14.06.2023 | Parlament

Statement im Kulturausschuss - „Aufarbeitung der SED-Diktatur und Erinnerung an den 17. Juni 1953“

Das Bild zeigt eine elektronische Tafel mit dem Terminhinweis, 14. Juni 2023, 14:30 Uhr, zur 37. Ausschusssitzung im Ausschuss für Kultur und Medien.

Tafel im Jakob-Kaiser-Haus: Ankündigung der 37. Ausschusssitzung am 14. Juni 2023. (© DBT / Team Zupke)

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
sehr geehrte Abgeordnete,

kurz nach meinem Amtsantritt vor zwei Jahren saß ich mit einer kleineren Opfer-Initiative zusammen. Eine ältere Frau nahm mich beiseite und sagte zu mir:

„Frau Zupke, in zwei Jahren begehen wir den 70. Jahrestag des DDR-Volksaufstandes. Es ist kein 50. oder 75. Jahrestag. Aber für uns ist dieser Tag so wichtig, gerade für uns Ältere. Hoffentlich wird dieser Tag nicht vergessen.“

Wenn ich auf das blicke, was all die Institutionen, die sich für die Opfer einsetzen, auf Bundes- aber auch auf Landesebene, in den letzten Wochen auf die Beine gestellt haben.
Und wenn ich sehe, was in den nächsten Tagen passieren wird. Dass im Bundestag, dem Herzen unserer Demokratie, der Bundespräsident sprechen wird. Dass die Schicksale der Opfer im Mittelpunkt stehen werden. Dass auf der Ehrentribüne insbesondere die Menschen sitzen werden, die in der DDR Widerstand geleistet haben und dafür einen hohen Preis zahlen mussten.
Wenn ich all das sehe, bin ich als SED-Opferbeauftragte des Deutschen Bundestages dankbar.

Die Opfer der Diktatur in der Mitte unserer Demokratie. Ein stärkeres Signal kann es nicht geben.

In diesen Tagen wird viel über Opferzahlen gesprochen. Die Opfer des 17. Juni und insgesamt der Repression in SBZ und DDR. Diese Zahlen sind wichtig, um die Dimensionen der Gewalt zu verstehen. Schnell geraten hierbei aber jedoch die einzelnen Menschen aus dem Fokus. Hier kann unsere Gedenk- und Erinnerungskultur besonders ansetzen.

Wenn ich an den 17. Juni 1953 denke, denke ich an Menschen wie Heinz Grünhagen. 1953 ist Heinz Grünhagen ein junger Bauarbeiter in Strausberg. Er ist verheiratet, seine Frau erwartet das erste Kind.

Am Abend des 16. Juni hört er im RIAS, dass Berliner Bauarbeiter zum Sitz der DDR-Regierung ziehen. Dort verlangen sie die Rücknahme der staatlichen Normerhöhung und fordern freie Wahlen. Er ist begeistert von der Aktion. Am nächsten Morgen versammelt er seine Kollegen auf der Baustelle und organisiert einen Streik. Derweil rollen sowjetische Panzer in Berlin über die Straßen. Als die Strausberger Bauarbeiter nach Ost-Berlin fahren wollen, scheitern sie an den Straßensperren. Sie kehren um und gehen nach Hause.

Doch der 17. Juni ist damit für Heinz Grünhagen nicht zu Ende.

Noch in der Nacht wird er verhaftet, tagelang verhört. Unter Druck in Todesangst gesteht er, dass er von westlichen Geheimdiensten den Auftrag zur Streikunterstützung erhalten habe. In einem Schauprozess wird er zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. In der Haft wird er isoliert. Er muss im Steinbruch arbeiten.

Nach dreieinhalb Jahren kommt er endlich frei. Seine Tochter ist mittlerweile drei Jahre alt. Heinz Grünhagen sieht seine Tochter zum ersten Mal. Sie rennt weg vor ihrem Vater.

Diese Erinnerung begleitet ihn sein ganzes Leben.
Und seine Familie bis heute.

Der Schatten der SED-Diktatur reicht weit. Die Auswirkungen sind für die Opfer bis heute spürbar.

Am morgigen Tag lege ich meinen Jahresbericht vor. Diesem Bericht kann ich daher heute nicht vorgreifen. In meinem Jahresbericht mache ich konkrete Vorschläge, wie wir die Situation der SED-Opfer heute verbessern können. Dabei geht es darum die Opfer vor Altersarmut und sozialer Schieflage zu schützen. Es geht um Gerechtigkeitslücken in den Gesetzen, um bisher nicht berücksichtigte Opfergruppen und um verfolgungsbedingte Gesundheitsschäden.

Meine Bitte an Sie:

Sprechen sie mit insbesondere ihren Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitikern. Und unterstützen sie mich in meinem Werben für die Opfer.

Am morgigen Tag berät der Bundestag auch über die Einrichtung eines Forums für Opposition und Widerstand. 
In meiner Arbeit merke ich immer wieder, dass gerade die Opfer des frühen Widerstandes, viel zu häufig im Schatten bleiben.

Hier kann das Forum helfen. Bringen wir es auf den Weg. Unter Einbeziehung all des Sachverstandes der unterschiedlichen Institutionen, die seit Jahren zu diesem Thema arbeiten.

Vor zwei Jahren hat der Bundestag die Gründung der Stiftung „Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ beschlossen. Im Einrichtungsgesetz sind drei Orte namentlich genannt: Weimar, Frankfurt, Bonn. Diese Orte sollen besonders für die Demokratieentwicklung in Deutschland stehen.

Hier fehlt mir etwas.

Es fehlt eine der größten Demokratiebewegungen auf deutschem Boden. Der Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung in der DDR, gemündet in die Friedliche Revolution.

Mit Aufnahme von Leipzig in das Gesetz, könnte der Bundestag hier ein Zeichen setzen.


Vielen Dank!

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