15.04.2024 | Parlament

Statement zum Sächsischen Gedenkstättenkonzept im Ausschuss für Wissenschaft, Hochschule, Medien, Kultur und Tourismus des Sächsischen Landtags

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
sehr geehrte Abgeordnete,

vor ein paar Monaten war ich als Zeitzeugin in einer Schule zu Gast, um mit Schülerinnen und Schülern über mein Leben in der DDR zu sprechen. „Mehrmals im Jahr mussten wir auf dem Schulhof antreten zum Appell. Vom Schulleiter kam dann eine Rede nur mit Lob für die Staatsführung. 
Für uns gab es zwei Wahrheiten. Die in der Schule, insbesondere von den Lehrern, und eine völlig andere Wahrheit bei uns zuhause in der Familie.“

Das war nicht meine Schilderung des Schulalltags in der DDR. Es war eine Schülerin, die drei Jahre zuvor mit ihrer Familie aus Syrien vor dem Assad-Regime geflüchtet war und die uns an ihren Erlebnissen in der Diktatur teilhaben ließ. Diese Geschichte zeigt plastisch, wie sich unsere Gesellschaft verändert. Themen, wie Diktatur und Repression sind eben nicht nur Themen der Vergangenheit. Sie begleiten uns durch die Medien und durch persönliche Begegnungen in unserem Alltag. 

Aus meiner Sicht liegt hierin eine besondere Chance für unsere Erinnerungskultur. Die Chance, dass die Auseinandersetzung mit unserer Gegenwart und die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit sich gegenseitig befruchten. Dass das Verständnis in unserer Gesellschaft dafür wächst, was es heißt, Opfer politischer Gewalt, damals wie heute, zu werden. 

Gerade vor diesem Hintergrund möchte ich mich ganz herzlich bei Ihnen für die Einladung in den Landtag, hier zu der Anhörung zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Sächsischen Gedenkstättenstiftungsgesetzes, bedanken. Bei der Novellierung des Gedenkstättenstiftungsgesetzes selbst [wie vielfach jetzt schon vorher gehört], handelt es sich im Wesentlichen ja um redaktionelle Änderungen und insbesondere die gesetzliche Anpassung einer bereits beschlossenen Trägerschaftsübernahme einer Gedenkstätte sowie auch eine die Geschäftsführung der Stiftung betreffende nachvollziehende gelebte Praxis. [Diese Punkte scheinen nicht strittig.]

Mit der Anhörung geben Sie im sächsischen Landtag also vor allem der wichtigen Aufgabe einer Debatte zur zukunftsfesten Gestaltung der Gedenk- und Erinnerungskultur einen großen Raum im Parlament. Das ist nicht selbstverständlich. Als Vertreterin einer Institution, die zur Bundesebene gehört, ist mir eines besonders wichtig: Auch wenn der Bund in vielen Fragen des Umgangs mit unserer Geschichte, insbesondere in der Unterstützung der Opfer, eine besondere Rolle innehat, so findet doch die konkrete Auseinandersetzung mit der politischen Verfolgung in der SBZ und DDR und seinen Folgen ganz maßgeblich vor Ort statt. In den Ländern, in den Kommunen und insbesondere auch in den Familien. 

Die Aufarbeitung der SED-Diktatur ist ein gesellschaftlicher Prozess. Gleichzeitig ist er jedoch auch ein ganz persönlicher jedes Einzelnen. 

Vor diesem Hintergrund möchte ich sehr gerne die Möglichkeit heute nutzen, um Ihnen aus meiner Perspektive als SED-Opferbeauftragte des Bundestages Punkte zu benennen, die aus meiner Sicht für die Weiterentwicklung unserer Gedenk- und Erinnerungslandschaft von Bedeutung sind. 

Eines vorweg geschickt: Der Freistaat Sachsen leistet viel im Bereich der Erinnerungskultur. Für dieses Engagement bin ich außerordentlich dankbar. 

Aber, unsere Erinnerungskultur ist nichts Statisches. Sie war und ist vielen Veränderungen unterworfen, damit die Vermittlungsarbeit auch unter sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gelingt. Umso wichtiger ist aus meiner Sicht das Fundament, auf das wir unsere Gedenkstättenarbeit stellen. 

