-Opfern auf Beschädigtenversorgung endlich besser werden.
In den letzten 30 Jahren haben Bundestag und Bundesrat Prüfungen für Verbesserungen und einzelne Veränderungen am bestehenden Anerkennungssystem beschlossen. Leider führte keine dieser Bemühungen zum Erfolg.
Heute müssen wir uns eingestehen, dass das bisherige Anerkennungssystem gescheitert ist. Was wir brauchen, ist eine Neu-Orientierung. Weg von der Ermessensentscheidung des einzelnen Sachbearbeiters! Was wir brauchen, ist ein Verfahren, bei dem anhand klar definierter Kriterien entschieden wird!
Ich habe dem Bundestag hierfür einen ganz konkreten Vorschlag vorgelegt.
Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Mein Vorschlag hat sich bewährt. Er orientiert sich an den Regelungen im Soldatenrecht. Hier hat man vorgemacht, wie anhand von klar definierten Kriterien, die Kausalität zwischen dem schädigenden Ereignis und dem heutigen psychischen Gesundheitsschaden vermutet wird.
Für Opfer der SED-Diktatur können wir die schädigenden Ereignisse klar benennen und belegen: Sei es politische Haft oder seien es Zersetzungsmaßnahmen. Ebenso klar kennen wir die heutigen Krankheitsbilder, wie die Posttraumatische Belastungsstörung.
Ich wünsche mir, dass das, was der Bundestag vor Jahren aus Gründen der besonderen Fürsorge für die Soldatinnen und Soldaten möglich gemacht hat, dass das der Bundestag auch für die Opfer der SED-Diktatur auf dem Weg bringt.
Die Zusage, die das wiedervereinigte Deutschland vor über 30 Jahren den Opfern der SED-Diktatur im Einigungsvertrag gemacht hat, diese Zusage, dass die Opfer des SED-Unrechts-Regimes rehabilitiert und entschädigt werden, sie gilt für mich auch nach über 30 Jahren unverändert. Diese Zusage drückt für mich die besondere Fürsorge aus, die die Politik und wir als Gesellschaft gegenüber den Opfern haben.
Ich bin dankbar, dass der Deutsche Bundestag vor wenigen Monaten zum 70. Jahrestag des DDR-Volksaufstandes eben nicht nur den Opfern des 17. Juni gedacht und an den jahrzehntelangen Widerstand in der DDR erinnert hat.
Der Bundestag hat zum Jahrestag auch einen grundsätzlichen Beschluss zur besseren Unterstützung der Opfer gefasst. Das Parlament sieht, wie wir, Handlungsbedarf, um die Lage der Opfer weiter zu verbessern.
So hat der Bundestag in seinem Beschluss beispielsweise die Bundesregierung ganz konkret aufgefordert, den schon im Koalitionsvertrag vorgesehenen bundesweiten Härtefallfonds nun endlich einzurichten.
Ich habe als Opferbeauftragte des Bundestages schon im letzten Jahr den unterschiedlichen Ministerien ein konkretes Konzept vorgelegt, wie ein solcher Fonds gestaltet werden kann. Hier erwarte ich in den nächsten Wochen eine Entscheidung der Bundesregierung, welches Ministerium die Verantwortung für Fonds übernimmt, damit die Arbeit beginnen kann.
Ein ganz wichtiger Punkt ist die weitere Überarbeitung der Rehabilitierungsgesetze. Hier hat der Bundestag in seinem Beschluss die Regierung aufgefordert, bei der anstehenden Überarbeitung die Impulse der SED-Opferbeauftragten zu berücksichtigen.
Meine Zielrichtung ist hierbei klar!
Verbessern wir die soziale Lage der Opfer.
Schließen wir Gerechtigkeitslücken in den Reha-Gesetzen.
Und schaffen wir endlich ein einfaches und gerechtes System zur Anerkennung der Gesundheitsschäden.
Für mich ist dieser Beschluss des Bundestages ein wichtiges Signal in Richtung der Opfer. Ein Signal insbesondere auch an die Heldinnen von Hoheneck und Hohenleuben, dem Roten Ochsen und den weiteren Haftanstalten. Ein Signal an all die tausenden politisch verfolgten Frauen.
An die Frauen, die in der Diktatur nicht klein beigegeben haben. Und die für ihr widerständiges Verhalten einen hohen Preis zahlen mussten.
Es sind diese Menschen, die mit ihrem Mut ganz maßgeblich den Weg zur Friedlichen Revolution und zur Deutschen Einheit geebnet haben.
Bessere Botschafterinnen für den unschätzbaren Wert unserer heutigen Demokratie im wiedervereinigten Deutschland als sie, die politisch verfolgten Frauen, kann es für mich nicht geben.
Ja. Eine Diktatur mit den Mitteln des Rechtsstaats aufzuarbeiten, ist nicht einfach.
Vielen Dank!