Neben der Vermittlung des historischen Wissens tragen die Gedenkstätten mit ihrer Arbeit ganz wesentlich dazu bei, den antitotalitären Konsens in der Gesellschaft zu festigen und das Bewusstsein für den Wert der freiheitlichen Demokratie und der Menschenrechte zu stärken. In dieser Funktion sollten wir unsere Gedenkstätten weiter stärken.

Ich bin daher dankbar, dass Sie in der Präambel des Gedenkstättenstiftungsgesetzes das Eintreten für Menschenwürde, Freiheit, Recht und Toleranz und Gefährdungen dieser Grundwerte und der Demokratie vorangestellt haben.

Gedenkstätten [wie jetzt auch institutionell im Gesetz abgesichert Großschweidnitz und neu für den Bereich der Erinnerung an den SED-Unrechtsstaat der Lern- und Gedenkort Kaßberg] und natürlich Bautzen, die Runde Ecke, das Frauengefängnis in Hoheneck, aber auch Archive, wie das Archiv Bürgerbewegung, tragen ganz wesentlich dazu bei, dass die Geschichte von politischer Verfolgung und die Geschichte des Widerstandes in der SED-Diktatur nicht vergessen, sondern in unsere Gesellschaft vermittelt wird. Als besondere Herausforderung tritt für die Gedenkstätten – auch hier in Sachsen – oft die Aufgabe hinzu, dass die Gedenkstätten Orte des Verbrechens unterschiedlicher Repressionsphasen sind. Das erfordert eine besondere Sensibilität und auch personelle Ausstattung für die Gedenkstätten.

Als SED-Opferbeauftragte ist für mich die Arbeit der Gedenkstätten nicht nur unerlässlich und wertvoll. Sie sind es, die durch ihre Arbeit erst dazu beitragen, dass Opfergruppen, wie beispielsweise die in der DDR politisch verfolgten Frauen von Hoheneck, die viel zu lange keine oder wenig Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit fanden, sichtbar werden. Diese Perspektiven aber sind wichtig, um das Wirken der Diktatur in unsere Gesellschaft zu verstehen. 

Durch ehrenamtliches Engagement und finanzielle Unterstützung des Freistaats und der Kommunen wird hier eine wichtige Arbeit geleistet. Besonders betonen möchte ich dies hinsichtlich des unermüdlichen Engagements, was den Kaßberg angeht - als gesamtdeutsches Symbol für den Häftlingsfreikauf - und für die Gedenkstätte Frauenhaftanstalt Hoheneck - als national bedeutendes Symbol für den Widerstand der Frauen in der SBZ/DDR -, wo ich im Sommer zusammen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung der Dauerausstellung dabei sein werde. 

Mit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten hat der Freistaat ein Instrument geschaffen, welches die Trägerschaft und Förderung von Gedenkstätten übernimmt und gleichzeitig aber auch fachliche Beratung in Fragen von Struktur und Vermittlung leisten kann. 

Diese Arbeit jedoch kostet Geld. Die auskömmliche finanzielle Ausstattung der Stiftung und der einzelnen Gedenkstätten - auch, was das Personal angeht, ich hatte es schon erwähnt - ist jedoch ist die Grundlage für eine erfolgreiche Arbeit. Insbesondere auch, um die von der Politik hochgesteckten Ziele zu erreichen. 

In den nächsten Jahren wird die Zeitzeugen-Generation zunehmend aus der Mitarbeit in den Einrichtungen ausscheiden. Gerade vor diesem Hintergrund sind in den nächsten Jahren – trotz enger öffentlicher Haushalte – weitere Mittel notwendig, um die hohe Qualität der Arbeit der Einrichtungen zu sichern. Das gilt insbesondere noch einmal mehr, wenn die Arbeit der Gedenkstätten künftig auch noch stärker in einem auch europäischen Kontext gedacht werden soll. Für mich sind diese Ausgaben bei der Vermittlung der Geschichten der Opfer, also der konkreten Folgen von Repression, jedoch eine ganz wesentliche Investition in unsere Demokratie. 

Der Wegfall von Zeitzeugen ist dabei jedoch nicht nur eine Frage von ehrenamtlicher Arbeit. Der Wegfall von Zeitzeugen stellt uns vor mehreren Herausforderungen. Es gilt neue Formate zu entwickeln, die Geschichte lebhaft vermitteln und Empathie für die Opfer ermöglichen, ohne dass die persönliche Begegnung möglich ist. Und es gilt die Schilderungen der Zeitzeugen zu dokumentieren und zu archivieren, damit sie auch künftigen Generationen zur Verfügung stehen. 

Eine weitere große Herausforderung liegt in der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft. Wir müssen uns eines bewusst machen: Nur das, was im digitalen Raum sichtbar ist, findet Wahrnehmung in der Gesellschaft. Um diese Veränderungsprozesse zu gestalten, braucht es nicht nur Finanzmittel, sondern es braucht eine Strategie. 

Eine zentrale Rolle in der Begleitung dieser Veränderungsprozesse kann neben der Gedenkstättenstiftung hierbei auch das Amt der Landesbeauftragten übernehmen. Während der Berliner Beauftragte über rund 20 Stellen verfügt, leistet die sächsische Landesbeauftragte mit ihrem kleinen Team mit nur sechs Stellen im größten Flächenland eine beeindruckende Arbeit. Eine Arbeit, die aus meiner Perspektive weiter gestärkt werden sollte. 

Der Bund hat mit seiner Entscheidung des Erhalts des Gesamtbestandes aller Stasi-Unterlagen eine solche Investition vorgenommen. Wir können und sollten jedoch die Geschichte von politischer Verfolgung und Widerstand eben nicht vordringlich aus der Perspektive der Repressionsorgane erzählen. Gerade vor diesem Hintergrund möchte ich bei Ihnen für eine institutionelle Förderung für das Archiv Bürgerbewegung werben. Mir ist es wichtig, dass dieses national bedeutsame Archivgut, ebenso wie die Stasi-Akten, dauerhaft unserer Gesellschaft zur Aufklärung über Opposition und Widerstand zur Verfügung steht. Um den Bund hier stärker in die Pflicht zu nehmen, braucht es einen ersten Schritt durch den Freistaat. 

Als SED-Opferbeauftragte ist es mir besonders wichtig, dass wir die Opfer der SED-Diktatur eben nicht nur als Teil unserer Erinnerungskultur wahrnehmen. Die Betroffenen leben heute hier mitten in unserer Gesellschaft. 

In den nächsten Monaten werden Bundestag und Bundesrat die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze überarbeiten. Es sind die Gesetze, die die Grundlage für die Rehabilitierung und Unterstützung der politisch Verfolgten darstellen. Ich möchte bei Ihnen dafür werben, dass der Freistaat Sachsen als bevölkerungsreichstes ostdeutsches Bundesland sein starkes Gewicht gegenüber dem Bund in die Waagschale legt, damit wir die anstehende Novelle für wesentliche Verbesserungen für die Opfer nutzen. 

Jeder, der beispielsweise die entstehende Gedenkstätte in Hoheneck besucht und erfährt, wie die Frauen dort leiden mussten, versteht welch weitreichende gesundheitliche und soziale Folgen politische Haft für die Opfer hat. Unsere Gesetze aber greifen aktuell noch viel zu häufig ins Leere. 

Ich möchte daher bei Ihnen werben für grundsätzliche Vereinfachungen bei der Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden, für eine spürbare Erhöhung der SED-Opferrente und für die Abschaffung von Benachteiligungen bei den Leistungen für beruflich und schulisch Verfolgte. 

In diesem Jahr feiern wir 75 Jahre Grundgesetz, 35 Jahre Friedliche Revolution und 35 Jahre Mauerfall. Das Wissen um die Hintergründe und Folgen der Diktatur in die Gesellschaft vermitteln. Die Opfer würdigen und ganz konkret in ihrem heutigen Alltag unterstützen. Das ist es, was ich mir als Signal der Politik in Richtung der ehemals politisch Verfolgten der SBZ/DDR und unserer Gesellschaft ganz besonderes in diesem Jahr wünsche. 

Vielen Dank!

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